Bauch über Kopf

Der Gegenspieler von „iDog“ heißt „gerddim“. Oder nein, die Dinge sind komplizierter: Im Kern des, sagen wir, transatlantischen Gefechts prügeln sich „iDog“, „hdc“ und „Dingele“ verbal mit „gerddim“ und „gmail, wobei „gerddim“ „iDog“ mit „Sie verstehen von der USA ungefaher so viel wie eine Kuh vom Pulloverstricken“ noch relativ zahm angeht. „iDog“ fährt nämlich feingeistige Attacken wie: „den beiden wuensche ich noch ein schoenes aber kurzes restleben…“ und schlussfolgert: „erst wenn solche dinosaurier ausgestorben sind, kann die weit zur Vernunft finden, ich wuensche mir, dass den beiden nicht mehr geantwortet wird, sie haben es nicht verdient, lasst sie alleine labern – sie haben uns anscheinend sowieso nichts zu sagen, denn sie ignorieren andere meinungen in ihrer senilen torheit“. Offensichtlich reichte ihm die gut gemeinte, aber in der Anwendung eher an konventionelle Bewaffnung erinnernde unterstützende Replik von „majasdance“ („Sie verstehen von den USA ungefaehr so viel wie ein Fisch vom Fahrrad“) nicht. Trotz oder vielleicht auch wegen fehlender Eloquenz jedoch darf sich „majasdance“ des Wohlwollens der von ihm/ihr verteidigten Bewunderten sicher sein und wird zu weiterer Bewunderung eingeladen („Dingele“: „Wirklich ernsthaft unterhalte ich mich zu diesem Thema via email unter einer Domain von mir…“). Vermutlich mit Weltbildern ähnlich dem von „hdc“, der im fortgeschrittenen transatlantischen Meinungsaustausch die Rolle der USA im deutschen Nach-WW-2 zusammenfasst: „Die Amis kamen etwa später ins Reich (sie mussten zuerst sich den Magen vollhauen) u. wollten verkommenen Reichsdeutschen „democracy“ lehren… obwohl sie zuerst die Wehrmachtler u. SSler, die sechs Jahre Krieg überlebt hatten, in ihre US-Verhungerungcamps stecken mussten – das musste so sein…“

Ja… äh… Musste das wirklich sein? denkt der irritierte Leser und erinnert sich vielleicht noch schwach daran, wo er gelandet ist: nicht in einer Siegburger Gemeinschaftszelle, sondern im Leserkommentar-Block der Online-„Zeit“. Genauer: im Endloskommentar zu einem Artikel von Seymour M. Hersh. Die „Zeit“ druckte seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Demokratiepreises der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ ab: eine scharfe Abrechnung mit der Bush-Administration – was die Kommentatoren des Beitrags offensichtlich nur beiläufig interessierte. Sie nutzen das Forum stattdessen für jeweils eigene Abrechnungen.

Alles geht online – die Presse insbesondere. Kein Magazin, keine Zeitschrift, keine Zeitung ohne Netzvariante. War die Leserbriefseite früher, in Zeiten des Old Journalism, eine Sache am Rand, ein Service, den die Redaktion zusätzlich lieferte, so stellen die Kommentare bei „FAZ“, „SZ“ „Spiegel“, „Focus“ und dergleichen im Netz den eigentlichen Kern des Geschehens. Doch das „Mehr-Demokratie-Wagen“ der Netz-Euphorie wurde schnell zum Wagnis, denn Artikel wie der oben genannte ziehen mittlerweile eine Flut von Kommentaren nach sich, die a) gern mal nichts mit dem Thema zu tun haben, b) 10 bis 20 Mal so lang sind wie das Ausgangsmaterial, c) reichlich Raum für Verschwörungstheorien lassen und d) beherrscht werden von Selbstdarstellern, deren Intellekt und Stil daran erinnern, dass der Bauch des Menschen größer ist als sein Kopf. Und immer gilt das Gesetz: Themen, die polarisieren, spalten. Ralph Giordano spricht im „Focus“ von der Gefahr des Islamismus – kilometerlange Repliken. Die RAF wird in der „SZ“ und im „Spiegel“ exhumiert und posthumanistisch durchleuchtet – Antifa-Geschwurbel vs. Opfergedenken. Die Atom-Politik des Iran wird in der „FAZ“ kritisiert – prompt formieren sich nicht enden wollende Online-Terror-Einheiten des Für und Wider.

Natürlich ist immer auch ein bisschen „Second Life“ dabei. Im Sued-Cafe der SZ etwa tummeln sich Charaktere wie „Dr. Wo“, der genau weiß, wie die Wirtschaft zu retten ist und seinen Neo-Ludwig-Erhardismus missionarisch verbreitet. Oder „eiermeier“ („man nennt mich Matador“), der es in sieben Monaten auf 1200 Kommentare brachte. Interessant scheint auch „Predigen“ zu sein: „hi Prediger, du hast geschrieben: Ich hatte kein anderes Bild. Ich glaube an Jesus, aber ich glaube nicht an Pornographie und Frauen als Sexsklavinnen, ich antworte dir: der herr hat mich im mutterleib gebildet und er hat mich schön gemacht, ich faste viel und bete Jesus in Wahrheit und in gedanken ständig an.“ („spyware2“) Meine Güte, denkt da der geschundene Leser: In der guten alten Zeit konnte man sich mit misslungenem Qualitätszeitungs-Papier wenigstens noch den Hintern abwischen. Aber nun?

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