Konzertbericht

Die Ärzte auf „Herbst des Lebens“-Tour: Begleitetes Altern in Potsdam

Die Ärzte beim Waschhaus Open Air in Potsdam – ROLLING STONE war beim ersten von zwei Konzerten live dabei.

NOSTALGIE PUR: Beim Waschhaus Open Air in Potsdam stehen zwar nicht die Flippers auf der Bühne, die lahme Floskel passt dennoch zur herrlich kitschig anmutenden „Herbst des Lebens“-Tour von Die Ärzte, bei der sie ihre selbstironischen Jokes übers Älterwerden auf die Spitze treiben. Schon das Intro aus Erinnerungsschnipseln macht ein bisschen wehmütig: Fans, einige davon im Tour-Shirt mit Rosen und döschig-verträumt blickenden Porzellanhunden, schauen sich verschwörerisch an. Was folgt, ist nicht weniger als ein Rundumschlag aus 30 Jahren neuerer Bandgeschichte – also jener Zeit, die auch Rod maßgeblich mitgeprägt hat. Einziger Ausreißer des Abends ist das in Berliner Mundart vorgetragene „Popstar“ vom 1988 und vorsintflutlich erschienenen Album „Das ist nicht die ganze Wahrheit“.

„Damn, Potsdäm!“

„So weit so Bill Kaulitz“, resümiert Farin nach dem Einstieg mit „Wer verliert, hat schon verloren“, „Lied vom Scheitern“ und der Fan-Lobeshymne „Ein Lied für dich“. Wir bekommen Tom Kaulitz am Bass, Winnetou mit dem explodierten Föhn und Heidi „Farin Urlaub“ Klum vorgestellt – das Highfield Festival, bei dem Die Ärzte und Tokio Hotel Ende August spielten, wirkt offenbar noch nach.

„Grüße an die Freunde im Parkhaus“, amüsiert sich Rod, der die Freeloader auf dem Parkdeck nebenan entdeckt hat. „Schön günstig!“ – oder wohl eher: Not macht erfinderisch, die wenigen Tickets für das kleine Event waren schließlich sofort ausverkauft. Warum also nicht den Wagen voller Bier neben der Venue parken und „bisschen abcornern bei Die Ärzte“. Lange hält der Spaß aber nicht an – denn während „1/2 Lovesong“ muss die Truppe ihren Tribünenplatz dann später anscheinend doch räumen.

Bei großen Ärzte-Shows gibt es die großen Hits, bei kleinen eben keine Hits – und heute? Da wird ein bisschen gemischt. Wer da nicht alles kennt, soll Erbarmen haben: „Uns geht‘s genauso, einige Lieder kommen uns sehr neu vor.“ Für riesige Freude sorgt Weird Al Yankovic im Publikum, oder zumindest einer, der genauso schöne Haare hat. Wann, wenn nicht hier, könnte man sich mal einen Song wünschen, denken sich dagegen Menschen mit unspektakulären Frisuren und halten Schildchen hoch. Einer möchte „Roter Minirock“ hören, ein anderer „Omaboy“ – ein Lied, das Bela schrieb, als er weit entfernt davon war, selbst „ein Opa zu sein“. Jetzt über faltiges Fleisch singen, „hat jemand nen Spiegel?“.

Alexander Gauland, bitte mal zuhören jetzt!

Die Ärzte ziehen stattdessen andere Songs vor – zum Beispiel „Einschlag“ vom Album „Dunkel“, das Bela Lehramtsstudentin Tuğçe widmet, die bei einem Akt der Zivilcourage im Jahr 2014 tödlich verletzt wurde. „Our Bass Player Hates This Song“ ist als subtiler Mittelfinger an die AFD zu verstehen und bei „Doof“ bittet Bela Alexander „Alex“ Gauland, doch bitte mal genau zuzuhören – er wohne doch schließlich nur zwei Straßen weiter.

Ein paar Anekdoten gibt es dann auch noch gratis dazu: So verraten Farin und Bela, dass „Trick 17 m. S.“ vermutlich bei Farin zu Hause aufgenommen wurde – gespielt haben sie ihn mehr als 20 Jahre nicht, für die „Herbst des Lebens“-Tour kommt das „lebensbejahende Stück Unterhaltung“ aber gerade recht. „Wir haben vorher gesaugt, es müsste alles in Ordnung sein“, läutet Farin das erste Finale des Abends ein: Für „Unrockbar“ soll das Publikum traditionell bis zum ersten Refrain sitzen – wer sich weigert, leide wohl an Inkontinenz.

Nach einiger BH-Bettelei fliegen in den drei Zugaben mit Hits wie „Deine Schuld“, „Hurra“, „Himmelblau“ und „Wie es geht“ dann doch noch ein paar schwitzige Dessous auf die Bühne – und etwas Undefinierbares, das nach Manfred riecht. „Habt ihr kein Zuhause? Wollt ihr etwa noch mehr?“ Dafür spricht der Publikumsspalt, der sich für „Junge“ auftut und unter „La Donna è Mobile“, „L’Italiano“ und „Vamos a la Playa“ immer größer wird, um schließlich als Wall of Death zu enden. Nach drei Stunden ist Feierabend: „War’s besser als Auto waschen am Sonntag?“ Keine Frage!

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