Gallon Drunk – Mehr Vertrauen in die Technik

Nach dem Tod ihres Bassisten Simon Wring machten Gallon Drunk einfach weiter. Ein neues Album zeigt die Briten als Psychobilly-Meister

Die britische Arbeiterklasse mag nicht mehr das sein, was sie mal war. Doch Pubs, in denen milieufeste Musiker ein neues Bandmitglied mal eben beim Pint Lager rekrutieren können, gibt es wohl noch genug in London. „Haben wir ihn überhaupt gefragt, ob er Bass spielen kann?“, wundert sich Gallon-Drunk-Drummer Ian White jetzt.

Zu den ersten Aufnahmen für das neue Gallon-Drunk-Album „The Road Gets Darker From Here“ war die Band indes nur als Trio nach Hamburg gereist, nachdem Stammkraft Simon Wring wegen Krankheit passen musste. Spätestens zur Tour, hofften sie, wäre er dann wieder fit. Als aus einem Haufen Ideen, die James Johnston vorher nur seinem Telefon anvertraut hatte, gleich 15 sehr brauchbare Instrumentalvorlagen entstanden waren – mit ihm und Saxofonist Terry Edwards als Wechsel-Bassisten , waren Gallon Drunk erst mal froh. Doch dann starb Simon Wring. Ein Schock, der „natürlich eine Wirkung auf die Platte hatte, auch wenn es nicht um ihn spezifisch geht“, wie Johnston die folgende Textarbeit charakterisiert.

Erstmals in ihrer 20-jährigen Existenz wurde einem Produzenten Einlass gewährt, um Psychobilly und windschiefen Rock’n’Roll etwas zu kanalisieren. Wobei es half, dass James Johnston den Hamburger Analog-Jünger Johann Scheerer schon aus einer Session mit seiner Zweitband Faust kannte. Und ihm gefallen hatte, was er da im Clouds-Hill-Studio gehört und gesehen hatte. Ein Studio als Werkzeug an sich zu begreifen, schien bislang nicht zur Wucht und Ekstase des Gallon-Drunk-Sounds zu passen.

Auch „The Road Gets Darker From Here“ ist im Kern ein Live-im-Studio-Album geworden – und schafft doch auf der Basis des Vertrauens in Scheerer und sein Vintage-Equipment manchen Freiraum für „die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen können“, wie Johnston sagt. Raum für diesen 69er-Ludwig-Gitarren-Synthesizer, der durch „The Perfect Dancer“ geistert. Für das Pitch-Pedal, das aus der Harp in „Killing Time“ noch mal ein gänzlich unerhörtes Instrument macht. Und da ist nicht zuletzt die französische Gastsängerin und Co-Autorin Marion Andrau, die unerwartete Kontrapunkte zu Johnston setzt.

Im selben Studioraum, in dem „The Road Gets Darker From Here“ entstand, wird nun ein Konzert simuliert, um Material für eine Live-EP zu sammeln. Zwei Filmkameras, ein Fotograf, eine Handvoll geladene Gäste nebst Studiopersonal. Klar, wird James Johnston am Morgen danach sagen, sei das „merkwürdig“ gewesen, ohne das Feedback eines Club-Publikums. Aber mit derselben erhebenden Verzweiflung würde der Mann wohl auch vor eine Galerie aus Pappkameraden treten. Johnston lässt seine alte Fender um den Körper baumeln, wenn er in die Tasten drückt, leitet mit manischem Blick krachende Breaks ein, schlittert auf Knien bis kurz vor die Besucher. Und der Mann aus dem Pub in London? Leo Kurunis, der neue Musiker, spielt seinen Bass als urwüchsig treibende Kraft dieses krachigen, zerschossenen und pumpenden Sounds, als würde er schon ewig zu Gallon Drunk gehören.

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