Pop Shopping

Nein, normale Plattenläden gibt es in unserem Stadtteil eigentlich nicht mehr. Den Kumpels fiel auch keiner ein. Wir saßen vor unserem Espressoausschank, der für diese Saison besonders scheußliche neongrüne Sitzpolster angeschafft hat; angenehm zielloses Hinfe?her-Gelaber, welcher Mobilfunkanbieter wohl diese Farbe verordnet und bezahlt hat, der Tag drohte eh grad völlig zu zerfasern, also bestellten wir noch eine Runde Kaffee.

Den Hippieladen gibt es, das Kulturkaufhaus, die Elektronikmärkte. Aber sonst? Also: offline, in unserer echten kleinen Welt? Nur diese absolut lächerlichen Konzeptboutiquen, deren Sortiment aus Kleidung und Kulturgütern den Begriff Auswahl umkehrt, hier wählt nicht der Kunde aus, es ist für ihn schon alles ausgewählt, von allem nur ein bisschen, und wer von jedem etwas kauft, ist dann der Superhipster, also der komplette Blödian. Auf Klassenfahrt in Berlin, mit zu viel Taschengeld, mag man darauf reinfallen. Ziel dieser Läden ist es, dass man raunt: „Ein bisschen so wie Colette – kennst du Colette?“ Wer halbwegs alle beisammen hat, will in solch einen Laden eigentlich allenfalls mal aus Spaß reinstürmen und fragen, ob sie die neue Platte von Silbermond und Puma-Turnschuhe haben, dann die angeekelten, belehrenden Gesichter des Superstyler-Personals genießen. Lady Gaga führen wir nicht, aber Bela B. hat bei uns ein eigenes Cowboymusik-Fach. Ach bitte, liebe Krise, spül sie hinfort, diese Witzbuden.

Gerade, als wir zurück an unsere Arbeitsplätze hüpfen wollten, mal gucken, ob die noch da sind, erklang schräg hinter uns eine Stimme, deren Besitzer jedermann nach zwei Wörtern unbesehen empfehlen musste, entweder sofort zum HNO-Arzt zu gehen oder Rockstar zu werden: „Hey, na? Wie geht’s denn?“ Lederkappe, Paartagebart, Sonnenbrille, die setzte er jetzt ab – ach so! Plewka, altes Haus! Ganz schön lange nicht gesehen. „Vor kurzem habe ich an dich gedacht“—wie oft ist das eine Verlegenheitsformel, aber jetzt stimmte es mal, und zum Glück hatte ich Jan Plewka bei diesem An-ihn-Denken eine SMS geschrieben, wie gut nämlich die neue Selig-Single mir gefällt. Seine Antwort war in tiefer Nacht eingegangen: „Yea!“

Und weiter mit den schönen Wahrheiten: „Ich gehe mir jetzt euer Album kaufen!“ Plewka hatte sich seinen Kaffee in einem Mitnehmbecher gekauft, aber nun wurde daraus einer zum Hiertrinken, hier auf den Grannysmith-Polstern. Plewka: ein deutscher Rockstar. Der kann das. Kann so singen, so texten, so aussehen. Der wirft sich derart rein, macht nicht auf superclever, genehmigt sich diesen Schuss Dummheit, den es braucht. Auf Platz5 war die Selig-Platte am Wochenanfang in die Charts eingestiegen, und Plewka weiß ja, wie das Geschäft läuft, begrüßte also meine Kaufverspätung: „Stützkäufe, na klar.“

Plewka zu treffen ist immer auch eine Ermutigung, voll auf die sogenannte Zwölf zu gehen, also in den neueröffneten weltgrößten Saturn-Markt am Alexanderplatz, wo man die Menschen zu guten Amerikanern erzieht: Null-Prozent-Finanzierung! Dann mal her mit der Flachbildscheiße. Die Plattenabteilung allerdings ist ziemlich gut, Lady Gaga in Stapeln – und trotzdem vier Quadratmeter Neil Young. „Und endlich unendlich“ von Selig aus dem Top-Ten-Regal, das Comeback dieser Band hatte man in zweierlei Hinsicht nicht unbedingt erwartet, aber nun Stützkauf Selig, eine großartige Platte, wenn man einmal Ja gesagt hat zu den 7oer-Orgeln und Bleigitarren. Plewka hat endlich wieder was zu erzählen, die Auszeit hat seinen Tornister gefüllt mit Erfahrungen: ,Jetzt hängst du rum mit deinen nutzlosen Freunden / In geometrischen Gärten auf unaufgeräumtem Glück / Rennst seit Jahren durch die gnadenlose Gegend / Und trinkst dir in den Nächten die alte Zeit zurück.“ Prost, Plewka, gut gemacht. Mit Vollgas hinein in Kitsch und Wahrheit, mit der besten deutschen Rockstimme seit Rio Reiser, da gibt es gar keinen Zweifel.

Was noch? „It’s Blitz.“ von den Yeah Yeah Yeahs —- danach kräht doch grad die halbe Welt, und da will man sich nicht zu fein sein, da will man mitkrähen. Macht doch immer Spaß, der Vorletzte zu sein: Übrigens, die Yeah Yeah Yeahs sind wirklich gut! Paar Zentimeter weiter lauert in Stapeln der Feind: Roger Cicero. Bürschchen, warum bloß machst du mich so aggressiv? Ist doch supersüß, wie du da mit Dödelhut und rotem Anzug einen Hahn im Arm hältst? Aber dein Swing klingt, als wüsstest du stets, wo dein Impfpass ist. Aus demselben Ei gepellt wie E. v. Hirschhausen— im Frühstücksternsehen möchte ich dich untergehen sehen.

Vom Sonderangebots-Tisch zwei alte CDs von Manfred Krug dagegen kaufen. Die mal gehört, Blödroger? Wie Krug das so sieht und besingt, auch das mit den Frauen? „Sie sieht mich gar nicht an / Sie liest ein Buch, es ist ein Liebesroman.“ Willst du da nicht nach einer Strophe schon in die Ecke, dich was schämen?

Für den Klappstuhl-auf-dem-Dach-Sundowner noch die „DJ Kicks“ von Four Tet, und jetzt fehlt nur noch ein müder Mann: im Saturn läuft während dieses Einkaufs die neue Platte von Neil Young, aber der ist nicht müde, der ist erschöpft und kämpft doch, nein, ich brauche keinen alten, ich möchte einen müden Mann. Einen, der durchaus anders könnte. Letzte von Ben Kweller, mal anhören: gelangweilt — auch falsch. Vielleicht Regalnachbar „The New Year“? Noch nie gehört. Bandname und Plattentitel: „The New Year“. Aber ehe ein Musikschreiberdödel jetzt den Klassiker „selbstbetiteltes Debütalbum“ bringt, sei schnell gewarnt, es ist nicht deren erste Platte. Klingen wie Pavement in ihren besten Tagen. Riesig, geschmackvoll, fast gefährdet, demnächst im hyperkorrekten CD-Sortiment einer der Schnöselboutiquen bei uns im Dorf aufzutauchen.

Die CDs piepen über den Scanner, da fragt die Kassiererin: „Sagen Sie mir bitte Ihre Postleitzahl?“ Nein, Schatz, aber ich gucke gleich mal in die Hinterhof-Mülltonne und sage dir, wann du warum beim Arzt warst, ja? Und die Jungs dahinten in der Computerspielabteilung sollen sich bitte von Papas Waffenschrank fernhalten.

Hinaus, Sonnenbrille auf, Plewka wohnt jetzt ums Eck, hat dieselbe Postleitzahl wie ich, das ist doch schon mal was.

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