Zum 100. Jubiläum wird BERTOLT BRECHT von allen Seiten vereinnahmt.

Zum 1OO. Jubiläum wird BERTOLT BRECHT von allen Seiten vereinnahmt. Sein Schaffen aber stand Proletariat, Protest- und Popkultur näher als der Hochkultur.

Ein Stück aus der Dreigroschenoper. Die Musik erinnert an ein schräges „Ich wollt ich war ein Huhn“. Brechts Stimme rollt quäkend über das theatralische R, holpert durch die gebänkelten Trophäen und berichtet verschmitzt von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens: „Denn für dieses Leben / Ist der Mensch nicht schlau genug / Niemals merkt er eben / Allen Lug und Trug.“

Wie recht er hat, der Haifisch. Hat er aber nach 100 Jahren noch Zähne im Maul? Oder ist er bloß noch ein Ausstellungsstück, in dessen Rachen jeder seinen Kopf stecken kann? Man kann sich auf den Protestgeist der Dichter berufen, ohne ihn fürchten zu müssen, wie es Bundespräsident Herzog jüngst bewies. Der oberste Hüter des bundesdeutschen Kultur-Tamagotchi gab Ratschläge, welche Knöpfe zu drücken sind, damit das Ding nicht abkackt. Mit Heine und Brecht auf Jubiläumsdichte ist schon beinahe die kritische Masse des Unerträglichen erreicht. Die Bundesrepublik brauche die ätzende Kritik von Schriftstellern, hieß es. Es seien noch immer nicht genug Universitäten und Schulen nach ihnen benannt worden. Und ich möchte hinzufügen: benennt vor allen Dingen Friedhöfe – dort ruht das Gewissen am besten: Hier liegt Heine bei Freund Hein: wie fein. Euer Exil ist die Mitte unserer Seele. Wenn ihr euch im Grabe dreht, drehen wir uns im Schlaf. Singen wir also Brechts Kälbermarsch:

„Hinter der Trommel her/ Trotten die Kälber/ Das Fell für die Trommel/ Liefern sie selber.“

Hundert Veranstaltungen sollen allein in Augsburg zu Ehren unseres Bundesbertholts über die Bühne gehen. Konzerte von Wolf Biermann, Konstantin Wecker, Nina Hagen und Katja Epstein sind geplant. Im akademischen Betrieb aber wird Brecht beinahe ausschließlich dem Ziergarten der Hochkultur zugerechnet. In treuer Fortsetzung dessen, was Seminaristen seit Jahrzehnten mit seinem Werk im Bermuda-Dreieck von Formeln wie „gestische Musik“, „episches Theater“ oder auch „Verfremdungseffekte“ anstellen, wirken jene Aspekte seltsam fremd, die Brecht aus dem Blickwinkel der Popkultur betrachten. Dabei ließen sich interessante Einblicke gewinnen über seine zwiespältige Haltung gegenüber dem eigenen Anspruch, aus Kunstund Kulturformen der Unterprivilegierten zu schöpfen.

Den Anfang seiner Karriere bildet der Einzelkämpfer an seiner Gitarre, der Spelunkensänger und Agitateur des „garstigen“ politischen Liedes durchaus in Geistesverwandschaft zu Woodie Guthrie, Pete Seeger, Cisco Houston oder dem gewerkschaftlichen Dust-Bowl-Folklorismus der Almanac Singers. Brecht konnte noch grausiger singen als Bob Dylan, und die Klampfe in seinen Händen war eine Melodienraspel sondergleichen. Etwa 600 seiner rund 1500 Gedichte waren irgendwie als Songs konzipiert: ungekünstelt und derb-realistisch. Wenn sich Rockmusik – teils sporadisch, teils systematisch – auf ihn beruft, dann, weil es im Fundus der Augsburger Mottenkiste manch eine Affinität zum Selbstverständnis der Popkultur gibt.

Zupfgeigenhansel Bertolt Brecht war Sohn eines Augsburger Papierfabrikanten und produzierte in Opposition zur Industriellengesellschaft bald selber Papier. Der Verehrer des Bänkelliedes und der Moritaten, der „Murder Ballads“, zeigte jene Vorliebe für Formen des „Unschicklichen“, die jenseits des Atlantiks die Entwicklung der Rockmusik aus der Musik der Schwarzen begleitete:Jene dort unten haben Ausdrucksformen, die das Leben dort unten getreuer widerspiegeln als Symphonien, Hexameter und die Opera Buffa. Brecht nimmt Karl Valentin auf, die bayerisch-schwäbische Folklore, Musik der Vorstädte mit ihren Volksliedern, Kneipen- und Sauflieder. Wenn also Rock’n’Roll eine Anspielung auf Beischlaf ist, populär gemacht (nicht der Beischlaf) vom weißen Rhythm & Blues Diskjockey Alan Freed, indem er den schwarzen Ursprung in dieser Musik kaschierte, dann machte Brecht ähnliches: Das Aufrührerische mit dem Anerkannten mischen und wissen, daß die Bombe tickt.

Die Rezeption Brechts im Rahmen der Popkultur blieb allerdings weitgehend auf den Dreigroschenoper-Mahagonny-Kreis beschränkt. Der international populäre Bertolt Brecht ist der Brecht der Zusammenarbeit mit Kurt WeilL denn Weill hatte jenen Stilmix aus modernen Kompositionstechniken und Shimmy, Tango, Blues etcetera entwickelt, der die Kopfarbeit der Schönberg-Ära mit musikalischem Gefühl ergänzte. „Falsche“ Noten, „verbogene“ Modulationen, unsymmetrische Phrasen und Pausen – Dreigroschenoper und Mahagonny waren als Affront gegen den pompösen Stil des bürgerlichen Musiktheaters gedacht und verfehlten ihre Wirkung natürlich nicht. In den 30er und 40er Jahren verrucht, verboten und von notorischer Berühmtheit; in der Nachkriegsära der konservativen Restauration Adenauers dann verdrängt, boten sich die Arbeiten nach 68 geradezu an in ihrer erhalten gebliebenen experimentellen Frische.

Es gibt aber auch Unvereinbarkeiten zwischen dem literarisch-musikalischen Brecht im Niemandsland zwischen U und E und dem Hedonismus der Rockszene. Seine Arbeit mit Kurt Weill war stets überschattet vom Heckmeck um die Dominanz des Textes gegenüber der Musik. In den späteren Arbeiten mit Hanns Eisler und Paul Dessau wird der Text immer diktatorischer auftreten gegenüber der Musik. Das realsozialistisch-staatstragende Modell der Musik funktionierte trotz der Reibereien mit dem marxistischen Politapparat. Was den Brecht nach dem vielbeschworenen Marxismus-Studium auszeichnete, war eine schleichende Abkehr von sinnlichen Elementen der Musik, die aber aus der Rockmusik – auch als soziale Sprengkraft nicht wegzudenken sind. Es hieße, den Rock’n’Roll umzubenennen in etwas wie „Aufstand und Wende“, wenn man es denn ernst meinte mit dem ideologischen Puritanismus.

Bertolt Brecht meinte es offensichtlich ziemlich ernst damit – vor allem, als er auf den Stationen seiner Flucht vor den Nazis 1941 in die USA kam, wo er auf Tuchfühlung hätte gehen können mit der unter Theodor Roosevelts „New Deal“ gewachsenen Subkulturszene. Aber schon in der Zusammenarbeit mit Weill hatte er sich zu einem Bild von Musik durchgerungen, in dem sich das Emotionale zugunsten des Didaktischen verabschiedete. Mit konzertanter Musik verband er vornehmlich eines: Reihen von Menschen in einem sonderbaren Trancezustand, wie unter Rauschgift, völlig selbstvergessen und entrückt, unkontrollierbaren Trieben hingegeben. Solche Musik, so der Ratschlag des kaltgeduschten Lordprotektors, erfülle Genußfunktionen, sonst nichts – was die Frage aufwirft, ob er sich als früher Kämpfer gegen den Dudelfunk outet oder ob er bloß den Kopfüberanstrengt. Ab Ende der 20er Jahre jedenfalls gewöhnte sich Brecht das nicht durch Theorien zerfaserte Denken über Musik ab. In den USA ist es schon sehr stark geprägt durch ein elitäres Selbstverständnis. Bertolt Brecht schreibt Theoretisches über Filmmusik und verrät dabei, daß er zwar sehr scharfsichtig Produktionsbedingungen und Warencharakter des Hollywood-Begleitgesäusels erkennt. Jedoch sind seine Einsichten letztlich so aufschlußreich wie diejenigen Teddy Adornos. Und von dem ist ja bekannt, daß ihm das Geheimnis Donald Ducks verschlossen blieb.

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