Nick Cave & The Bad Seeds :: Dig, Lazarus, Dig!!!

Noch mehr grandiose Reiseberichte über Schuld und Sühne

Hier verrottet Larry, den keiner gefragt hat, ob er wirklich von den Toten auferstehen wollte – Larry, der zwischen New York, San Francisco und Los Angeles hin und her irrt, und erst bei Drogen, dann im Knast, der Irrenanstalt und schließlich wieder im Grab landet. Da liegt Janie, die jede Nacht im Schlaf von Mr. Sandman vergewaltigt wird. Dort flüchtet Albert durch die Wüsten von Arizona, nachdem er auf einer Touristenfarm eine psychotische Episode durchgemacht hat, bei der eine Flasche Ammoniak im Spiel war. Dort Henry, der sich verlaufen hat und irgendwann in einem Bungalow mit einem Revolver im Mund enden wird.

Nachdem sich Nick Cave im vergangenen Jahr mit dem rohrauem Rock’n’Roll-Projekt Grinderman ausgetobt hat, spielt er jetzt einen erzählwütigen, aber stoischen Reiseführer, derauf der Straße, in Einkaufszentren oder billigen Hotels Geschichten von Zweifelnden, Verirrten, Suchenden, Verlorenen und Getriebenen aufgelesen hat. Auf „Dig, Lazarus, Dig!!!“ protokolliert er nüchtern, scheinbar ungerührt und lässt diese Geschichten zu seinen eigenen werden. Ob er im Titelsong zu einem fiesen Psycho-Groove auf den Spuren des Neuen Testaments und Bob Dylans „Bailad Of A Thin Man“ der Dekadenz nachspürt oder in „Today’s Lesson“ die Monstrosität männlicher Lust entblößt („Mr. Sandman, the inseminator, opens her up, like a loveletter and enters her dreams“); ob er den Garagenrock-Amokläufer „Albert Goes West“ mit ausgelassenen „Sha-la-la“-Chören ausklingen lässt oder sich in „Midnight Man“ zur quengelnden Orgel als mitleidloser Ich-Erzähler präsentiert.

Diese Nüchternheit des Blicks scheint sich nicht mit Pianoakkorden zu vertragen. Nur ganz selten verirrt sich ein Klavier in die raffinierten Soundarchitekturen, die die Bad Seeds entwerfen. In „Lie Down Here (And Be My Girl)“ etwa stemmt sich eine zarte Pianomelodie vergeblich gegen den Triebstau und die wüsten Verzerrungen, die grandiosen Dissonanzen, die Warren Ellis dem Song aufzwingt.

An „We Call Upon The Author!“, Caves monströser Abrechnung mit Gott („He is a fucker.’/ But what an enourmous and encyclopaedic brain!“), oder dem hypnotischen „Night Of The Lotus-Eaters“ dürfte man sich noch eine Weile die Zähne ausbeißen können. So anspielungsreich und wortgewaltig wie auf „Dig, Lazarus, Dig!!!“ hat Cave lange nicht mehr gewütet. Immer wieder tut er neue Variationen des Schuld-und-Sühne-Topos auf, nimmt die erzählerischen Posen Lou Reeds und Bob Dylans, aber auch Van Morrisons und Bruce Springsteens ein.

Selten gönnt er seinen rastlosen Protagonisten ein Halten. Auch im zarten, mit einer Querflöte verzierten „Jesus Of The Moon“, der Nummer auf dem Album, die am ehesten als klassisches Liebeslied durchgehen könnte, ist man auf der Durchreise: „People often talk about being scared of change/ But me I’m more afraid of things staying the same/ Cause the game is never won/ By Standing in any one place for too long.“ Am Ende wird er in einem Zwielichtig-bizarrem Etablissement landen und in „More News From Nowhere“ auf Janet treffen, die tote Männer zum Stöhnen bringt, und Betty X, Miss Polly, Alina oder Deanna, die an all den Seelenqualen schuld sein soll. „And it’s stränge in here/ And it gets stranger every year“, klagt Nick Cave, bevor er sich wieder irgendwohin verabschiedet.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates