Die Eruptionen der Kunst

Der isländische Sigur-Ros-Sänger Jonsi wundert sich selbst darüber, welche bombastisch-sinfonischen Pop-Stücke plötzlich auf seinem ersten Solo-Album zu hören sind.

Im vergangenen Jahr ist Jon „Jonsi“ Thor Birgisson dreimal von der Kunst überrascht worden. Zunächst bei seiner Hauptband Sigur Ros. Die Isländer wollten im Anschluss an die letzte Welttournee recht schnell ein neues Album zusammenstellen, es wäre ungefähr jetzt erschienen. Aber es wurde nichts daraus. „Wir arbeiteten viel mit altem Material, das bei früheren Produktionen liegen geblieben war“, sagt Birgisson, „aber wir drehten uns im Kreis, die Musik sperrte sich. Uns wurde klar, dass wir dringend eine Pause brauchen.“

Das plötzliche Ende des Produktionsprozesses ermöglichte es Birgisson, ein anderes lang geplantes Projekt zu forcieren: eine Soloplatte. Es geht immer um Kunst im Leben des Isländers, sie strömt aus allen Ritzen. Neben den vielen Aktivitäten von Sigur Ros sowie Ausflügen in die Bildende Kunst veröffentlichte Birgisson im letzten Jahr „Riceboy Sleeps“, ein Album mit Lebenspartner Alex Somers. Wolkenhafte Ambient-Musik ist darauf, schön wie alles in Birgissons Diskografie. „Songwriting fällt mir nicht schwer, ich kann es jederzeit tun, und es kommt immer etwas dabei heraus“, sagt Birgisson. „Als ich Gitarre spielen lernte, habe ich immer gleich dazu gesungen – man entwickelt so eine Selbstverständlichkeit für Melodien, es ist ganz leicht.“

Für sein (unter dem Namen Jonsi veröffentlichtes) Solodebüt hatte Birgisson sich ruhige, akustische Klänge vorgenommen – wohl eine Reaktion auf die zuletzt recht mächtige Musik von Sigur Rös. Doch wieder wollte die Kunst es anders haben. „Irgendwann explodierte das Album im Studio“, erinnert sich Birgisson. „Wir fanden all diese interessanten Sounds, ich konnte nicht widerstehen.“ Auf „Go“ ist nun tatsächlich nur wenig leise Musik, dafür aber viel rhythmische Kontur, Kraft und opulente Arrangements. Herkömmlich ist diese Musik natürlich noch lange nicht, weil Birgisson seine Klänge eher installiert als arrangiert und das Intuitive den üblichen Beats vorzieht. Und doch ist „Go“ ungewöhnlich kompakt, hat klar erkennbare Refrains und bekannte Harmoniefolgen. Es ist Popmusik!

Birgisson ist immer noch verwundert darüber. Es sei doch seltsam, wie aus den kleinen akustischen Fragmenten ein so aufgekratztes Album werden konnte. „Wenn ich das gewusst hätte!“, ruft er. „Ich hätte doch andere Lieder ausgesucht.“

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