Der Mann mit dem Goldhändchen für Talente: Seymour Stein ist tot

Fleetwood Mac, Punkrock und Madonna. Bereits mit 13 Jahren entdeckt ein Brooklyn Boy seine Liebe zur Popmusik. Daraus wird eine Saga von Risiko und Welterfolgen. Nun ist der legendäre Sire-Mitbegründer Seymour Stein verstorben. Eine Erinnerung an sein Lebenswerk.

Der altkluge Satz „So Etwas wäre Heute nicht mehr möglich“ fällt gelegentlich, wenn Stories und Legenden aus der klassischen Musikindustrie kolportiert werden; also die Ära vor dem (anfangs illegalen) File Sharing-Dienst Napster. Eine legendenträchtige Erfolgsstory, als das Showbiz noch analog funktionierte.

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Seymour Stein, dessen Plattenfirma Sire Records die Karriere von Madonna auf die Schiene bringt und auch frühe US-Punkrocker wie die Ramones oder die Grenzgänger von den Talking Heads weltweilt „breakt“, ist bereits am 31. März in Los Angeles verstorben. Nach einer längeren Krebs-Erkrankung, wie seine Tochter Mandy über das Wochenende bestätigte. Stein wurde 80 Jahre alt.

Anfangs als Liebhaber-Projekt gestartet, wird seine Schöpfung später vom Majorlabel Warner Music weltweit verbreitet. Stein selbst agiert exzentrisch und immer mit „Daumen in den Wind“, wie ein klassischer Indie-Entrepreneur.

Soundtrack einer Ära

Aus der US-Szene fördert er auch so unterschiedliche Künstler wie The Replacements, Lou Reed oder Ice-T. Das Fachmagazin „Hollywood Reporter“ schreibt zum Abschied: „Ein mit Geschmack zusammen gestelltes Mixtape mit Sire-Veröffentlichungen aus den 1980ern und 1990ern klingt wie der Soundtrack einer Ära“. Gary Kurfirst, der verstorbene Manager der New Yorker Wave-Pioniere Talking Heads, sagte anlässlich der Aufnahme des Labelchefs in die „Rock and Roll Hall of Fame“ im Jahr 2005: „Seymours Musikgeschmack ist immer ein paar Jahre weiter als der aller anderen“. Unbestreitbar ist Stein einer der größten „Artist & Repertoire-Manager“ (A&R) der modernen Musikgeschichte gewesen.

Sire macht bereits in den Sixties auf sich aufmerksam: Mit Alben der Damals-Noch-Blues-Rocker Fleetwood Mac und der niederländischen Art-Rock-Band Focus („Hocus Pocus“). Gegen Ende des Jahrzehnts stürzt sich Stein dann mit Verve in die NYC-Punkszene und nimmt viele Lokalhelden unter Vertrag, später auch New-Wave-Bands aus Großbritannien und Australien. Er vermarktete Acts von UK-Labels wie Rough Trade, Beggars Banquet oder Creation.

Seymour Stein brachte Madonna groß raus

Sein spektakulärstes „Eigengewächs“ ist jedoch Madonna, die anfangs ein Disco-It-Girl im Clubland von Manhattan war. Stein nimmt sie 1983 unter Vertrag. Die Sängerin wird mit Sire zum Superstar und kann dort drei Nummer-Eins-Alben, 10 Top-One Singles und insgesamt 23 Top-10-Hits landen, bevor sie 1992 ihr eigenes Label Maverick gründet.

In einem Statement vom Sonntagabend wird Tochter Mandy Stein zitiert:

„Ich bin umgeben von Musik aufgewachsen. Ich hatte nicht die konventionellste Erziehung, aber ich würde mein Leben und die Beziehung zu meinem Vater um nichts in der Welt ändern. Er war ein liebevoller und fürsorglicher Großvater, der jeden Moment mit seinen drei Enkelinnen genoss. Er hat mir den ultimativen Soundtrack geschenkt, und auch seinen feinen Sinn für ungewöhnlichen Humor. Ich bin unendlich dankbar für jede Minute, die unsere Familie mit ihm verbracht hat, und dafür, dass die Musik, die er in die Welt gebracht hat, das Leben so vieler Menschen auf positive Weise beeinflusst hat.“

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Karriere-Anfang mit „Billboard“

Der 1942 in Brooklyn geborene Seymour Steinbigle entert bereits als Teenager das amerikanische Musikbiz. Im Alter von 13 Jahren kommt er zum Fachblatt „Billboard“, wo er wie besessen die alten Charts der Zeitschrift von Hand kopiert. Unter der Ägide von Chart-Direktor Tom Noonan und Redakteur Paul Ackerman verfasst er als Teenager erste Rezensionen.

Nach dem Highschool-Abschluss geht Stein kurz zum College – und kehrt bald zum „Billboard“ zurück.

Er wechselt ins Labelbiz zu King Records, der Heimat von James Brown und anderen Top-R&B- und Country-Stars. Zurück in New York heuert er bei Red Bird Records an, einer Indiefirma, die von Label-Impresario George Goldner sowie den Hit-Songwritern Jerry Leiber und Mike Stoller betrieben wird, die auch diverse Songs für den jungen Elvis geschrieben haben.

Zusammen mit Produzent und Songschreiber Richard Gottehrer gründet er später Sire Records. Der Name ist ein Anagramm der ersten beiden Buchstaben der Vornamen der Gründer, die ins legendäre Brill Building im Herzen des Musikbiz von Manhattan einziehen.

Die ersten Jahre sind kommerziell eher mager. Durch eine Zusammenarbeit mit dem englischen Label Blue Horizon Records konnte das Unternehmen in den USA einige der frühen Blues-Songs von Fleetwood Mac veröffentlichen. Frühe Alben von britischen Bands wie Renaissance und Barclay James Harvest bringen zwar einige Radio-Platzierungen. Die Mühen der Ebene. 1973 dann der „Jodel-Hit“ der holländischen Band Focus Nach dem Highschool-Abschluss versuchte sich Stein kurz am College, bevor er hauptberuflich zu „Billboard“ zurückkehrte. Durch eine Zusammenarbeit mit Syd Nathan, dem Prokuristen von King Records in Cincinnati, wechselte er ins Labelgeschäft. Nachdem er zwei Sommer lang ein Praktikum bei dem Label absolviert hatte, trat er 1961 dem Unternehmen bei.

Seymour Stein mit Ice-T, Nicole Austin und Jorge Hinojosa

Seymour Stein und die Ramones

Nach Abgang seines Labelpartners arrangiert Stein auf Empfehlung seiner Gattin Ende 1975 eine Show der Ramones in New York. Obwohl er an diesem Abend 40 Grad Fieber hat, ist er hin und weg von der Energie und dem Image des Quartetts. Das selbstbetitelte Debütalbum der Band aus dem Jahr 1976 erreicht zwar nur Platz 111, führt aber Punkrock in Amerika zum Durchbruch. Die Gruppe, die später von Linda Stein gemanagt wird veröffentlicht elf erfolgreiche Studioalben bei Sire, bevor sie sich in den frühen 1990er Jahren auflöst.

Ein Besuch im Punk-Mekka CBGB in der New Yorker Bowery, wo die Ramones in Urwesen treiben auftraten, führt zu einer weiteren Begegnung. Stein ist auf der Spur der Brooklyn-Band The Shirts und stößt auf eine ADHS-Design-Studenten-Trio. Als Talking Heads werden sie zu einem der populärsten Acts von Sire, die in den elf Jahren ihres Bestehens in den USA neun Platin- und Goldalben herausbringen

Sire wird ab 1977 von Warner Bros. vertrieben und 1978 von diesem Unternehmen auch übernommen. In den Folgejahren nimmt Sire stilsicher die Musik einer Vielzahl von hochkarätigen Punk- und Post-Punk-Gruppen aus den USA und dem Ausland unter Vertrag. Zu dieser Zeit gehörten die Replacements (und später ihr Frontmann Paul Westerberg), Echo & the Bunnymen, Madness, die Undertones, die Smiths (und Leadsänger Morrissey), Everything But the Girl, Aztec Camera, Erasure, die Flamin‘ Groovies, My Bloody Valentine und Ride.

Ungeschlagen ist jedoch der Deal mit Madonna, nachdem Stein ein Demo von „Everybody“ gehört hat, während er sich von einer schweren Herz-Operation erholt. Der Rest ist Platin-Album-Geschichte.

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Die künstlerische Vielfalt spiegelt sich in einem weitem Künstler- und Künstlerinnen-Spektrum wider, darunter der ehemaligen Beach-Boys-Frontmann Brian Wilson, die kanadischen Country-Pop-Sängerin K.D. Lang, Seal, der Alt-Country-Band Uncle Tupelo aus Illinois und ihrem Rock-Nachfolger Wilco, die israelischen Sängerin Ofra Haza. Auch das späte Werk von Ex-Velvet-Underground-Chef Lou Reed erscheint bei Sire.

Evan Agostini Getty Images
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