„Er ist keine Heulsuse“ – Bruce Springsteen und sein Klassiker „Born In The U.S.A.“

Hurra-Patriotismus? Das Album zur Krönung als Oberhaupt des hemdsärmeligen Stadionrocks? Vor 34 Jahren erschien Bruce Springsteens „Born in The U.S.A.“. Das Album spaltet die Meinung der Fans bis heute.

Das Cover ist so ikonisch wie ur-amerikanisch: Springsteens Allerwertester in Blue Jeans vor der US-amerikanischen Flagge, dazu ein weißes T-Shirt und ein rotes Baseballcap, die aus der Hintertasche hervorschaut. Mit „Born To Run“ war er 1975 zur Zukunft des Rock’n’Roll erkoren worden, mit „Born In The USA“ zementierte er gute neun Jahre später seinen Status als ungekröntes Oberhaupt des hemdsärmeligen „Heartland Rock“.

Ein Album, das ihn zum Superstar, aber auch zum umstrittenen Symbol machte.  „Ich habe keine Ahnung von Springsteens politischer Einstellung, wenn er denn überhaupt eine hat, aber auf seinen Konzerten werden Flaggen geschwungen, während er über harte Zeiten singt“, beschreibt der konservative US-amerikanische Kolumnist George Will 1985 etwas ratlos seinen Eindruck eines Springsteens-Konzerts, das er auf eine Einladung von E-Street-Band-Schlagzeuger Max Weinberg besuchte. Und weiter: „Er ist keine Heulsuse, und der Vortrag über geschlossene Fabriken und andere Probleme wird immer von einer großen, freudvollen Affirmation unterbrochen: Born In The U.S.A.“.

„Vietnam war der Arbeitstitel“

Es ist 1984, Ronald Reagan sieht dem Ende seiner ersten Amtszeit als US-amerikanischer Präsident entgegen. Den Schwur zu seiner zweiten Periode leistet er im Januar des darauffolgenden Jahres. Der Kalte Krieg ist in vollem Gange, genau so wie die Dreharbeiten zum zweiten Teil von „Rambo“. An dem Stück „Born In The U.S.A.“ arbeitet Springsteen bereits seit den Sessions zu „Nebraska“, der Titelsong entsteht eigentlich aus einer Auftragsarbeit für einen Film von Paul Schrader heraus.

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„Vietnam“ hieß das Lied zunächst, Springsteen lässt sich dann aber vom Drehbuchtitel Schraders inspirieren: „Born In The U.S.A.“. Und so entsteht sein wohl bekanntester Song. Weder wird „Born In The USA“ letzten Endes auf dem Soundtrack erscheinen, noch der Film so heißen: „Light Of Day“ kommt 1987 mit Michael J. Fox und Joan Jett in die Kinos, inklusive Springsteens gleichnamigen Song. Eine kleine Gastrolle hat übrigens Trent Reznor.

Das Stück an sich befindet Springsteen zwar für gut, jedoch will es nicht zum Rest von „Nebraska“ passen . Auch andere Lieder, die auf „Born In The USA“ landen werden, sind bereits fertig: „Cover Me“ und „I’m On Fire“. Die weiteren Sessions verlaufen lockerer als frühere Studioarbeiten, das meiste wird live eingespielt, es werden nur wenige Takes gebraucht. Als Springsteen gegen Ende des Jahres 1983 noch „No Surrender“ und „Bobby Jean“ aufnimmt, soll die Platte fertig sein.

Wäre da nicht der ROLLING-STONE-Kritiker und Manager Jon Landau: Der besteht auf eine Single, die Springsteens neuen, optimistischen und synth-getränkten Sound widerspiegelt. „Dancing In The Dark“ heißt diese Single, und sie komplettiert schließlich das achte Album des Sängers. Das Stück erscheint am 4. Mai 1984, genau ein Monat später steht auch das Album in den Läden.

https://www.youtube.com/watch?v=vO5kEqJdRxA

„Born In The U.S.A.“ wird Springsteens bekanntester Song. Es ist eigentlich ein Stück über Heimkehrer aus dem Vietnamkrieg in ein Amerika, das für Kriegsverlierer nur wenig übrig hat – also genau das Gegenteil von dem, wofür es allzu oft gehalten und rezipiert wurde – es ist kein Hurra-patriotisches Lied. „I had a brother at Khe Sahn / Fighting off the Viet Cong / They’re still there, he’s all gone / He had a woman he loved in Saigon I got a picture of him in her arms now / Down in the shadow of the penitentiary / Out by the gas fires of the refinery / I’m ten years burning down the road / Nowhere to run ain’t got nowhere to go“ heißt es im Stück, besonders viel Interpretations-Spielraum ließ der Text eigentlich nicht.

Der Working-Class-Held

Aber es schien seinen Zweck auch dann – oder vielleicht gerade dann – zu tun, wenn man textlich alles bis auf die Chorus-Zeile ausblendete. Das machte es zur perfekten Hymne für den Wahlkampf, für kämpferische, zwangsoptimistische Parolen, für ein Amerika in der Rezession.  „Die Zukunft Amerikas liegt in den tausenden Träumen in euren Herzen“, sagte Reagan damals bei einer Wahl-Ansprache, und fügte an: „Es liegt in der Botschaft der Hoffnung in den Songs, die so viele junge Amerikaner bewundern: New Jersey’s own Bruce Springsteen. Und euch dabei zu helfen, diese Träume war zu machen: Nur darum dreht sich meine Arbeit“.

Reagan sollte nicht der letzte Republikaner werden, der „Born In The U.S.A.“ für seinen Wahlkampf adaptieren wollte. Schließlich passte Springsteen (trotz der politischen Differenzen, die er mit den Republikanern hatte) wie die Faust aufs Auge in das Bild des Narrativs des „amerikanischen Traums“. Hier sprach schließlich ein Working-Class-Held, ein Blue-Collar-Rocker, ein „primus inter pares“ in ausgebleichten Blue Jeans und Bandana. Mit großen Gesten, kämpferisch von einem gebeutelten und geschundenen Brachland erzählend, vom sich Aufbäumen und Rauskommen, vom Licht am Ende des Tunnels. Von schlechtbezahlten Jobs und geschlossenen Fabriken. Durchhalteparolen und Versprechungen.

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Springsteen hatte sich schließlich zum Millionär hochgearbeitet.  All das ließ sich natürlich seit jeher wunderbar vereinnahmen. Es war konsequenterweise auch die Zeit, als der Musiker durch diese Vorkommnisse gezwungen war, über sich mehr denn je als politischen Künstler nachzudenken. Dass ihm jene vermeintlichen Missverständnisse natürlich nicht schadeten, sondern ihm im Gegenteil weitaus höhere Zuschauer- und Verkaufszahlen bescherte: selbstredend. Bis heute diskutieren Hörer über „Born in the U.S.A.“. Ist das hemdsärmeliger Hurra-Patriotismus? Eine Stadionmesse? Werden USA-Klischees bedient? Ist das Musik für den kleinen Mann mit großen Kleinbürgerträumen? Ein großes Missverständnis, oder einfach nur ein kalkuliertes?

Die Zeit überdauert

Abgesehen davon ist „Born In The U.S.A.“ in erster Linie eines: ein wirklich gutes Album, wenn auch mit Sicherheit nicht sein bestes. Springsteen meinte Jahre später einmal, dass „Nebraska“ und „Born In The U.S.A.“ – bis auf die Arrangements – gar nicht so unterschiedlich seien. „Born In The USA“ bietet die klassischen Springsteen-Motive, vielleicht mit einem Tick mehr Sex als früher. Die Zeiten sind immer noch hart, das Auto immer noch der Ausgangspunkt aller Träume.

Der Boss wird endgültig zur Pop-Ikone. Mit „Dancing In The Dark“ bewegt er sich soweit in Richtung Pop, wie es ihm möglich war, die Single funktioniert aber auch 30 Jahre später auf den Konzerten der E-Street-Band immer noch ausgezeichnet.

Überhaupt haben einige Stücke auf „Born In The U.S.A.“ den Test der Zeit bestanden: „Bobby Jean“ beispielsweise, das Springsteen über seinen Freund und E-Street-Band-Gitarristen Steven Van Zandt schrieb, der die Band kurz zuvor verlassen hatte . „We liked the same music, we liked the same bands, we liked the same clothes“, heißt es im Song, schon wieder so ein ikonischer Satz. Und später: „Just to say I miss you baby, good luck, good bye, Bobby Jean“, singt Springsteen – das erinnert an die Enttäuschung über die zerbrochene Freundschaft in „Backstreets“, nur dass heute Van Zandt wieder neben ihm steht, wenn er „Bobby Jean“ spielt. Oder „No Surrender“, mit der oft zitierten Zeile „We learnt more from a 3-minute-record, baby / Than we ever learnt in school“. Das hier war Springsteen-Ästhetik in Reinkultur, Pathos, der von Bon Jovi bis The Gaslight Anthem bis heute immer noch durch die Popmusik geistert. Und: Obwohl „Tunnel Of Love“ in dieser Hinsicht natürlich viel offensiver war, gingen die 80er-Jahre in puncto Ästhetik ging nicht ganz spurlos an „Born In The U.S.A.“ vorüber, die Synthesizer-Sounds bezeugen das.

„He not busy being born is busy dying“, sang Bob Dylan in seinem Song „It’s Alright Ma (I’m Only Bleeding)“. Springsteen war definitiv „busy being born“, und es waren eben zwei Alben mit „Born“ im Titel, die Eckpfeiler für seine Karriere waren. „Born To Run“ bedeutete „alles oder nichts“, „Born In The U.S.A.“ wiederum sicherte das „Alles“ in Riesendimensionen.

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