Anna Calvi live in Berlin: Nennt es „The Anna Calvi Experience“

Bei den ersten Songs kommt man nicht einmal zum Atmen – als hätte das Publikum es noch nie erlebt, wie jemand derartig gut Gitarre spielen kann. Calvi malträtiert ihre Fender Telecaster auf der Bühne mit einer solchen Vehemenz, als hätte nicht Hendrix, sondern sie die Gitarren-Revolution angezettelt.

Die Gitarre wirkt an der sylphidenhaften Erscheinung in scharlachrot wie ein gigantischer Vorschlaghammer, dessen Wucht vom ersten Ton an die Luft im ausverkauften Berliner Astra wabern lässt. Kontrolle bedeutet Macht, dessen ist sich Anna Calvi bewusst. Die wird sie an diesem Abend auch nicht mehr abgeben.

„I opened the door wide / I wanted to survive“, so formuliert sie ihren natürlichen Überlebensinstinkt im männlich dominierten Revier der mit E-Gitarren-bewaffneter Jäger. Die Bühne ist eingehüllt in weiße, rote und schwarze Nebelwolken, die sich zu einem dunkelgrauen, unheilvollen Dunst vermengen. Wie der Nebel selbst gleitet Calvi mit ihrer Telecaster hauchzart vom Opener „Hunter“ in die Oper „Swimming Pool“.

Delay flirrt, Feedback gilft, Calvi setzt Distortion-Nadelstiche und versteht es perfekt, mit der Pixies-ähnlichen Laut-Leise-Dynamik ein Spannungsnetz um ihr Publikum zu weben. Das macht bei den ersten Songs so perplex, das man nicht einmal zum Atmen kommt. Das Kulturhaus schweigt. Als hätte das Publikum es noch nie erlebt, wie jemand derartig gut Gitarre spielen kann. Calvi malträtiert ihre Fender Telecaster auf der Bühne mit einer solchen Vehemenz, als hätte nicht Hendrix, sondern sie die Gitarren-Revolution angezettelt.

Ein klareres Bekenntnis zu ihrem größten Idol wird es nicht geben.

Das Trio – Calvi wird von einem Drummer und einer Keyboarderin begleitet – transportiert die Quintessenz von The Jimi Hendrix Experience ins Jahr 2019. Das Set an diesem Abend besteht aus lediglich zwölf Songs – davon kein einziger aus „One Breath“ – dauert gerade einmal 80 Minuten und enthält keine Ansagen. Es ist die „One-Woman-Show“ die hier dominiert, vielleicht ein Kampf der Geschlechter. Calvi gegen das virile Etikett, das allmählich vom Instrument, das ihr um den Hals hängt, abbröckelt.

Nicht umsonst ist Anna Calvis Sound live deutlich rauer und energetischer – „Rider to the Sea“ oder „I’ll Be Your Man“ liefern ihr die Plattform, sämtliche Rockposen des Gitarristen-Registers unter infernalischem Inferno gleichzeitig zu stilisieren und zu persiflieren. „I wanna know cause I’m an alpha / I divide and conquer“ stöhnt sie in „Alpha“ vom verlängerten Bühnensteg aus in ein Mikrofon.

Sie umschlingt ein letztes Mal ihre Gitarre, drischt auf sie ein und kulminiert liegend auf dem Boden. Dann schleift sie ihr Instrument wie eine Gladiatorin nach dem Sieg über ihren Gegner hinter sich her, lässt es irgendwann liegen.

Anna Calvi schreitet mit ausgebreiteten Armen durch den rot-schwarzen Nebel von der Bühne. Ihrer Gitarre liegt auf dem Steg. Das Feedback, das sie an diesem Abend erzeugt, hallt noch lange nach in die kalte Nacht.

Setlist:

  • 1. Hunter
  • 2. Swimming Pool
  • 3. Wish
  • 4. As a Man
  • 5. Indies or Paradise
  • 6. Rider To The Sea
  • 7. Suzanne And I
  • 8. I’ll Be Your Man
  • 9. Don’t Beat the Girl Out of My Boy
  • 10. Alpha

Zugabe:

  1. 11. Desire
  2. 12. Ghost Rider (Suicide-Cover)
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