ESC 2024: Der Fluch der Scheinheiligen

Das Finale ging versöhnlich zu Ende. Doch politischer Hass brachte die Grundwerte des Wettbewerbs ins Wanken

Am Ende stand eine versöhnliche Bilanz. Eden Golan aus Israel belegt mit ihrer Windmaschinen-Hymne „Hurricane“ Platz fünf der ESC-Endauswertung. Mit 375 Zählern gegenüber der 591 Siegerpunkte von Nemo aus der Schweiz. Eine bemerkenswerte Platzierung nach den sehr zögerlichen Experten-Stimmen. Aus Deutschland gab es immerhin acht Punkte. Die Zuschauer-Votings gaben den Ausschlag. Gleich 323 Punkte vom internationalen Publikum, zwölf davon aus Deutschland, reihten Golan in die Charts der bunten Puschelwesen und Techno-Pop-Tänzer ein, als wäre nichts gewesen. Ein schöner Erfolg für die 20-Jährige. Dabei war in Malmö 2024 nichts normal.

Die Buh-Rufe in der Halle gegen Golan waren nur der Schlusspunkt einer langen Reihe von Boykott-Aufrufen und Ausschluss-Forderungen aus den Reihen hunderter von Musikern und Musikerinnen aus Skandinavien und Irland. Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die immer mehr zum Roger Waters ihrer Generation wird, wurde mit Palästinenser-Tuch um den Hals von der Polizei abgeführt.

Gerade biestig auch das Verhalten der Musiker-Kolleginnen und -Kollegen untereinander: Die griechische Kandidatin Marina Matti stellte sich schlafend, als Eden Golan bei der Pressekonferenz sprach. Der wegen Rüpelei ausgeschlossene Niederlande-Kandidat Joost Klein hatte sich angeblich geweigert, zwischen Golan und Talk Tolerant aus Luxemburg (der jüdischer Abstimmung ist) ins Rennen zu gehen. Das Engagement gegen den Gaza-Krieg bekam den Charakter einer privaten Hexenjagd. Etwa wenn die genderfluide irische Teilnehmende Bambi Thug („Doomsday Blue“) erklärte, sie und ihr Team hätten geweint, als sich Golan für das Finale qualifizieren konnte – nicht vor Freude geweint. Golan: ein Musikerin aus Israel als Chiffre des Bösen.

Eden Golan bei der Performance ihres Songs „Hurricane“
Eden Golan bei der Performance ihres Songs „Hurricane“

Backstage und in den Gängen hielten sich die Kolleginnen von Golan fern, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. „Einer der wenigen, der hier Mut bewiesen hat, ist der deutsche Kandidat Isaak. Das bedeutet mir persönlich viel und ich bin mir sicher, dass es auch Eden so geht. Beim Song Contest geht es um das verbindende Element der Musik, nicht um politischen Hass!“, erklärte Tal Dort, Vize-Chef des israelischen ESC-Fanclubs in einem Interview.

Mit dem Mantra-mäßigen Hinweis zum unpolitischen ESC-Charakter hielt die veranstaltende EBU die Tage von Malmö einigermaßen im Fahrwasser. Man hatte jedoch den Eindruck, dass die Verantwortlichen einen Brandherd nach dem anderen austreten mussten. Links und rechts aggressives Mobbing. Dass die Hamas am 07. Oktober ein Musikfestival überfallen und dort hundertfach gemordet hat, wurde dagegen mit keinem Wort erwähnt. Ein scheinheiliges Rumoren.

Die Last des Nahost-Kriegs war für den harmlos-schrillen ESC einfach einige Tonnen zu schwer

Denkt die Boykott-Fraktion wirklich, der palästinensischen Bevölkerung in ihrer Not wäre mit gefühligem, aber dennoch antisemitischem Rumpeln nur einen Moment geholfen, wenn etwa Eden Golan ihren Song nicht hätte singen dürfen? Warum unterstützt man nicht die inner-israelische Antikriegs-Bewegung?

Gerade wenn man bedenkt, dass der ESC jahrzehntelang als Termin für nicht ganz ernst zu nehmende Parties gefeiert wurde, dann war der diesjährige Slogan „United By Music“ nur ein flüchtiger Schatten. Am Ende eine versöhnliche Platzierung für Eden Golan. Doch die Last des Nahost-Krieges war für den harmlos-schrillen ESC einfach einige Tonnen zu schwer.

JESSICA GOW TT News Agency/AFP via Getty Ima
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates