Es war einmal in Hollywood

Mit seinem neuen Film „Licorice Pizza“ beschwört Paul Thomas Anderson das Los Angeles seiner Kindheit herauf. Ähnlich wie Quentin Tarantino in „Once Upon a Time in Hollywood“ lässt er fiktive Figuren auf reale Gestalten der Filmgeschichte treffen. Eine kritische Betrachtung der beiden Regisseure, die als Großmeister ihrer Generation gelten

Ende der Neunziger besuchte Fiona Apple mit ihrem damaligen Freund Paul Thomas Anderson eine Hausparty bei Quentin Tarantino in den Hollywood Hills. Es wurde ein ätzender Abend für Apple: Sie schauten sich in Tarantinos Heimkino einen Film an, und die beiden jungen Regisseure bestätigten sich, mächtig zugekokst, gegenseitig ihr Genie. Nach dieser Erfahrung habe sie nie wieder Koks genommen, erzählte Apple dem New Yorker mal. Die Überheblichkeit der beiden Männer kam nicht von ungefähr. Sie waren die prominentesten Mitglieder eines neuen amerikanischen Independent-Kinos, galten als die Autorenfilmer-Genies eines neuen New Hollywoods. Und sie waren jung: Tarantino hatte mit Anfang dreißig für „Pulp Fiction“ (1994) die Goldene Palme von Cannes gewonnen, und Anderson war gerade 27, als sein „Boogie Nights“ (1997) für den Drehbuch-Oscar nominiert wurde. 

Heute sind beide in ihren Fünfzigern. Beide haben zuletzt ihren jeweils neunten Film gedreht, beides zweieinhalbstündige Epen, die im Los Angeles ihrer Kindheit spielen: Andersons „Licorice Pizza“, der dieses Wochenende startet, beschwört das Jahr 1973 herauf; Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019) spielt im Jahr 1969. Setzt man die Filme in Verbindung zueinander, wird offenbar, wie verschieden die beiden Regisseure auf ein kulturelles Klima reagieren, das ihren Status als Großmeister nicht einfach akzeptiert, sondern hinterfragt.

Tarantinos Film ist nicht zuletzt deshalb besonders faszinierend, weil er so reaktionär ist: Es geht um den Fernsehschauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und seinen Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), zwei weiße Männer um die fünfzig, die ihre besten Showbiz-Jahre hinter sich haben. Dalton hat sein Geld in besseren Zeiten klug angelegt und eine Villa in einer guten Nachbarschaft gekauft. So kommt es, dass er zumindest geographisch ganz nah bei den größten Stars des jungen Kinos ist: Roman Polanski und Sharon Tate (Margot Robbie) ziehen ins Haus nebenan ein. Die drohenden Morde der Manson Family sind das Schwert, das über den Geschehnissen hängt, sie sind die Quelle des Suspense, die den ausufernden Film zusammenhält.

Der Twist am Ende (wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte jetzt aufhören zu lesen): Tarantino schreibt die Geschichte neu. Mit der Kraft des Kinos rettet er Sharon Tate, und zwar durch DiCaprio und Pitt: Das Duo bringt die irren Hippies um, schmettert ihre Köpfe gegen Steinwände, flambiert sie. Von der Welt abgeschrieben, sind diese beiden Haudegen doch diejenigen, die letztlich triumphieren. „Once Upon a Time in Hollywood“ ist ein Western: Dalton und Booth (dies Namen!) beschützen unschuldiges Leben vor unzivilisierten Horden.

Auch im Zentrum von Andersons „Licorice Pizza“ steht eine platonische Beziehung an der Peripherie der Filmindustrie: Der 15-jährige ehemalige Kinderstar Gary Valentine (gespielt von Philip Seymour Hoffmans Sohn Cooper) steigt ins Wasserbetten-und Flipper-Business ein und verliebt sich in die 25-jährige Alana Kane (gespielt von Alana Haim aus der Band Haim). An einem Punkt kommt eine Cliff Booth-hafte Figur dazu. Der von Sean Penn gespielte Ex-Actionstar Jack Holden führt auf einem Golfplatz einen seiner alten Motorrad-Stunts auf. Er will, dass Alana hinter ihm auf der Maschine Platz nimmt. Sobald er losfährt, fällt sie hintenüber. Er merkt es nicht, macht seinen Stunt, crasht ins Gras, aber feiert sich trotzdem. Die Eitelkeit, das Geltungsbedürfnis, die Peinlichkeit–Tarantino wäre es niemals eingefallen, einen alten Helden so zeigen.

Licorice Pizza Paul Thomas Anderson
Alana Kane (gespielt von Alana Haim) auf dem Motorrad mit Jack Holden (Sean Penn)

Bei Anderson sind die in die Jahre gekommenen Männer Nebenfiguren, bei Tarantino sind sie die Protagonisten. Interagieren die älteren Männer mit jungen Frauen, gibt es bei Anderson die Ahnung einer Bedrohung, der Übergriffigkeit. Wir lernen Alana als Assistentin eines Fotografen kennen, der sie sexuell belästigt. Der von Sean Penn gespielte Actionstar, schummrig ausgeleuchtet, ist für sie eine mögliche Gefahr. Tarantino macht es genau andersherum: Da sind die Männer diejenigen, die sich vor den Avancen junger Frauen, Mädchen sogar, kaum retten können. Ein minderjähriges Mitglied der Manson Family will Brad Pitt unbedingt einen blasen. Er lehnt ab, mit Verweis auf die Illegalität des Akts. Sie ist die komplexeste weibliche Figur des Films.

Denn Margot Robbie als Sharon Tate ist makellos und schön und stumm, eine Erscheinung, die nicht spricht, die als guter Geist durch die Kulissen schwebt. Tate ist 26 Jahre alt, ein Jahr älter als Alana in „Licorice Pizza“. Alana hat schiefe Zähne, eine große Nase. Trägt sie Make-up, dann welches, das die Schauspielerin Haim selbst aufgetragen hat. Anderson interessiert sich für sie, für ihre Familie, ihre Träume, ihre Unzufriedenheit, ihre politischen Ambitionen. Sie ist ein Mensch. Tarantino hingegen ist nicht an Menschen interessiert, schon gar nicht an Frauen, sondern an ihrer Überhöhung, ihrer Stilisierung, ihrer größtmöglichen Ästhetisierung. Brad Pitt zieht sein Shirt aus und klettert mit Werkzeugkasten aufs Dach, ein griechischer Gott, der die Antenne repariert.

Beide Regisseure sind zu jung, als dass man die Filme einfach autobiografisch lesen könnte. Anderson war 1973 drei Jahre alt, und Tarantino war 1969 sechs. Aber unbestritten kehren sie hier zu frühen Prägungen zurück: die Songs im Radio, die Werbung im Fernsehen, die Restaurants, der Zigarettenrauch, das Lebensgefühl der Stadt. Zumal beide Filme „hangout movies“ sind, also Filme, die sich lange Zeit ohne erkennbaren Plot entwickeln; die Regisseure begleiten ihre Figuren unaufgeregt bei alltäglichen Erledigungen. Eine Stimmung, ein Lebensrhythmus wird heraufbeschworen, es müssen keine Handlungspunkte abgehakt werden. Es geht, in der Sprache Kaliforniens, um die „vibrations“.

 

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„Licorice Pizza“ spielt im San Fernando Valley, wo Anderson selbst aufgewachsen ist und immer noch lebt, einer Mittelklassegegend mit Einfamilienhäusern, Gewerbegebieten und Filmstudios. Ein Boden, den er schon mehrfach filmisch bearbeitet hat, nicht zuletzt in „Boogie Nights“, seinem ebenfalls in den Siebzigern spielenden Epos über die Pornoindustrie. Los Angeles ist nicht einfach der Drehort dieser Filme, sondern das wirkliche Setting. Man kann Andersons Filmografie, mit der Ausnahme des englischen „Phantom Thread“ (2017), als Chronik des amerikanischen Westens lesen, die vom Ölboom des frühen 20. Jahrhunderts („There Will Be Blood“) über die Traumata des Zweiten Weltkriegs („The Master“) und die Stoner-Seventies in Venice Beach („Inherent Vice“) bis eben zur Pornoindustrie des Valleys („Boogie Nights“) eine Genealogie des industrialisierten Amerikas entwirft, mit Kalifornien als kulturellem Zentrum.

Auch Tarantino, der im armen Süden von L.A. aufgewachsen ist, kehrt mit „Once Upon a Time in Hollywood“ in seine Heimatstadt zurück und lässt den Film nicht nur in den vornehmen Villenvierteln spielen. Während Rick Dalton in den Hügeln residiert, lebt der Stuntman Booth in einem Wohnwagen hinter einem Autokino, in Van Nuys, nur wenige Blocks entfernt von den Locations in „Licorice Pizza“. Tarantino, wie Anderson kein explizit politischer Filmemacher, nutzt hier die Topografie der Stadt, um die Klassenunterschiede aufzuzeigen. Ähnlich Anderson, der seine Figuren in die Hügel fahren lässt, um bei einem wohlhabenden Kunden ein Wasserbett zu installieren. Oben und unten, High und Low, im Los Angeles der beiden wird es offenbar.

Weder Tarantino noch Anderson sind auf eine Filmschule gegangen. Beide sind Autodidakten und kulturelle Allesfresser mit besonderem Interesse an wenig prestigeträchtigen Kulturprodukten: Groschenromanen, Genrefilmen, Popmusik, Pornografie. Sie sind Cineasten, Traditionalisten, drehen auf Film. In „Once Upon a Time in Hollywood“ wie in „Licorice Pizza“ lassen sie fiktive Figuren auf echte Charaktere der Hollywood-Geschichte treffen und greifen dabei auf ihr Nerdwissen zurück. Eine der denkwürdigsten Nebenfiguren in Andersons Film ist der frühere Frisör und Filmproduzent (und Mann von Barbra Streisand) Jon Peters, von Bradley Cooper als dauergeiles Koksmonster karikiert.

Quentin Tarantino und Paul Thomas Anderson mit den Schauspielerinnen Jennifer Jason Leigh und Maya Rudolph, 2015

Die Fiktionalisierung von Hollywood-Historie führte im Falle Tarantinos zu einer sehr kontroversen Szene: An einem Punkt arbeitet Cliff Booth als Stuntman am Set der Fernsehserie „The Green Hornet“ und legt sich in einer Drehpause mit dem Star Bruce Lee an. Ihr Stand-Off endet damit, dass Booth die Martial-Arts-Ikone gegen ein Auto schleudert. Lee, der einzige asiatische Hollywood-Star seiner Zeit, wird nicht nur als alberner, arroganter Fatzke charakterisiert; ein älterer weißer Mann besiegt ihn ohne Mühe im direkten Duell. Das ist natürlich eine Provokation Tarantinos. Er testet die Grenzen einer neuen politischen Korrektheit. Er stichelt.

Das macht Anderson in „Licorice Pizza“ auch, und ebenfalls geht es um Rassismus gegenüber asiatischen Menschen. Eine Nebenfigur, ein älterer weißer Mann, der sonst keine große Rolle spielt, spricht mit seinen japanischen Ehefrauen Englisch, benutzt dabei aber einen übertriebenen Akzent–als könnten sie ihn nur verstehen, wenn er die Karikatur eines Asian Americans annimmt. Das sind unangenehme Szenen. Der Unterschied zu „Once Upon a Time in Hollywood“ ist, dass Anderson den Rassisten zur Witzfigur macht, während Tarantinos Witz auf Kosten Bruce Lees geht. Rassistische Äußerungen galten in vielen Kontexten als völlig unproblematisch, vor dieser Wahrheit schreckt Anderson nicht zurück. So warmherzig sein Film grundsätzlich ist, er ist nicht naiv nostalgisch, und übersieht nicht, dass diese goldenen Zeiten für viele Menschen schrecklich waren.

Der Titel „Licorice Pizza“ fange für ihn ein jugendliches Lebensgefühl ein, sagte Anderson neulich; eine Plattenladen-Kette in L.A. hieß so, als er seine ersten Alben kaufte. Tarantinos Titel, „Es war einmal in Hollywood“, markiert seinen Film, in Anlehnung an Sergio Leone, nicht nur als Western–sondern auch als Märchen. Eine bittersüße letzte Einstellung, wie die hochschwangere Sharon Tate, von Rick gerettet, aus ihrem Haus tritt, während die Kamera immer höher steigt–und das reale Schicksal Tates dieses Happy End als sentimentale Fiktion entlarvt. Da zeigt sich in Tarantinos Film eine Wärme, eine Zärtlichkeit, die er sonst nicht zulässt. Die Andeutung eines Humanismus, den Anderson für sich mit „Licorice Pizza“ bereits vollendet umgesetzt hat. Vielleicht zieht Tarantino ja nach. Er will nur noch einen weiteren Film drehen. Es wäre ein schöner letzter Akt.

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Todd Williamson
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