Weil Oasis nichts mehr zu verlieren haben, spielen sie brillanter denn je – Stuttgart, Messe Congresscentrum B

Und die zwei Brüder schauten herab auf die Erde, ihr früheres Königreich, und sie sahen nur noch ein Naturschutz-Gehege. Da klebten Fütterungshinweise am Zaun, an der Eingangstür ein Reinheitsgebot, das besagte, dass hier nur Boogie und späte Beatles und immer wieder „Wonderwall“ gespielt werden dürfe, während draußen der Kampf um die neue Weltherrschaft tobte. Sie sahen, wie ehemalige Vasallen umhergingen und Böses über ihre letzte Platte erzählten, ungehemmt und ungestraft. Und die Brüder begriffen den Nachteil daran, vom Start weg die beste Band aller Zeiten gewesen zu sein. Der Weg nach unten beginnt früher und dauert länger.

Diese Demütigung: Es hieß, Oasis seien nur deshalb zur nachgeholten Kontinentaleuropa-Tour geflogen worden, weil die Kaufhäuser ihre „Heathen Chemistry“-CDs nicht loswerden. Über Internet, SMS und verschlüsselte Botschatten hielten sich die Kartenbesitzer auf dem Laufenden, wie weit Liam Gallagher überhaupt gekommen sei, nachdem Noel ihm offiziell die Mitgliedschaft entzogen hatte. Entwarnung aus Zürich: Liam hatte gesungen! Also wohl auch in Stuttgart, in einer Messehalle mit Holzlamellen-Wänden, die dann am Abend voll ist mit Britpoppern der ersten Degenerationsstufe, mit alten Pelzkragen und Slimfit-Adidas-Hemden und historischen Tour-T-Shirts, denn neue Fans kommen hier nicht mehr dazu. Zu Oasis geht man wie zu Grateful Dead.

Manche denken auch: wie zu einem Erstliga-Absteiger, der hinter zwei Klassestürmern ein Ersatzbank-Mittelfeld aufstellt Aber – hört ihr das denn nicht? Wie diese Band auf einmal Swing? Wie Bassist Andy Bell das auf Platte mediokre „Go Let It Out“ in Topform massiert und wie die Brüder bei „Hindu Times“ harmonisieren, als ob sie plötzlich doch einen flick geben würden auf Schönheit und Dramatik? Oasis stehen (für 70 Minuten) immer noch wie in Bronze gegossen auf der Bühne, aber der dröhnende Zementblock hat sich aufgefächert. Vielleicht ist der Soundmann heute verliebt. „Columbia“, „Morning Glory“, „Stop Crying Ybur Heart Out“, was für eine Sequenz, viel später „Cigarettes And Alcohol“, in das Noel mittlerweile das „Day Tripper“-Riff eingebaut hat. Bitte, lasst sie noch mehr doofe Platten machen, wenn sie hinterher solche Konzerte spielen, um sie zu verhökern.

Das erste „Wonderwall“ hatte der ältere Gallagher nach einer Textzeile, albern genervt, in „Married With Children“ umgemorpht, aber als die Leute zur zweiten Zugabe klatschen, kommen die Akkorde noch einmal. Alle stimmen erlöst ein, die Lightshow flackert, wo ist die Band? Sie kommt nimmer. „Wonderwall“, das Pflichtprogramm, wird vom Mischpult aus eingespielt. Und als die Menschen noch stritten, ob das Beschiss war oder ein Gag, der so gut war, dass man ihn Oasis nicht zugetraut hätte (es war letzteres), kam die Kunde aus München. Liam hatte im Kampf die Vorderzähne verloren und die Band mit zurück nach England genommen. Ein grandioser Spuk. Die Arbeit am alten, großen Mythos. Da ist Hoffnung.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates