
Wehrpflicht: Biertrinken, Furzwitze und Bettenbauen
Eine kleine Erinnerung an die Wehrpflicht und die sogenannte Grundausbildung in der Zeit um 1990.
In jener surrealen Zeit nach dem Mauerfall machte ich Abitur. Im Frühjahr 1990 lasen wir den Zehn-Punkte-Plan von Wolfgang Schäuble im Geschichtsunterricht, dann kamen die schriftlichen und die mündlichen Prüfungen. Dann ging ich bis zur Abiturfeier eigentlich gar nicht mehr zur Schule, stellte aber mit den Leuten von der Schülerzeitung das Jahrbuch zusammen.
Jemand hatte ein Textprogramm, und derselbe Jemand hatte einen Laserdrucker. Die Firma IBM hatte mich in einem Sommerseminar für Schüler mit etwas bekannt gemacht, das Desktop Publishing genannt wurde. Ich freute mich, dass mein Text so schön gesetzt wurde und gleich aus dem Drucker kam. Und doch war ich so ein Typ, der gern auf alten Coronas oder Reiseschreibmaschinen tippte. Die elektrische Maschine bei der Schülerzeitung sah aus wie ein Keyboard von Tony Banks.
Im Jahr zuvor war ich beim Kreiswehrersatzamt in Lüneburg gegen alle Wahrscheinlichkeit für tauglich erklärt worden. Dabei hätte der Umstand, dass ich die weitläufigen Gebäude am Rande der Salzstadt nicht finden konnte, schon’einiges über meine wahre Tauglichkeit als Soldat aussagen müssen. Mich fragte allerdings niemand.
Bedingt tauglich
Den Test auf meine Zurechnungsfähigkeit füllte ich wahrheitsgemäß aus. Bei der physischen Prüfung wurde Übergewicht festgestellt, aber ich hatte keine Plattfüße. Man schreckte nicht vor der notorischen Frage zurück, was ich täte, wenn meine Familie oder meine Freundin gewaltsam bedroht würden. Ob ich die Hände in den Schoß legen würde. Bisher hatte ich nur eine Wasserpistole und einen Colt mit Platzpatronen bedient und war Handgemengen und Faustkämpfen aus dem Weg gegangen.
Ich bekam das Prüfsiegel 2. Bedingt tauglich. Die Wehrpflichtzeit war gerade auf zwölf Monate reduziert worden. Lustigerweise war ich ungefähr der Einzige meines Jahrgangs, der zur Bundeswehr ging, außer den Jungs, die ich nicht so gern mochte. Und mein Freund Kristian, mit dem ich die Schülerzeitung gemacht hatte. Kristian kam zu den Sanitätern nach Fischbek, ich zu den Panzerschützen nach Lüneburg.
Am zweiten Tag fuhren wir mit einem Truppenlastwagen zur Einkleidestelle, bekamen einen großen grünen Sack und warfen alle Kleidungsstücke, die uns nach Schätzungen der Körpermaße ausgehändigt wurden, hinein. Ich war bald atemlos und schwitzte. Nach vier Stunden merkte ich, dass ich mir die Sache nicht gut genug überlegt, ja überhaupt nicht überlegt hatte.

Auf dem Rasen vor dem Kasernengebäude sollte ein Gewehr zusammengebaut werden. Ich konnte nicht einmal die Eagle-Mondfähre von Lego zusammenbauen, als ich ein Kind war. Auf dem Trimm-dich-Pfad trottete ich hinter den wehrfähigen Sportlern her, die am Ende einen Sprint um den Sieg veranstalteten.
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Ein Glück wurde ein Schreiber gesucht
Der Feldwebel wollte mich motivieren, indem er auf meine spätere Aufgabe als Pressesoldat verwies. Beim 800-Meter Lauf übergab ich mich auf der Tartanbahn. Nun durfte ich immer an der Spitze der Rotte über den Kasernenhof laufen. Außerdem gefielen mir die Trainingsanzüge nicht. Panzer sah ich nur von außen. Die Kameraderie bestand aus Biertrinken, Furzwitzen und Bettenbauen. Im Mannschaftsheim gab es aber leckere Frikadellenbrötchen.
Während eines fünftägigen Biwaks im Wald brachte der Süßigkeitenwagen die Nachricht, dass die Pressestelle in Buxtehude sofort einen Schreiber brauchte. Ich packte mein Geschirr. In der Pressestelle stand eine alte Reiseschreibmaschine.
Will nur sagen: Falls der Russe kommt, sollten ihm ausgebildete und geeignete Soldaten gegenübertreten.