Atomfürsten oder Sonnenkönige?

Anfang des Jahres hatten wir den 25. Jahrestag von Tschernobyl und den „Ausstieg vom Ausstieg“ vor Augen. Das eine war die entsetzliche Tragödie, das andere die Verbeugung vor den Atomfürsten. Und wieder haben wir uns bei Greenpeace die Frage gestellt: Sind sich Bevölkerung, Politiker und Konzernlenker eigentlich bewusst, was bei einem Super-GAU in Deutschland passiert? Wer konnte ahnen, dass uns diese Frage bald Hunderte von Journalisten stellen werden.

Im Februar 2011 beschrieben wir dieses Super-GAU-Szenario. Es ist so unfassbar, dass es bei Behörden dafür nicht einmal einen Katastrophenschutz-Plan gibt. Denn eine Katastrophe von diesem Ausmaß „ist nicht zu managen“, hören wir von Experten. Warum?

Angenommen, eines der AKW in der Nähe einer deutschen Großstadt hat einen Super GAU, die radioaktive Wolke entweicht, der Wind steht „schlecht“ und erreicht innerhalb einer Stunde den Ballungsraum. Jetzt müssten mindestens fünf Millionen Menschen evakuiert werden. Dies ist in der Kürze der Zeit nicht möglich, und deshalb gibt es keinen Plan. Menschen versuchen, auf verstopften Straßen zu fliehen, Chaos wird ausbrechen. Falls es durch Regen zu einem Fallout kommt, werden die Metropole und das Umland hoch verstrahlt. Menschen, Autos werden zu atomaren Müll, der nicht aus der verstrahlten Zone darf, weil er sonst die Strahlung weiterträgt. Das darf man nicht aufschreiben, darum gibt es eben keinen Plan. Das Gebiet wird weiträumig abgesperrt und die Bewohner sich selbst überlassen, auch das darf man nicht niederlegen, schlecht für das Image der Atomindustrie. Alles im Einzugsgebiet des Fallout ist hochradioaktiv: Der Hamburger Hafen etwa wäre nicht mehr zu nutzen, womöglich für Hunderte von Jahren, Hamburg eine Geisterstadt wie Pripyat bei Tschernobyl. Das komplette Wirtschaftssystem Deutschlands würde zusammenbrechen. Und wohin mit fünf Millionen Menschen, falls es keinen Fallout gab und alle entkommen sind? Maßlose Übertreibung? Seit Fukushima haben alle die Bestätigung, dass alles möglich ist – auch das, was man sich nicht vorstellen kann. Das ist die Lehre aus dem GAU.

Das Beben, der Tsunami, der GAU in Japan haben die Welt verändert: Sie wird nie wieder so sein wie vor dem Unfall. Und es hat die politische Debatte verändert – Politiker sprechen davon, Meiler abzuschalten; für diese Äußerung hätten sie ihre Parteifreunde vor Fukushima als Radikale beschimpft. Abschalten wurde beim Wahlkampf zum opportunistischen Karten-Quartett, Links, Rechts und die Mitte versuchten sich beim Ausstieg zu überholen – wer hat mehr Meiler, einen hab ich noch.

Warum hat Tschernobyl die Welt nicht schon zum Umdenken gebracht? Vielleicht, weil der Bereich um das AKW in der Ukraine nicht so dicht besiedelt war wie Japan. Zudem sind wir heute via Web 2.0 überall live dabei. Die Informationsflut schaukelt die Welle der Empörung hoch. Fukushima vor zehn Jahren hätte nicht die gleiche Wirkung gehabt wie heute.

Tschernobyl, Fukushima, nicht zu vergessen Deepwater Horizon, es liest sich wie ein Best-of von Horrorfilmen. Die Umwelt wird zerstört, weil der Mensch aus Profitgier mit Leben und Ressourcen verschwenderisch und respektlos umgeht oder die Technik nicht beherrschbar ist. Denn je komplexer das System, desto anfälliger ist es für Störungen. Mal ist es ein Ventil, dann ein falscher Knopf oder schlicht Dummheit: In der Tiefsee bohren ist, als würde man im Nebel mit 180 km/h über die Autobahn fahren: Man weiß nicht, was passiert – nur dass etwas passiert, das ist sicher. Angenommen, ein Unfall wie im Golf von Mexiko ereignete sich in der Arktis: Es würde womöglich Monate brauchen, um überhaupt Schiffe dorthin zu bringen, die helfen könnten. Und trotzdem will man dort Tiefseebohrungen durchführen. Greenpeace war gerade im Golf von Mexiko und hat Öl gefunden: an den Stränden, im Sand. BP ist für die Säuberung zuständig, aber hier geht es um die Gewinne einer Aktiengesellschaft. Je sauberer es werden soll, umso teurer wird es. Noch Fragen, warum wir Öl finden?

Wie immer wird es das Business sein, das die Energieversorger zum endgültigen Umdenken bringt. Sobald die Politik die Rahmenbedingungen schafft, dass „Erneuerbare Energien“ ein sicheres Geschäft sind, werden die Atomfürsten zu Sonnenkönigen. Es ist auch beim Umweltschutz der Markt, der die Veränderungen herbeiführt. Das ist in Ordnung. Wir als Umweltschützer müssen weiter auf die Missstände aufmerksam machen, Lösungen „pro Umwelt“ aufzeigen und vor allem: einen langen Atem haben. Atomkraft ist seit 40 Jahren ein Thema bei Greenpeace, und schon viel wurde erreicht. Nun wartet mit dem Abschalten der Meiler der nächste Meilenstein.

Brigitte Behrens ist die Geschäftsführerin von Greenpeace Deutschland.

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