Festivalbericht

Hurricane 2015: So war der Sonntag – mit Florence + The Machine, Noel Gallagher, The Notwist u.v.m.

Der Sonntag auf dem Hurricane-Festival - mit Auftritten von Florence + The Machine, Noel Gallagher's High Flying Birds, The Notwist, Casper, Death Cab For Cutie u.v.m.

Tag Drei beim Hurricane – und das Wetter hält (vorerst). Auf dem Weg zum Festivalgelände treten viele Besucher bereits den Rückweg an, die letzten Tage haben bei ihnen sichtbar Spuren hinterlassen.

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Death Cab For Cutie

Death Cab For Cutie sind seit jeher eine Band auf der Suche nach ihrem eigenen Stil, ihrem eigenen Weg, ihrer eigenen Besetzung und Identität. Seit letztem Jahr ist Gitarrist Chris Walla nicht mehr dabei, vielleicht klingen die Songs auf der neuen, höchst experimentellen Platte „Kintsugi“ deshalb so wehmütig. Natürlich hat die Gruppe immer noch ein großartiges Gespür für Melodien (zu hören im zuweilen düsteren „Black Sun“, wesentlich offenherziger noch beim fast schon kitschigen „Little Wanderer“), setzt aber mit einer Melange aus 80er-Jahre-Wave und  harten Gitarrenanschlägen neue Akzente. So bittersüß wie einst klingen die Amerikaner nicht mehr, aber als sie ihr Set – natürlich – mit „Transantlanticism“ ausklingen lassen, zeigt sich, dass das Erzeugen von Gänsehaut immer noch zu ihrem Standardrepertoire gehört.

Olli Schulz

Als Olli Schulz im blauen Business-Hemd die Bühne betritt, wird deutlich, welches Standing der Hamburger Alleskönner mittlerweile genießt. Die Zuschauer stehen bis weit hinter den zweiten Wellenbrecher vor der „Red Stage“. Ein Blick auf die Bühne verrät, dass Gisbert zu Knyphausen wieder einmal Teil der Tour-Band des immer hagerer werdenden Schlackses ist. Insgesamt stehen zwei Gitarristen auf der Bühne, Entlastung für Schulz, der anders als früher nur noch selten selbst zu diesem Intsrument greift. Er kommt beschwingt auf die Bühne und stellt seine Gruppe als „Bio-Band“ aus Berlin vor, die garantiert „laktosefreie Sounds“ dabei hat. Neben vielen neuen Stücken von seiner aktuellen Platte „Feelings aus der Asche“ spielt der Entertainer auch einige ältere Stücke wie „Die Ankunft der Marsianer“. Einen kleinen musikalischen Scherz erlaubt er sich auch: Weil er schon des Öfteren „Wonderwall“ live gespielt hat, kann er es sich nicht verkneifen, den Oasis-Klassiker auch zu spielen, während zeitglich der Engländer mit seinen High Flying Birds auftritt. Dazu ermutigt Schulz seine Fans, so laut mitzusingen, dass Gallagher es bei seinem Gig auf der „Blue Stage“ garantiert mitbekommen wird.

Noel Gallagher’s High Flying Birds

Noel Gallagher kommt allerdings erst kurze Zeit später auf die Bühne, aber vielleicht konnte er den Singalong des Publikums ja backstage noch hören. Anders als Showman Schulz ist der Sänger nicht als großer Unterhalter bekannt. Ein knappes „Thank You“ nach jedem zweiten Song, mehr will ihm eigentlich nicht über die Lippen kommen. Wie gut, dass sich der Brite immer schon auf seine Liedkunst verlassen konnte. Er spielt einige Stücke seines im Februar erschienenen Solo-Albums „Chasing Yesterday“, bevor er mit „Diggys Dinner“ erstmals auf den Oasis-Katalog zurückgreift. Die Mundwinkel tendenziell nach unten gerichtet, in enger Lederjacke, wirkt Gallagher stets etwas gelangweilt, doch dabei könnte es sich um eine Fehlinterpretation handeln. Es dürfte sich dabei eher um die Konzentration eines musikalisch durchaus limitierten Gitarristen handeln, der aber mit großem Perfektionismus versucht, das Beste aus sich herauszuholen. Beim obligatorischen „Don’t Look Back In Anger“ als Abschluss lockt Gallagher das anfänglich eher zurückhaltende Publikum aus der Reserve. Groß und Klein singen andächtig mit.

The Notwist

Zum experimentellen Raum wird die Bühne bei The Notwist. Die Band aus Weilheim hält sich nicht an gängige dramaturgische Konventionen, sondern hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit jedem Konzert ihre Kunst geradezu improvisatorisch neu auferstehen zu lassen. Manchmal wirkt es ein wenig so, als befände man sich im Musikhochschulseminar „Krautrock“. Es ist beeindruckend, welche Spannung The Notwist ganz ohne Showeffekte und Tamtam zu erzeugen in der Lage ist. Anders als auf ihren LPs kann die ehemalige Post-Hardcore-Band ihren filigranen Songs live noch wesentlich mehr Dynamik abgewinnen. „Pilot“ (aus ihrem Großwerk „Neon Golden“) verwandelt sich im Mittelteil zu einem technoiden Stampfer, während Frontmann Markus Acher sich am DJ-Pult sampelt; „Run Run Run“, vom jüngsten Werk „Close To The Glass“, dehnt sich auf keine Sekunde langweilige zehn Minuten aus. The Notwist verstehen sich selbst als  Musikhandwerker, die ihr Material verfeinern, bis es hoffentlich ihren Ansprüchen genügt (mehr als ein verhuschtes „Tausenddank“ bekommen die Zuschauer deshalb auch nicht von Sänger zu hören). Dass dies anscheinend nie der Fall ist, macht die Band zu einer der besten Live-Acts in diesem Land.

Casper

Weniger subtil ist der Slot von Casper. Statt mit seiner Begleitband wird der Mann aus Extertal nur von eimen DJ begleitet. „Ich will alle eure Hände sehen und ihr sollt springen – bis in die letzte Reihe!“, fordert der Rapper auf. Es funktionert. Casper, der mit bürgerlichen Namen Benjamin Griffey heißt, hetzt schier atemlos durch die Stücke, springt und hüpft, klopft sich gegen die Brust. „Ihr könntet auch bei Florence + The Machine sein und auch Paul Kalkbrenner zieht viele Menschen – aber ihr hier, das bedeutet mir sehr viel“, gibt er zu Protokoll und wirkt sichtlich gerührt. Die Rap-Show, die hier geboten wird, ist im besten Sinne „old school“ und untermauert Caspers Qualitäten als Wortakrobat mehr als deutlich.

Florence + The Machine

Es mag ein frommer Wunsch sein, dass das Beste erst zum Schluss kommen möge, aber im Fall von Florence + The Machine, soweit darf vorgegriffen werden, stimmt das tatsächlich. Was die Sängerin mit ihrem Publikum anstellt, hat etwas Magisches: Wie betört von ihren eigenen Worten tanzt und huscht Florence Welch in einem blütenweißen Kleid über die Bühne, ohne auch nur einen Moment den Atem zu verlieren. Schon der erste Song („What The Water Gave Me“) gibt den Takt für eine Messe vor, in der Spiritualität, Anmut und kollektives Zusammensein gefeiert werden. Die neuen Fanfaren aus „How Big, How Blue, How Beautiful“ fügen sich wie selbstverständlich in das himmelhochjauchzende Gesamtwerk ein. Die Engländerin genießt es, ihre Fans zum Kuscheln und Schwelgen zu animieren. Wer sich gerade kennengelernt hat, soll sich umarmen; wer sich liebt, soll die Hände in die Höhe halten. Ergreifend geraten die Bläsereinsätze, markerschütternd singt der Chor. Die Sängerin lädt sich einen Fan auf die Bühne, der kostenlose Umarmungen verspricht und Welch so ausgiebig herzt, dass man für einen Moment Angst um sie hat. Doch die gute Fee, die während des 80-minütigen Auftritts mehrmals zum Stagedive ansetzt und  glückstrunkenen Mädchen ihre Hände reicht, lässt sich auf einen ekstatischen Tanz mit ihrem Verehrer ein. Mit den letzten Liedern („You’ve Got The Love“, „Dog Days Are Over“ und „Kiss With A Fist“) wird das Hurricane-Gelände dann endgültig zum Tanzplatz. Als Welch wie benommen von der Bühne hetzt, können es viele Zuschauer gar nicht glauben, was ihnen gerade widerfahren ist. Ungläubig schauen sie zur Bühne, schweigen, juchzen, rufen heiser Zugabe – bis auf den Bildschirmen das Festival für beendet erklärt wird.

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