Darling, soll das Kunst sein? The Cramps spielen ihren Voodoo-Rock’n’Roll weiter jenseits aller Ironie

München, Elser-Halle. Seit über 25 Jahren für sie und ihn die erste Adresse für Geschnaube, Gepauke, gefährliches Getue. Dass die Cramps vielleicht ganz am Anfang Leute echt erschreckt haben, kann man sich höchstens vorstellen. Sie seien von Plattenfirmen als „arty crap“ abgelehnt worden, hat Poison Ivy im letzten „Mojo“ erzählt Und dass die Band sich irgendwann entschied, die Schminke noch dicker aufzutragen als vorher, weil die Zuschauer nur das Übertriebene richtig verstehen.

Die Kunst der Cramps besteht heute mehr im Stillhalten. Bassist Chopper Franklin, der noch nicht lange dabei ist, wechselt als einziger auf der Bühne die Stellungen und Posen durch, Ivy hat die Gitarre so schrill aufgedreht, dass selbst Hornhaut-Ohren davon wehtun, und spielt ansonsten die Unbeteiligte. In seinem Schwarzleder-Strampelanzug macht Sänger Lux Inferior von seinem früheren Talent, auf Befehl von der Rampe zu kotzen, keinen Gebrauch mehr und zappelt kaum noch, schleicht nur umher. Die Manier, das Mikrofon wie einen Schnuller im Mund zu halten, hat er allerdings beibehalten.

Baby-Musik. Der bekannte Voodoo-Rock’n’Roll, bemüht primitiv und unartikuliert wie die ersten Sprechübungen des Kleinkindes. Wenn die Cramps alte Favoriten wie „Garbageman“, neue und identisch verfasste Songs wie „Big Black Witchcraft Rock“ und Garagen-Coverversionen wie „Hang Up“ spielen (Lux Interiors fantastische Nuschel-Ansage: „This is a song by The Wailers, not Bob Marley & The Wailers, but The Wailers from Tacoma, Washington!“), kann man das auch andersrum hören: Zombie-Musik. Würden die großen Gestalten der fünfziger Jahre untot aus Gräbern und Flugzeugtrümmern klettern und mit verfaulten Fingern alte Gitarrengriffe nachstellen, klängen sie sicher wie die Cramps.

Da sind nicht nur Rockabillys in der Halle, wie ja kein Konzert jemals ein völlig homogenes Publikum hat. Die scharf geschliffenen Haarbalkons und Koteletten fallen bloß am meisten auf, weil sie im Stadtbild so selten zu sehen sind. Man soll sich auch nicht immer über die Leute mit extremen Geschmäckern und scheinbar rückständigen ästhetischen Idealen lustig machen – wahrscheinlich sind Cramps-Fans heute viel mehr indie als die Hörer uniformierter Emo-Bands. Ein blödes, gutes Konzert.

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