Champagner ist doch für Snobs – Rapper finden ihn trotzdem geil

Champagner ist und bleibt die Krone der Schöpfung und der Gipfel der Dekadenz. Das macht ihn vor allem bei den Posern so beliebt.

Champagner – so viel vorweg – ist eine Droge, die exzessiv konsumiert am besten schmeckt. Für ein Gläschen zu Silvester reicht der Aldi-Schampus oder besser noch ein guter Sekt oder Crémant. Wer nicht mehr als eine Flasche trinkt, wird die meisten Mittelklasseprodukte als trocken empfinden. Will man aber das ganze Potenzial der edlen Trauben auskosten, sollte man bereit sein, tief in die Tasche zu greifen.

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Ein großer Champagner – Gosset, Bollinger, Ruinart sind einigermaßen bezahlbar – offenbart seine Qualitäten erst nach der zweiten oder dritten Flasche. Wenn er dann nicht klebrig-süß, sondern noch genauso staubtrocken schmeckt wie beim ersten Schluck, löst er all die hirnsprengenden Glücksversprechen ein, die ihn seit Jahrhunderten so begehrt machen. Das muss nicht zwangsläufig orgiastischer Sex sein, sondern funktioniert genauso prächtig beim Hören eines Solos von Albert Ayler, eines Songs von Emmylou Harris oder eines Tracks von Anderson .Paak.

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Champagner ist und bleibt die Krone der Schöpfung und der Gipfel der Dekadenz, seit der Benediktiner­mönch Pierre „Dom“ Péri­gnon vor etwa 350 Jahren eher zufällig die genusssteigernde Wirkung der kleinen Bläschen entdeckte und die Grundlagen der heutigen Champagner-Herstellung legte. Es dauerte nicht lange und der europäische Hochadel war süchtig. Madame de Pompadour war berühmt für ihre Champagnerbäder, ein Brauch der die Revolution überdauerte und bis weit ins 19. Jahrhundert in den Pariser Boudoirs gepflegt wurde, wobei die hedonistischen Bürger nach vollendeter Orgie die Wanne ganz im Sinne der kapitalistischen Verwertungsökonomie leer zu trinken pflegten.

KRS-One schwärmte von Moëts

Den Deutschen hingegen galt Champa­gner, seit der Kaiser 1875 gebot, die Schiffe der Kriegsmarine nur mehr mit einheimischem Söhnlein-Sekt taufen zu lassen, als versnobt. Und so dauerte es – sieht man mal von Gunter Sachs’ Playboy-Kultur ab – bis in die 80er-Jahre, bis der Champagner wieder in Kultur und Gesellschaft hin­überschwappte. Ihre heutigen Milliarden­umsätze verdankt die französische Schaumweinindustrie nämlich weitestgehend der HipHop-Community.

Seit Kurtis Blow 1982 Champagner als Getränk des distinguierten Breakdancers empfahl, ist er zum Statussymbol der Szene avanciert. Eric B., die Beastie Boys, selbst der kryptokommunistische KRS-One und später Nas schwärmten in den höchsten Tönen von Moëts Dom Pérignon, während die aufstrebende Bling-Bling-Szene um Puff Daddy, Notorious B.I.G. und vor allem Jay Z den in goldfarbenes Zellophan gehüllten und in transparenten Flaschen abgefüllten Roederer Cristal favorisierten. Für dessen extravagantes Design zeichnete übrigens 1876 Zar Alexander II. verantwortlich, der aus Furcht vor anarchistischen Sprengstoff­attentaten keine undurchsichtigen Flaschen mochte.

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Cristal wurde zum Sinnbild der HipHop-Hybris, und das Haus Roederer verdiente wieder fast so gut wie damals am Zarenhof, bis – tja, bis CEO Frédéric Rouzaud 2006 im „Economist“ beklagte, dass er diesen Leuten nicht verbieten könne, seinen Stoff zu kaufen. Worauf Jay Z mit dem Video zu „Show Me What You Got“ zum bombastischen Gegenschlag ausholte und sich am Casino-Tisch statt eines Cristal eine Flasche des bis dahin völlig unbekannten Armand de Brignac bringen ließ. Die als „Ace of Spades“ gehypte Marke ging durch die Decke, während Roederers US-Umsätze um 60 Prozent einbrachen. 2014 kassierte Jay Z die Dividende auf seine Trickster-Nummer und erwarb die Mehrheit am Haus Brignac, das ihn zuvor bereits als Markenbotschafter fürstlich entlohnt hatte.

Champagner wird zum Alltagsgesöff

Doch damit hatte der Hype seinen Höhepunkt überschritten. 50 Cent machte es mit Chemin du Roi 2018 zwar nach, aber den neuen Rap-Göttern Lamar, Drake, Migos und Anderson .Paak scheint Champa­gner eher das täglich’ Brot zu sein. Auf dem Cover von „To Pimp A Butterfly“ halten die Homies ein paar Flaschen in die Kamera, doch das Ganze scheint so all­täglich wie Geldbündel und Handys, und das Etikett spielt offenbar auch keine Rolle mehr. ­Drake empfiehlt ihn zum Frühstück, Migos verspritzen sogar Billigsekt. .Paak dient er in „Heart Don’t Stand A Chance“ als Ausgangspunkt eines liebesverlorenen Stream of Consciousness, in dem Jimmy Dorseys „Blue Champagne“ nachhallt, dessen Ode an das blasse, auch einsame Trinker tröstende Gold heute so wahr ist wie 1941: „Bubbles rise/ Like a fountain before my eyes/ And they suddenly crystallize/ To form a vision of you.“

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