Parole Brandi: „Das schärfste Schwert des Pop-Feminismus“ – unsere neue Kolumne

„Dummheit als Weg“ ist Geschichte. Wie es zur neuen ROLLING STONE-Kolumne kam

Liebe Leser:innen,

ich, Rocko Schamoni, Schreiber der Kolumne „Dummheit als Weg“, möchte an dieser Stelle mein Amt abgeben. Ich fühle mich aus diversen Gründen gerade nicht dazu in der Lage, Ihnen intellektuell das zu servieren, was Sie als gebildete Konsument:innen verdienen.

Ich musste nur kurz darüber nachdenken, wer meine Position füllen könnte – dann fiel in mir schnell ein Name: Charlotte Brandi, das schärfste Schwert des neuen Pop-Feminismus, eine Frau, in deren musikalisch-politischem Märchenland ich bereits Tage und Nächte verbracht habe. Seitdem ich sie das erste Mal im Radio hörte, bin ich eingenommen von ihrer ungemeinen Musikalität, ihrer kristallinen Stimme, ihren himmelhoch fliegenden Kompositionen und den unberechenbaren und manchmal merkwürdig surrealen Texten – besser als sie macht das grade kaum jemand. Deshalb freue ich mich darauf, sie ab jetzt an dieser Stelle lesen zu dürfen. 

Also: Tor auf für Charlotte Brandi!

 

Rocko & ich 

Vor gut einem Jahr, als die Menschheit noch dachte, es gäbe Grund zur Hoffnung, wurde ich nach Hamburg zu einem Panel eingeladen. Dieses trug die Überschrift „How To Survive As An Artist“, und auf einer kleinen Bühne präsentierten sich verschiedene Perspektiven des Elends innerhalb der Musikbranche. Dieser redliche Ansatz rührte mich zutiefst.

Nachdem ich vor Ort im Feldstraßenbunker meiner Wut über diverse Dinge Luft gemacht hatte, ging unsere Gesprächsgruppe von der Bühne und wechselte rüber ins Publikum. Die Überschrift auf der Wand hinter den Sesseln wurde geändert und zwei Männer traten auf, Hendrik Otremba und Rocko Schamoni.

Beide kannte ich nur vom Hörensagen und, wie sich später rausstellte, sie sich gegenseitig auch. Eine freundliche Moderatorin begann die beiden zu interviewen und der galant aussehende Hendrik sagte lauter schöne Dinge zu ihr. Er sagte zum Beispiel, er sei „ein Erfinder“ und überhaupt wirkte er im Großen und Ganzen auf eine eigentümliche Art im Einklang mit seinem Ärger über die Branche und seiner Zufriedenheit mit sich selbst. Er war mir in dieser gelassenen Heiterkeit gleichermaßen unsympathisch wie sympathisch, wenn das Sinn ergibt, was es nicht tut, man muss dabei gewesen sein.

Rocko, diese Erscheinung von einem Mann, der Salonanarchist, der Autor der Kolumne „Dummheit als Weg“, der Musiker, der Tausendsassa, hatte etwas Imposantes an sich und als er dann auf einmal einen Satz mit „Wie Charlotte vorhin bereits gesagt hat…“ begann, schreckte ich dermaßen auf meinem Stuhl zusammen, dass mich einige Leute belustigt angrinsten.

Nachdem das Panel vorbei war, drückten sich Hendrik, Rocko und ich noch unten vor dem Bunker herum und rauchten bis schließlich jemand den Vorschlag machte, noch eine Runde um die Häuser zu ziehen.

Streitbarer Sparringspartner

Was darauf folgte, war eine angeregte Nacht in den Kneipen Hamburgs. Bereits ziemlich angetrunken erinnere ich mich zum Beispiel an eine junge Kurdin, die im „Pudel“ Omar Souleyman auflegte und das etwas in die Jahre gekommene Hamburger Publikum mit wilden Gesten zum Tanzen animierte.

Rocko, Hendrik und ich standen draußen, weil wir uns ja unterhalten mussten und man das bei Omar Souleymans Musik nicht kann. Rocko und ich diskutierten mittlerweile angeregt über Feminismus und seine verschiedenen Vertreterinnen auf Gottes Erde. Wahrscheinlich war mir an dem Abend das Bier zu Kopfe gestiegen, sonst hätte ich es nicht gewagt, Rocko Schamoni zu belehren. Ich weiß noch, dass ich ganz verzweifelt versuchte, ihm klarzumachen, warum viele Frauen die Schnauze voll haben von noch mehr männlicher Perspektive auf eine weitere männliche Perspektive und warum es nicht genug Geschichten von und über Frauen geben kann.

Rocko war ein fairer, wenn auch durchaus streitbarer Sparringpartner. Er hörte sich alles an, gab mir Kontra und so zog sich das Thema Sexismus als nervtötender roter Faden durch den nasskalten Abend. Wie so oft nach solchen Diskussionen war ich im Anschluss total erschöpft und sehr unsicher, ob‘s das denn jetzt eigentlich gebracht hatte, ob hier irgendjemand auch nur irgendwas dabei gewonnen hatte …

Das Wunder von Dortmund-Löttringhausen

Als ich im Sommer darauf eines schönen Tages in Dortmund-Löttringhausen auf dem Rad über die Felder fuhr, klingelte mein Handy, und Rocko fragte mich, ob ich vielleicht Lust hätte, eine Kolumne zu schreiben. Für den ROLLING STONE. Ich war, offen gesagt, sprachlos. Ja, das hätte ich allerdings, sagte ich verdattert.

Na gut, ich hab dich der Redaktion als meine Nachfolgerin vorgeschlagen, meinte er nur. Das sollte klappen.

Wir legten auf.

Es ist ein reines Wunder, dass ich an diesem Tag keinen Verkehrsunfall hatte, so verstrahlt war ich danach.

Es war nicht nur die Aussicht auf einen neuen Job, der mich fordern würde und auf den ich wirklich Lust hatte, es war auch die Tatsache, dass ich einen Mann herausgefordert hatte und dieser im Anschluss nicht beleidigt, desinteressiert oder überheblich reagierte, sondern stattdessen die Generosität und Größe besaß, mir seinen Job anzubieten.

An diesem Tag hat mein persönliches Menschen-, nein, Männerbild durchaus einen Sprung nach oben gemacht, wenn ich bitte kurz so pathetisch werden darf.

Und würde ich heute nochmal zum Thema „How To Survive As An Artist” irgendwo eingeladen werden, wäre eine zentrale Antwort in meinem Arsenal ganz klar: „With A Little Help From My Friends”.

Danke, Rocko.

Na dann wollen wir mal.

(„Parole Brandi“ erscheint ab jetzt alle zwei Wochen auf rollingstone.de)

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