How German Is It?

Was geht in der Poprepublik - 20 Jahre nach dem Mauerfall, 40 Jahre nach der Kommune 1 und 60 Jahre nach der Stunde Null? Weltstars, die keiner kennt, analoge Provinz, digitale Metropole, Neuer Deutscher U-Pop und medial verordnete Dürre. Eine Momentaufnahme.

Ein Bericht zur Lage der Nation im Pop, zwanzig Jahre nach dem Deutschen Herbst, in dem die Mauer fiel. Es gibt leichtere Jobs. Wie anfangen? Sex? Geht immer. „Über Sex kann man nur auf Englisch singen.“ Singen Tocotronic 1995. Ein paar Jahre früher Blumfeld: „Lass uns nicht von Sex reden.“ Die wissen, was sie tun und was sie besser lassen. Wer überzeugend von schlechtem Sex redet oder das Singen über Sex den Amis überlässt, der weiß von gutem Sex und von dem Zweifel, der gutem Sex innewohnt. Kein guter Sex ohne Zweifel. Wer frei ist von Zweifeln, der singe aus vollem Hals und frei von der Leber weg: „Ficken Bumsen Blasen, alles auf dem Rasen.“ Von Sex singen ist das Gegenteil von sexy, es sei dann man heißt Marvin Gaye. Oder Nina Simone. Dann ist man aber auch schon tot. Kann es Zufall sein, dass die großen männlichen Popstars in diesem Land komplett unsexy sind? Grönemeyer? Bohlen? Westernhagen? Campino? Naidoo? Niedecken? Böhse Onkelz? Fanta Vier? Smells like Bausparkasse, Ballermann, Bratwurst, Kegelclub, Kirchentag, Nachbarschaftskonflikte in Mülltrennungsangelegenheiten, Nazifreunde, Apfelsinenlimonade. Die Ärzte kommen in ein Alter, das sie für den Bösen Onkel im Schüler-VZ qualifiziert. Von den Großen sind eigentlich nur Tokio Hotel sexy, sogar im Ausland. Aber für die hat ein anständiger Rockist nur Gratisspott übrig, er will gar nicht erst kapieren, warum ausgerechnet diese Magdeburger Schwuchtelbrüder amerikanische Teenager zum Kreischen bringen. Und französische. Neulich in der Pariser Metro. Zwei Mädchen unter einem iPod: „Wirr gähn durch döhn Monsouun…“

Und was ist mit den Frauen? Warum hat dieses Land keine weiblichen Popstars außerhalb der Prollinenz-Klasse (Biedermann, Connor, Klum, No Angels)? Die Sängerin von Wir sind Helden mit dem bildungsbeflissenen Namen. Judith Holofernes? Frau Juli aus Gießen? Frau Silbermond aus Bautzen? Und was macht eigentlich Nina Hagen? Unterstützt Die Grünen im Wahlkampf. Das machte Hoffnung, dass sie vielleicht doch unter zehn Prozent bleiben würden.

How german is it? Fragt der austro-amerikanische Schriftsteller Walter Abish 1980 im gleichnamigen Roman. Da ist die Mauer gerade neunzehn, es gibt noch kein Privat-Radio, kein Privat-Fernsehen, kein MTV, kein Handy und kein Internet. How german is it? „Ich hab‘ einen grünen Pass“, beschwert sich Torch, der afrodeutsche Rapper von Advanced Chemistry 1992, weil er – grüner Pass hin oder her – in Deutschland immer noch mies behandelt wird. So mies, dass er sich fremd im eigenen Land fühlt. Rassisten schauen nicht auf den Personalausweis, um sich von der Staatsangehörigkeit ihres Opfers zu überzeugen. Sie sehen Schlitzaugen, dunkle Haut und gekräuselte Haare. How german is it? Der größte deutsche Popstar 2008 vom Ausland aus betrachtet hat einen urdeutschen Namen. So wie Kraftwerk oder Rammstein. Und er ist aus Stein. Berghain. Woche für Woche pilgern Tausende Raver aus der großeuropäischen Easy-Jet-Set-Zone mit billigen Fliegern nach Berlin, um in den dortigen Clubs das zu feiern, was man immer noch Wochenende nennt. Dabei ist es doch längst die Aufhebung der Zeit, was in Berlin passiert, insbesondere im Berghain, der Königin der Berliner Clubs. Ihr Ruf hat sich weltweit rumgesprochen und kein deutsches Pop-Phänomen wird in den interessanteren internationalen Medien häufiger erwähnt als: Berghain. Kürzlich in der Titelgeschichte des englischen WIRE-Magazins schwärmt Coverboy Moritz von Oswald von der unvergleichlichen Erfahrung einer Nacht im Berghain. Eine Nacht im Übrigen, die sonntagsmorgens um sechs beginnt und montagsabends endet. Oder womöglich nie. Davon erzählt Tobias Rapp in seinem Buch „Lost And Sound – Berlin, Techno und der Easy Jet Set“. Wer wissen will, wie Pop, Kultur, Konsum, Kapital, Musik und Politik in der so genannten deutschen Hauptstadt der späten Nullerjahre miteinander ins Geschäft kommen, muss das lesen. Mehr Gegenwart, mehr NOW – mit dem eingebauten Wissen, dass NOW immer schon vorbei ist, wenn man die drei Buchstaben tippt: NOW – steckt zur Zeit in wenigen Büchern.

How german is it? Wer ist Moritz von Oswald, warum ist er Coverboy des WIRE-Magazins und warum ist Berlin eine so genannte Hauptstadt? Zum Stand der Dinge in German Pop gehört der Umstand, dass man das englische WIRE-Magazin lesen muss, um zu erfahren, dass Moritz von Oswald letztes Jahr einen Schlaganfall hatte. In deutschen Blättern steht sowas nicht. Die Folgen des Schlags haben ihn bei den Aufnahmen seines Albums, das im Sommer 2008 unter dem Namen Moritz von Oswald Trio herausgekommen ist, behindert. Aber sie haben es nicht verhindert. In den Achtzigern ist Moritz von Oswald Schlagzeuger einer späten Besetzung von Palais Schaumburg (Palais Schaumburg, einer von vielen sprechenden Namen aus der Zeit der ersten Neuen Deutschen Welle, für Jüngere: im Palais Schaumburg residierte der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Lübke, Carstens, Männer

Vergangenheit). Seit den Neunzigern ist Moritz von Oswald neben Mark Ernestus die Schlüsselfigur hinter Basic Channel, Maurizio und Rhythm & Sound. Mit diesen Projekten erfindet er einen neuen Sound, die Brücke zwischen Techno und Dub. Coverboy des WIRE-Magazins wird Moritz von Oswald nur deswegen erst 2008, weil er bis dahin die Teilnahme an den Ritualen des Popgeschäfts verweigert. Er hält sein Gesicht nicht in Kameras, legt Wert auf Anonymität.

2008 ist von Oswald ein Popstar neuen Typs: um die Fünfzig, 20 Jahre Techno in Körper, Geist und Seele, ein Schlaganfall in den Knochen und schätzungsweise der Mehrheit der Leser dieser Zeitschrift unbekannt. Was schade ist, denn Moritz von Oswald war an ein paar Platten beteiligt, die so bahnbrechend, richtungsweisend und was die Adjektive so hergeben sind, wie „Revolver“, „Electric Ladyland“, „Blue“, „There’s A Riot Goin‘ On“ oder die Bananenplatte. Von dieser Liga reden wir, und die Tatsache, dass die Mehrzahl der Verehrer von Velvet Underground, Sly ft The Family Stone, Joni Mitchell, Jimi Hendrix und den Beatles den Namen Moritz von Oswald noch nie gehört hat und dass von dieser Mehrzahl wiederum eine Mehrzahl sich weigern dürfte, die Musik von Moritz von Oswald zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn den Vergleich mit den alten Helden zuzulassen oder schlüssig zu finden – diese Tatsache ist symptomatisch für die Unmöglichkeit, 2008 einen Bericht zur Lage der Nation im Pop zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer zu schreiben.

How german is it? Rund um die gefallene Mauer ist in den letzten zwanzig Jahren nicht nur die so genannte deutsche Hauptstadt entstanden, sondern auch eine postnationale, befreite kreative Zone. Aufgrund seiner günstigen Bedingungen zieht das Nachmauer-Berlin Künstler und Möchtegernkünstler aus aller Welt an. Daraus resultiert eine paradoxe Konstellation: Die so genannte deutsche Hauptstadt wird zum Magneten für nichtdeutsche Kreative aller Art und jeder Herkunft und verhält sich zum realen Restdeutschland wie New York oder San Francisco zum weiten Rest der USA: eine exterritoriale Insel, Galaxien und Zivilisationen entfernt von den Kentukkys, Iowas und Utahs mit ihren Quäkern, Mennoniten und Mormonen, eine exterritoriale Insel, Galaxien und Zivilisationen entfernt von den Schwäbischen Albs, Vorpommerns und Bayerischen Wäldern mit ihren Calvinisten, Stalinisten und Fundamentalchristen. Wie im New York in seinen produktivsten Phasen entstehen in der so genannten deutschen Hauptstadt Berlin seit zwanzig Jahren alle möglichen hochinteressanten Musiken, die vor allem eins gemein haben: Sie lassen sich nicht in nationale Kategorien fassen, sie sind alles andere als: deutsche Musik. Somit stehen die so genannte deutsche Hauptstadt, oder besser gewisse transnationale Zonen Berlins, für einen doppelten zivilisatorischen Sprung: vom Nationalen zum Globalen und vom Analogen zum Digitalen. Beide Sprünge haben sich gegenseitig auf die Sprünge geholfen. So gesehen ist die Frage nach der Lage der Nation im Pop eine zutiefst analoge. Eine Frage, die Errungenschaften & Zwänge, Chancen & Malaisen des digitalen wie globalen Kapitalismus ausblendet und so tut, als lebten wir noch in Nationalstaaten alter Prägung, als könnten Menschen nur gemeinsam Musik machen, wenn sie sich alle zur selben Zeit in ein und dem selben Übungskeller versammeln, als brächte noch immer der freundliche Mann in der blauen Uniform die Post persönlich vorbei, als könnte Musik nur produziert werden in Studios, für die man viel Geld bezahlen muss, was im günstigsten Fall eine so genannte Plattenfirma vorschießt… Man kann ja auch noch daran glauben, dass elf blauäugige deutsche Freunde deutscher Fußballmeister werden.

Was eine Plattenfirma ist oder war, das werden bald immer weniger Leute wissen. Im alten analogen Deutschland heißen die Popstars tatsächlich noch Grönemeyer, Bohlen, Westernhagen, Campino, Naidoo, Niedecken, Böhse Onkelz und Fanta Vier. Der anhaltende Erfolg dieser Männer verrät viel über den Zustand des alten analogen Deutschlands. Jedes Land hat die Stars, die es verdient. Wohlfeil gesagt, aber davon wird es nicht weniger wahr: Wir haben hier keine Amy Winehouse, keine Kate Moss und keinen Pete Doherty, keinen Jay Z. und keine Beyonce, keine Madonna und keine deutschen Hits, an denen man seine Freude hätte. Außerhalb des deutschen Sprachraums haben deutsche Popstars keine Bedeutung, und das liegt nicht nur an der Sprachbarriere. Grönemeyer, Bohlen, Westernhagen ft Co. haben keine Ambitionen, das musikalische Weltrad weiterzudrehen. Sie liefern auf ihrem Gebiet solide Wertarbeit, das wird in Deutschland goutiert. Um sich ein Bild vom State Of The Art Of Pop in Germany zu machen, hilft vielleicht der Blick von außen. Wenn englische oder amerikanische Medien Popmusik aus Deutschland zur Kenntnis nehmen, dann geht es meist um die ruhmreiche Vergangenheit: Krautrock, Kraftwerk, Cluster, Can, Pioniere der modernen Elektronik. Wenn David Lynch sein Publikum erschrecken will, dann lässt er Rammstein von der Leine, wie in „Lost Highway“. Wenn die Goethe-Institute ermitteln, welche deutsche Band im Ausland am meisten gefragt ist, dann ist das: Rammstein. How german is it? Wenn es Pop aus Deutschland mal in den Wahrnehmungsradar ausländischer Medien schafft, dann handelt es sich meist um Acts, die im eigenen Land zwar eine gute (Fach-)Presse bekommen, aber selten aus ihrer Nische rauskommen – also wenig verkaufen. Weilheimer Schule, Morr Music, Kraut 2.0 gewissermaßen, und, vor allem, Techno made in Germany. Nimmt man das WIRE-Magazin als Maßstab, dann haben es in den letzten zwei, drei Jahren neben Moritz von Oswald vor allem Ricardo Villalobos und Wolfgang Voigt zu größerer Aufmerksamkeit gebracht. How german is it? Ricardo Villalobos‘ Eltern flüchten vor dem Terror des Pinochet-Regimes aus Chile nach Europa und landen in Darmstadt. Der Sohn begeistert sich in Frankfurt für Techno und ist heute einer der gefragtesten DJs des Planeten. In den USA tritt er nicht auf, weil die US-Regierung 1973 den gewaltsamen Putsch gegen die Regierung Allende in Santiago unterstützt hat. Als DJ und Produzent ist Villalobos der Prototyp des digitalen Nomaden, auf seinem Arbeitsgebiet unter den Top Five der Global Players. Analog gesprochen: Ricardo Villalobos ist ein Weltstar um die vierzig mit deutschem Pass, den in seinem so genannten Heimatland kaum einer kennt, der es aber aufs Cover von WIRE schafft. Wolfgang Voigt ist ein paar Jahre älter als Villalobos und hat wie dieser seine Techno-Initiation im Frankfurter Omen erlebt, quasi das Berghain der Mauerfall-Ära. In Köln gründet Voigt in den Neunzigern das Kompakt-Label und ist unter diversen Aliasnamen (Mike Ink, Gas, Love I.N.C. etc) das beste Pferd im eigenen Stall. Bis heute ist Kompakt auf seinem Gebiet unter den Top Five der Global Players. Analog gesprochen: Wolfgang Voigt ist ein Weltstar Mitte vierzig mit deutschem Pass, den in seinem so genannten Heimatland kaum einer kennt, der es aber aufs Cover von WIRE schafft. Und der sich musikalisch auf eine sehr spezielle Art mit „How german is it?“ beschäftigt hat, vor allem unter seinem Gas-Alias. Ja, das Gas ist ein Meister aus Deutschland. Voigts Ambient-Platten kreisen um deutschen Wald und deutsche Musik, man kann sie hören Et lesen als Variationen über und Überschreibungen von Wagners Bayreuth und Stockhausens Köln. Und, notabene, das Köln von Can, der deutschen Band mit der international größten Reputation, neben Kraftwerk. Bei beiden Bands singt interessanterweise kein Deutscher, bei Can zunächst ein Afroamerikaner, dann der verrückte Japaner. Bei Kraftwerk eine Maschine.

How german is it? Bei unbekannten Weltstars wie Villalobos, Voigt und von Oswald geht eine deutsche Schere auf. In der internationalen und der deutschen Fachpresse rühmt man ihre Arbeit, in den deutschen Feuilletons werden sie hin und wieder gewürdigt. In den deutschen Massenmedien – null. Das Dilemma von Pop in Deutschland ist auch das Dilemma des deutschen Radios und Fernsehens. ARD, ZDF, die Privaten sowieso ignorieren avancierte Popkultur. Die ganz wenigen Ausnahme-Formate (und Leute mit entsprechendem Format) werden marginalisiert oder gleich abgeschafft. Diese Entwicklung begann schon mit dem Aufstieg der Nazis, der Vertreibung und Vernichtung der popkulturellen Intelligenz. Von diesem Kahlschlag hat sich keines der beiden Deutschlands erholt, eine lebendige, diskursive Popkultur, die diesen Namen verdienen würde, ist zwischen Ost- und Bodensee nie entstanden (die Besonderheiten der DDR werden mangels besseren Wissens in diesem Text mal wieder ausgeblendet – wie im richtigen Leben die BRD die DDR ausblendet, pardon & c’est la vie). Ist es ein Zufall, dass der Siegeszug des Privatradios in Deutschland mit dem Anschluss der DDR an die BRD zusammenfällt? Bei den Privaten ist das Radio nicht mehr für die Musik da, sondern die Musik fürs Radio – also für die Quote. Der Erfolg der kommerziellen Anbieter trifft die öffentlich-rechtlichen Programme wie der Schlag – paralysiert kopieren sie die neuen Konzepte bis zur Selbstverleugnung und machen sich dabei selbst überflüssig. Die Folge: Fährt man heute von Konstanz nach Rostock mit dem Auto und hört die Popwellen der föderalen Bundesrepublik Deutschland, dann fühlt man sich wie im alten Ostblock: überall dieselben Lieder, überall dieselben Gewinnspiele, überall dieselbe gute Laune, staatlich verordnet. Zum Einheitsradio passen keine Can und keine Soap a Skin, kein Villalobos und keine Chicks On Speed, kein Moritz von Oswald und keine Masha Qrella, kein Wolfgang Voigt und keine Niobe, kein Kraftwerk und keine Michaela Melian …

Die Demarkationslinie zwischen U-Pop und E-Pop, zwischen massenverkäuflichem und minderheitenkompatiblem Pop, diese Demarkationslinie ist in Deutschland stabiler, gültiger und unüberwindbarer als anderswo. Dazu haben die öffentlich-rechtlichen Medien entscheidend beigetragen. Popkulturell leben wir wieder in zwei Deutschlands. Die Grenze verläuft nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen der analogen Provinz und der digitalen Metropole. Parallelwelten. In der E-Pop-Welt feiern Fachmedien die lebendige Vielfalt der avancierten Popmusik aus Berlin, Hamburg oder Köln. Die Massenmedien tilgen jede Spur dieser Vielfalt und schaffen sich ihre eigene Welt: U-Pop. In dieser Welt gibt es keinen Dubstep und kein Hartz IV, kein Autotune und keine Flatrate-Debatte, kein Ghetto-Tech und keinen Gender-Trouble. Dabei ist es ja nicht so, dass deutschsprachige Künstler im deutschen Radio und Fernsehen keine Chance hätten. Im Gegenteil: Private und öffentlichrechtliche Radiomacher haben in den letzten Jahren das Quotenpotenzial von Deutschpop entdeckt. Manche Popwellen reservieren ganze Tage für deutschsprachige Musik. How german is it? Als erfahrene Selbst-Lobbyisten wie Dieter Gorny und Heinz-Rudolf Kunze vor einigen Jahren mal wieder die Deutschquote fürs Radio durchsetzen wollten, konnte man erkennen, dass die Grenze zwischen den Gegnern und Befürwortern der Quote praktisch identisch ist mit der Grenze zwischen „politisch“ und „unpolitisch“, also zwischen eher links und eher rechts. Unpolitisch, unkompliziert, unprätenziös, unscheinbar und unverkrampft im Geist des Herzogschen Patriotismus – so geben sich die Protagonisten der neuen deutschen Erfolgswelle. Neuer Deutscher U-Pop wird auch im Kommerzradio so gern genommen, dass eine Quotierung gar nicht mehr nötig ist. Im Unterschied zur NDW der achtziger Jahre verfügen die neuen deutschen U-Popper über keine gemeinsame ästhetische Programmatik, sie haben nicht einmal einen gemeinsamen Feind. Ob Juli oder Silbermond, Annett Louisan oder Max Mutzke, sie verbindet allein der Wille zum Erfolg und ein geheimnisloses Mittelmaß, in dem sich viele Käufer wiederfinden. Manchmal eskaliert das geheimnislose Mittelmaß zu einem aggressiven Normalismus, der auf alles Politische allergisch reagiert. Viele Protagonisten des NDU-Pop kommen aus der Provinz, was vielleicht erklärt, dass it?“ beschäftigt hat, vor allem unter seinem Gas-Alias. Ja, das Gas ist ein Meister aus Deutschland. Voigts Ambient-Platten sie klingen wie Provinzbands, die Vorbildern aus England und Amerika nacheifern. Silbermond verschalten sächsische Tristesse mit Cajal-Dark-Wave, Juli geben Hessens Antwort auf die Cranberries, versetzt mit Schwundstufen von Grunge. „Boheme“ fällt deutschen Spießern zum leichten Leben der Franzosen ein, „Boheme“ nennt Annett Louisan ihren Versuch, französische Chansons zu germanisieren. Und für „Erotik“ hält sie wahrscheinlich ihre schlichte Spekulation auf die Verklemmtheit frankophiler Päderasten: „Ich will doch nur spielen“, flötet petit Annett, deutsche Männer kaufen’s ihr ab. Ein Max Mutzke wird aufgebaut als deutsche Soulstimme, Marvin Gaye muss das nicht mehr hören. Der Mann hinter Mutzke und vielen anderen ist Stefan Raab. Das Universalgenie des NDU-Pop, dem verzweifelte ARD-Granden jetzt den roten Teppich ausrollen, auf dass er D-Land im Euro-Sängerwettstreit nach vorne bringe. Stefan Raab, die Lichtgestalt, unser Ahmet Ertegun, Brian Epstein, Malcolm McLaren, Berry Gordy, Mark Ronson, Phil Spector, Quincy Jones … alles in einer Person. Jedes Land hat die Stars, die es …

How german is it? Das Fernsehen macht Hits, macht Stars, immer noch. Im US-TV bei Letterman, Jay Leno & Co. spielen Sonic Youth und M.I.A., Erykah Badu und Wilco, und keiner wundert sich. Es gibt da eine Durchlässigkeit, die auch mit Lässigkeit zu tun hat, mit einer Souveränität und Großzügigkeit, auch gegenüber Dingen, die man nicht gleich versteht. Auf deutsche Verhältnisse übertragen hieße das: Die Goldenen Zitronen stellen ihr neues Album bei Johannes B. Kerner vor, Beckmann bespricht mit Jochen Distelmeyer das Ende von Blumfeld und seine neue Solokarriere, FSK werden Hausband bei Harald Schmidt. Und der plaudert mit Christiane Rösinger von Britta über Prekarität und Altern im Pop. Aber wollen wir das? Dann doch lieber weiter Sarah Connor und ihre Affäre mit Diego. Damit alles seine Ordnung hat.

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