Das amerikanische Bild

In "Don't Come Knocking" blickt Wim Wenders auf den Mythos des Westerns zurück

Nevada, Montana und natürlich Utah mit seinem Monument Valley. John Ford hat viele seiner bildgewaltigen klassischen Western dort gedreht. Heute ist es zu Tode fotografiert, ein „touristischer Abenteuerpark“, sagt Wim Wenders. Etwas nordöstlich davon hat er dann auch beeindruckende Naturkulissen gefunden, die noch einmal das erhabene, urwüchsige Gefühl der Kinomotive von Freiheit spiegeln und nun seinen neuen Film „Don’t Come Knocking“ eröffnen: bizarre Steinformationen, die wie Augen aussehen.

Aber diese Aufnahmen sind doppeldeutig – würdevoll und wehmütig, ikonenhaft und ironisch zugleich. Wenders arbeitet den amerikanischen Mythos auf und zum zweiten Mal seit „Paris, Texas“ von 1984 mit Sam Shepard zusammen. Sie haben gemeinsam das Skript geschrieben über „einen Mann, der sein ganzes Leben verpaßt hat und jetzt versucht, es wiederzufinden“. Die universelle Geschichte ist aber auch ein „ironischer Rückblick auf den Western und die amerikanischen Werte“. Es ist ein tief enttäuschter Blick in Wenders schönstem, humorigstem und auch warmherzigstem Spielfilm der letzten Jahre.

„Don’t Come Knocking“ handelt von Howard Spence (Sam Shepard), einem alternden, abgehalfterten Western-Star, der kurzentschlossen vom Drehort seines neuen Films abhaut. Er sucht nach Jahren wieder seine Mutter (Eva Marie Saint) auf, wird sich dort über sein durch Alkohol und Affären verkorkstes Leben klar und erfährt, daß er einen Sohn hat. Während der Versicherungsagent Sutter (Tim Roth) seinen Spuren folgt, um ihn ans Set zurückzuholen, reist Howard zu Doreen (Jessica Lange), der Mutter des Jungen. Sie lebt noch im malerischen Goldgräberstädtchen Butte, Montana, wo er vor 30 Jahren den Western „Just Like Jesse James“ gedreht hat. Das Filmplakat hängt noch immer in der Kneipe. Doch Doreen weist ihn ebenso zurück wie sein schroffer, verunsicherter Sohn Earl (Gabriel Mann).

„Howard ist eine tragikomische Figur“, so Wenders. „Und das ist auch aus den amerikanischen Helden geworden- tragikomische Figuren, Anachronismen, die man nur noch mit ironischer Distanz betrachten kann.“ In einer Szene wendet Howard sich von seinem Spiegelbild ab, „da es ihn vor sich selbst graut. Amerika kann momentan ebenso wenig in den Spiegel sehen“. Und obwohl Wenders zunächst diese Sequenz als „einzige politische Parallele“ zuläßt, wimmelt es im Film doch vor Symbolik.

Wenders leidet an Amerika. Es ist seine „Wahlheimat“, er hat sich in seinen Filmen immer wieder mit dem Land befaßt, seine Kinovorbilder sind dort verwurzelt. Er besetzte für „Der amerikanische Freund“ den New-Hollywood-Rebellen Dennis Hopper und in „Hammett“ 1982 den alten Regie-Haudegen Samuel Füller. Aber da war der amerikanische Traum schon zerplatzt und Wenders analysiert seither mit europäischer Kulturbeflissenheit die Trümmer. Vietnam, der „Schock und die Erkenntnis über den ungerechten Krieg“ habe alles beendet, auch den Western, „das amerikanische Genre schlechthin, wo alle großen amerikanischen Ideen und Ideale abgehandelt worden sind“.

Die alten Helden sind tot, so wie sich Howards Mutter still beklagt, daß ihr Mann, ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, auf dem schmucken Soldatenfriedhof keinen großen Grabstein bekommen habe. Dafür war nach den vielen späteren Kriegen kein Platz mehr. „In jeder Kleinstadt gibt es Soldatenfriedhöfe“, sagt Wenders. „An ihnen sieht man, wie sehr Amerikas Geschichte von Kriegen geprägt ist.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Amerikaner „zu Recht viel Dankbarkeit erhalten für ihren Einsatz. Aber wenn sie so tun, als ob ihre heutige Politik diese Tradition fortsetze, ist das leider ein tragischer Irrtum. Und es ist wichtig, daß wir Europäer nicht aufhören, ihnen es zu sagen.“

Daß die Verweigerung gegenüber „Amerikas Hauruck-Politik“, wie Wenders es nennt, zuletzt hierzulande den Vorwurf des Antiamerikanismus provoziert hat. ficht ihn nicht an. „Mir kann man das schwerlich vorhalten. Ich versuche Amerika immer möglichst differenziert zu zeigen um zu sagen: So einfach ist es nicht mit diesem Land. Es sollte nicht verdammt werden, aber auch nicht glorifiziert wie von manch einem meiner deutsehen Kollegen in Hollywood. Europa hat in den letzten 6o Jahren auf beeindruckende Weise gelernt, Konflikte zu lösen, und eine erstaunliche Kultur des Dialogs geschaffen. Insofern können wir Europäer uns etwas zutrauen, ohne dadurch Antiamerikaner zu sein.“

Wie schwer das ist, erweist sich auch oder gerade an der Machtstellung Hollywoods. „Der Einfluß ist enorm, und er wird ja immer größer. Vor allem jüngere Leute lassen sich davon bewußt oder unbewußt leiten. Und weil die Bilder überwiegend aus Amerika kommen, ist der Widerspruch zwischen diesen Vorbildern und der dortigen Realität noch so horrender. Das Land ist so ausgehöhlt, ausgeblutet, kulturell leer und politisch tot, unbeweglich. Geht man jedoch ins Kino, sieht man genau das Gegenteil. Da ist Amerika noch ein Traum.“ Das klingt nach der üblichen Larmoyanz. Wenders ist zudem eine gewisse Arroganz nicht fremd. Aber es ist auch Enttäuschung herauszuhören, und Wenders ist nie der Autorenfilmer gewesen, der die intellektuelle Kuschelecke dem Kintopp vorzieht, auch wenn viele seiner Werke danach aussehen. Er hat allerdings selbst bei „Million Dollar Hotel“ mit Weltstar Mel Gibson, dessen Verpflichtung schon Sehnsucht nach einem Glamour voraussetzt, keine Kompromisse gemacht. Man hat manchmal den Eindruck, er kenne wie Howard, wie „all die einsamen Helden, die in jedem Western herumirren und nicht wissen, wo sie hingehören“, so Wenders, seinen Platz nicht.

Am deutschen Trauma, dem Mythos und der Geschichte des Dritten Reiches will er sich jedenfalls nicht abarbeiten. „Das wäre jetzt auch der falsche Zeitpunkt“, meint Wenders, der vor einem Jahr in einem „Zeit“-Aufsatz gegen „Der Untergang“ gewettert hat. „Mit dieser massiven Verharmlosung ist auf lange Sicht die große Chance verpaßt worden, sich mit dem Thema noch kritisch auseinanderzusetzen.“ Dennoch glaubt er nach wie vor an die des Kinos verändernde, verbessernde Kraft von Filmen. „Kino ist ein wichtiges Instrument, um eine Idee zu initiieren. Es hat die verdammte Pflicht, einen Wechsel aufrechtzuhalten. Denn sonst sehe ich nichts, was das leisten könnte. Rock’n’Roll hat das früher mal geschafft.“

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