Gunter Blank geht essen: Gottlos in Frankreich

Frankreich gilt noch immer als Heiliger Gral der Kochkunst – doch der Mythos hat sich verbraucht. Über eine Epiphanie an der Autobahn.

Das Verhältnis des Kolumnisten zu Frankreich und dessen Küche ähnelt einem Country-Song über enttäuschte Leidenschaften. Wer im Süden Deutschlands aufwuchs, wünschte sich wie im alten Degenhardt-Chanson früh, Deutschland läge westlich vom Rhein. Dort gingen die Arbeiter auf die Barrikaden, und das Essen stand in dem Ruf, der biederen deutschen Hausmannskost meilenweit überlegen zu sein. Bœuf bourguignon, Foie gras, Austern, Hummer: Frankreich schien alles bereitzuhalten, was bei uns als Delikatesse ersehnt und so gut wie nie zu bekommen war.

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Man wollte endlich essen wie Gott in Frankreich, fieberte dem ersten Frankreichurlaub entgegen, und tatsächlich schmeckten ein Schinken-Käse-Baguette am Strand von Saintes-Maries-de-la-Mer oder ein Menü aus Salade niçoise, Bouillabaisse und zum Abschluss Crêpes Suzette in einer Touristenfalle in Biarritz wie eine Offenbarung.

Man kehrte beglückt nach Hause zurück und begann auf einen Herbstferien-Trip nach Paris zu sparen, wo man sich dann auf der Rive Gauche und natürlich keinesfalls auf dem Boulevard Saint-Michel, sondern unbedingt in einer der vermeintlich günstigen Seitenstraßen mit Rotwein aus Ballongläsern die zähen Filets und zerkochten Kartoffeln schöntrank. Ja, man hätte auch ins La Coupole gehen können, aber so richtig gut ist das Essen dort auch nicht.

In Frankreich kann man (auch) richtig gut schlecht essen

So häuften sich die Enttäuschungen, zahllose Landgasthöfe auf der Route zu den südfranzösischen Campingplätzen nagten mit schalen Suppen, trockenen Pâtés und noch trockeneren Fischen am Glauben an das Hochamt der französischen Küche. Nur einmal, als der zusehends frustrierte junge Mann, der den Unterschied zwischen Hotel- und Restaurant-Besternung nicht kannte, praktisch sein ganzes Urlaubsbudget in das Menü des Restaurants eines Avignoner Fünfsternehotels investierte, verließ er nach dem Genuss von Zwiebelsuppe, Bœuf Stroganoff und einer opulenten Käseplatte sowie einer Flasche Saint-Émilion das Etablissement – abgebrannt, aber beglückt. Und ja, an die Austern an den Atlantikstränden dachte man schon auf der Rückfahrt mit Wehmut.

Doch dann brachen die Achtziger an, Paris verblasste, die neuen Sehnsuchtsorte hießen New York, Austin und L.A., die neuen kulinarischen Vorlieben Reuben Sandwich, Chili con Carne und Enchiladas. Das neue Jahrtausend schließlich begann mit der spanischen Kochrevolution, die die französischen fetten Saucen und luxuriösen Zutaten mit ihren aus einfachen Produkten herausgekitzelten Aromen-Explosionen wegfegte.

Dennoch glühte bei dem Gedanken an Limousin-Lämmer, Bresse-Hühner und die zahllosen hervorragenden Käse beim Durchqueren der Grande Nation die alte Leidenschaft immer mal wieder auf. Sie wurde jedoch im Haute-Cuisine-Restaurant oder im Landgasthof meist bitter enttäuscht. Der leckere Coq au Cidre in der Normandie und ein festliches Mahl in einem Schlösschen in der Champagne verblassten schnell, während halb rohe Zwiebelkuchen und uninspirierte Lammkarrees im Elsass traumatische Erinnerungen hinterließen.


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„Tja“, kommentierte ein mit einschlägigen Erfahrungen im angrenzenden Schwarzwald aufgewachsener Freund, „in Frankreich kann man richtig gut schlecht essen.“ So ist es – und doch keimte kürzlich nach all den Jahren der Frustration plötzlich wieder Hoffnung auf. Ausgerechnet in der Banlieue von Orleans, in einem hoffnungslos trist, direkt an der Autobahnausfahrt gelegenen Seafood-Schnellrestaurant mit dem für Frankreich überraschenden Namen The Black Pearl erlebte der Verfasser eine Epiphanie.

Zwischen Rentnern in beigen Bequemschuhen und Beyoncé und Jay-Z nacheifernden Bling-Bling-Kids wurde ihm eine über die Maßen preiswerte Variation der besten Austernsorten aufgefahren. Und während er als Hauptgericht die besten Moules frites (Miesmuscheln mit Pommes) und ein fantastisches belgisches Blonde genoss, fehlte nur noch, dass Captain Jack Sparrow aus dem Gebälk hüpfte und zum Dessert einen Becher Rum spendierte.

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