Pop als Machtspielchen

DER TERMIN IM HINterhof-Tonstudio erinnert an eine Sonderaktion des Bundesnachrichtendienstes: Das Codewort lautet „Daft Punk„, der Rest ist top secret. Vage ahnend, was heute passieren wird, haben Medienmenschen vorab einen schriftlichen Ablass-Eid geleistet: Keine Tonbandgeräte, keine Smartphones. Alles Gehörte muss bis zu einem genau festgelegten Termin geheim bleiben.

Ein bisschen viel Spökenkiekerei um die schnöde Veröffentlichung einer Popmusikschallplatte. Möglicherweise hat ja jemand aus dem Management in seiner Jugend zu viele Geister-oder Detektivgeschichten gelesen: Hui Buh -Das Popgespenst. Letztlich geht es im Hinterhof schlicht um das Abhören des vierten Albums der französischen French-House-Ikonen mit den Roboterköpfen. Die zentralen Daft-Punk-Figuren, Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, haben aus den Veröffentlichungen ihrer Produkte bereits früher schon merkwürdige, an futuristische Freimaurer-Logen erinnernde Séancen gemacht. Digitales Tischrücken mit technoider Musik. Acht Jahre nach „Human After All“ kommt zum Stichtag im Mai also wieder ein Studioalbum der beiden auf den Markt. Viral platzierte Infofetzen, ein ominöser Preview-Clip in der US-Fernsehshow „Saturday Night Live“. Dazu allerlei Spekulationen um das neue Video zur ersten Single-Auskopplung. Hunderte Tänzer sollen darin auftreten, gedreht wurde in Old-School-Tradition auf echten Bändern. Auch sonst soll es auf „Random Access Memories“ rundherum analog zugehen. Aber das alles darf bei Erscheinen dieses Heftes noch nicht erzählt werden. Zwei Wochen später dann sind wohlwollende bis verblüffte Produktgeschichten im Sinne der Strategen möglich.

Diverse Protagonisten einer Branche, die dereinst Schallplatten während einer hochinteressanten Schnitzeljagd in Liverpool (Echo and the Bunnymen, 1984) oder auch auf einer Fahrt im Orient-Express nebst Sieben-Gänge-Menü veröffentlichte (Supertramp, 1985), entwickeln 2013 unabhängig voneinander merkwürdige Anti-Infomations-Strategien. Dahinter verbirgt sich das Vordringen einer amerikanischen Vermarktungstaktik, deren Ziel es ist, jede öffentliche Bewegung einer Band oder eines Künstlers bis ins kleinste Detail zu kontrollieren. Die verstärkte Präsenz von reinen Vertriebsdienstleistern wie Kobalt Music, die über ihre „Label Services“ auch Nick Cave in einigen Ländern betreuen, lässt eine neue (Un-)Kultur der Vermarktung sprießen. So passt es durchaus ins Bild, dass das deutsche Fachmagazin „Der Musikmarkt“ bereits Ende März vekündete: „Daft Punk – Ihre Marketing-Strategie hat funktioniert!“ Im Text war dann in Kurzprosa all das zu lesen, was eigentlich so obersuperstrenggeheim war/ist: „In dem 15-sekündigen Teaser ist eine Melodie zu hören, die stark an den 70s-Funk von Chic („Le Freak“) erinnert.“ Viel Lärm um Retro-Disco? Nun könnte eine einfache Formel für den Umgang mit wuschigen Management-Ideen lauten: Das Drumherum beiseite lassen und allein die Musik sprechen lassen.

Und so geht man, mit einem Glas Wasser bewaffnet, in die Hochsicherheitskammer, wo schließlich der heilige Gral enthüllt wird. Auf „Random Access Memories“ leiten die Lebemänner aus Paris einen radikalen Richtungswechsel ein: 13 analoge, im Eierkarton-Proberaum eingespielte Tracks, die – man höre und staune -auch auf Großwerke von Led Zeppelin oder Pink Floyd verweisen. Flankiert von einer Produzenten-Armada hatten sich Daft Punk ins Studio verzogen. Und zweifellos ist am Ende ein Opus magnum entstanden, das Discofunk, modernen R’n’B und letztlich auch Rock ’n’Roll miteinander versöhnt. Ein analoger Kessel Buntes also. Einzig die vom Vocoder verfremdeten Roboterstimmen verweisen auf Daft Punk 1.0. So weit, so gut, alles Weitere im nächsten Heft. Chic-Erfinder Nile Rodgers ist schließlich der erste der Beteilig-ten, der -offenbar unkontrolliert und ungeplant -lange vor dem avisierten Startpunkt der Veröffentlichungsoffensive über das neue Werk der Helm-Franzosen plaudert. Die Munich-Disco-Legende Giorgio Moroder legt – cool strategisch geplant -auf der DP-Homepage nach, kurz darauf mäandert das Video durchs Netz. Weitere Clips folgen.

Natürlich kann man den Strategiezirkus und die Machtspielchen, deren sich in diesem Frühjahr auch Depeche Mode (sehr erfolgreich) oder The Strokes (mittelerfolgreich) bedient haben, albern finden. Ausverkaufte Stadien und Platinplatten zeigen, dass der Popkunde heute vor allem eines möchte: beschallt werden. Eine selbstkritische Aussage zum spätkapitalistischen Zinnober ist in VIP-Musikerkreisen weder zu erwarten, noch wird sie vom Publikum gewünscht. Hauptsache, alles easy. Ach ja: Das Album ist, äh, interessant.

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