Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Burger unterm Americana-Mond

Die ROLLING-STONE-Redaktion war am Wochenende beim ROLLING STONE Weekender. Unser Kolumnist berichtete dafür vom Take Root Festival im niederländischen Groningen. Eindrücke von den Konzerten, u.a. Hurray For The Riff Raff, Chuck Prophet und Margo Price.

Folge 150

Die wichtigste Mission der letzten Woche bestand darin, irgendwo die großartigen Hurray For The Riff Raff live zu erleben.

Da ich beim ROLLING STONE Weekender Ladenverbot habe, reise ich daher kurzentschlossen zum Take Root Festival nach Groningen in den Niederlanden. Das Take Root Festival ist ein traditionsreiches Festival für sogenannte Americana-Musik, das bevorzugt von älteren Männern besucht wird. Ich war der achtjüngste Besucher, vielleicht sogar einer der zwölf weiblichsten. Zwei Grunderkenntnisse vorab: Hurray For The Riff Raff bestätigen live, dass sie eine der aufregendsten und politisch relevantesten Popbands dieser Tage sind. Und: Jason Isbell ist NICHT der neue Bruce Springsteen. Eher schon der neue Bryan Adams. Vielleicht auch nur der alte Jason Isbell. Hauptstraßenrock. Er wird ein Star werden.

Den Auftakt machten aber erst einmal im „Binnenzaal“ die Secret Sisters aus Muscle Shoals/Alabama. Leider riecht es im so kleinen wie überfüllten Konzertsaal so streng, dass ich sofort wieder die Flucht ergreifen muss. Draußen kommt Jim Lauderdale vorbei. Stimmt, der spielt ja auch hier. In der einen Hand hat er einen Gitarrenkoffer, in der anderen einen in Folie eingeschweißten gereinigten Anzug. Offenbar sucht er seinen Backstageraum.

Im Foyer spielen The Americans, die leider exakt so klingen (und aussehen) wie sie heißen. Eine Band, die beinahe den Eindruck erweckt, als sei sie nur gegründet worden, um die bisweilen doch arg folkloristische Rezeption vieler Americana-Bands in Europa mal so richtig satt überzubedienen. Ich gehe einen Burger essen.

Dann spielen auch schon Hurray For The Riff Raff im großen Saal. Alynda Segarra verströmt gleich vom ersten Moment eine ganz und gar eigene Mischung aus Coolness und Stolz, an der sich ein Großteil des Ü-45-Publikums erstmal ein Weilchen abzuarbeiten hat. „We are Americans“, sagt sie zum Einstieg, „but we come in peace.“ In ihren Songs verbinden sich Agitation, Selbstversicherung, politisches Pathos und traditionsbewusster Pop. Wenn sie nicht gerade mit kämpferischer Miene ihre Songs vorträgt, springt die Frau grinsend herum, als gelte es einen Wettbewerb zu gewinnen. Dann wieder zieht sie eine Schnute, dass man es dringend vermeiden möchte, ihr eine Beule in die Baskenmütze zu machen.

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Mit den sonst gängigen Um-, Neu- oder Andersdenk-Bemühungen junger Musiker mit Roots-Hintergrund hat das nicht mehr viel zu tun. Schon die frühen, noch sehr dem knarzigen Country-Folk verhafteten Platten von Hurray For The Riff waren groß: queere Themen und Migration spielten immer schon eine Rolle, aber es wurde noch ausgiebig gefiedelt und geklampft. Alynda Segarra hätte sich auf diesen Meriten bequem ausruhen können. Aber der Dreh der letzten Platte – dieses ganz und gar un-rootsige Pop-Flirren, die R’n’B-Elemente, all die Keyboards: Das  macht in Kombination mit den durch und durch mal wütenden, mal beschwörerischen Texten doch noch mal eine ganz neue Welt auf. Am Schluss hat sie alle hier in der Hand – ohne jede Ranschmeiße an die Festival-Konvention, ohne jede Gemeinmachung mit dem Publikum, ohne jede falsche Nashville-Seligkeit. „Pa’lante“ skandiert sie und reckt die Faust in die Luft, ein Herr mit Hut tut es ihr im Publikum nach. Der letzte Song ist Springsteens „Dancing In The Dark“, fast eins zu eins nachempfunden – und doch von dieser großartigen aufgekratzten Frau und ihrer Band umgedacht zum Party-in-finsteren-Zeiten-Anthem.

Im Binnenzaal spielen inzwischen The Como Mamas aus Como/Mississippi. Die drei älteren Damen erzählen und singen von Jesus und werden lediglich von zwei Zauseln an Mini-Schlagzeug und Gitarre begleitet. In „I Know I’ve Been Changed“ kündet Hauptsängerin Ester Smith Mae in einigen selbstverfassten Versen davon, wie sie nach langem Widerstand zu Jesus gefunden und den ganzen anderen Blödsinn hinter sich gelassen hat. Das ist so grandios, dass man geneigt ist, es ihr gleichtun zu wollen, leider riecht es im kleinsten Saal des Groninger Konzert-Gebäudes immer noch streng. Draußen kommt wieder Jim Lauderdale vorbei, er trägt jetzt eine Art Nudie Suit mit Yin/Yang-Logo. Jetzt sucht er wohl die Bühne.

Im großen Saal gibt sich Margo Price, eine Songschreiberin aus der Riege der neuen lässigen Outlaw-Country-Damen, die Ehre. Anders aber als etwa bei Badass-Königin Nikki Lane muss man bei Price schon sehr genau hinhören, um mehr als handwerklich perfekte Genre-Pflege zu hören. Erschwerend hinzu kommt, dass der Sound gar fürchterlich scheppert, Price’ großartige Stimme viel zu sehr hinter der fünfköpfigen Band verschwindet und nahezu jede Band hier, die hier nach Hurray For The Riff Raff die Bühne betritt, zwangsläufig nach Museum klingen muss.

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Den zweiten Höhepunkt des Abends liefert ganz klar Chuck Prophet. Wer braucht eigentlich einen neuen Springsteen, wenn Chuck Prophet mal eben ganz lässig und mit viel Humor darüber hinwegtröstet, dass wir Tom Petty nicht mehr haben? Auch bei Prophet, der natürlich Traditionalist durch und durch ist (aber eben auch Popper!), gibt es keine fade Genre-Pflege. Ein charmant überinszenierter Paralleluniversums-Hit jagt den nächsten, und Prophet fügt wild grimassierend dem Begriff „Rampensau“ etliche neue Bedeutungshorizonte zu. Was für ein Typ!

Vom faden Jason Isbell latsche ich erst zu den sympathischen Briten Curse of Lono und dann zu Eilen Jewell, die vorführt, wie man die Sache mit der Traditionspflege erledigen kann ohne allzu ehrfürchtig am handgeschnitzten Altar der Brauchtumspflege zu knien. Und immer, wenn Gitarrist Jerry Miller seine Einsätze hat, hängt ein fetter gelber Mond über Nashville.

Zuletzt schaue ich mir dann noch für ein paar Songs beim angehenden kalifornischen Country-Star Sam Outlaw vorbei, bin aber zu weit von der Bühne entfernt um mich vollends in die kompetent exekutierten Songs des Mannes zu versenken. Müde wanke ich ins Foyer. Jim Lauderdale kommt vorbei, scheinbar auf der Suche nach dem Ausgang. Ich habe seinen Auftritt verpasst. Wahrscheinlich war er großartig.

 

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