Gedanken über Iggy Pop: Anaconda auf Speed

Der Proto-Punk Iggy Pop war immer der eleganteste unter seinen schmutzigsten Vertretern.

Es fällt schwer, sich Iggy Pop, auf einem Golfplatz in Florida vorzustellen. Aber dorthin hatte es den Godfather Of Punk Anfang der 1970er-Jahre verschlagen. Als Green Keeper wässerte er den Rasen und ließ sich Dollarscheine von sonnengegerbten Rentnern zustecken.

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Seine Band, The Stooges, hatte sich in alle Winde zerstreut, gescheitert an Drogen-, Alkohol- und Geldproblemen, nach zwei epochalen und kommerziell erfolglosen Alben. Er sei kein schlechter Golfer gewesen, heißt es, doch schon bald steckte Iggy wieder im Heroinsumpf, und darin wäre er womöglich auf ewig versunken, hätte ihn nicht ein prominenter Fan zu einer Party nach New York eingeladen. Das war 1972 und der Fan hieß David Bowie.

Der golfende Junkie wurde 23 Jahre zuvor als James Newell Osterberg geboren. Er wuchs in einem Trailer-Park in Ypsilanti, Michigan, auf, südöstlich von Ann Arbor und 60 Kilometer westlich von Detroit. Es waren karge Verhältnisse, aber eine glückliche Kindheit. Sein Vater, ein von schwedischen Einwanderern adoptierter Waise, arbeitete als Lehrer und schenkte seinem Sohn ein Schlagzeug, das Elternschlafzimmer diente als Übungsraum. „Ich ging mit den Kindern reicher Eltern zur Schule, aber ich fühlte mich reicher als sie“, erzählte Iggy später. „Meine Eltern investierten ihre ganze Herzensbildung in mich, ich fühlte mich behütet und durfte alles ausprobieren, was mich als Heranwachsender interessierte.“

1966: Als Drummer (und Student) an der University of Michigan. James Osterberg, Jr. tritt mit seiner Band The Prime Movers bei einem Gartenkonzert auf

James war gerade mal 16, als er mit adrettem Seitenscheitel und weißem Nadelstreifen-Sakko bei einer Tanzkapelle namens Iguanas hinter dem Schlagzeug saß und Bo-Diddley-Songs coverte. Er bekam seinen Spitznamen, spielte auf Highschool-Bällen und im Vorprogramm der Shangri-Las und zwei Jahre später in der Blues-Combo The Prime Movers. 1967, Iggy war 20, gründete er mit den Brüder Ron und Scott Asheton sowie dem Bassisten Dave Alexander eine Band namens The Psychedelic Stooges. Ihre ersten Sets klangen ein bisschen als seien sie die unbeholfenen Kinder der Mothers Of Invention, doch dann sahen die vier Stooges Auftritte der Doors und MC5 und konzentrierten sich auf das Wesentliche: rohe, unbehauene Rocksongs und Iggys siedende Performance, die Mick Jagger wie einen Chorknaben aussehen ließ. Er wälzte sich mit seinem rippendürren, nackten Oberkörper auf der Bühne, rieb sich Erdnussbutter auf die Brust und ritzte seine Arme, er sprang in die Menge, bewegte sich wie eine Anaconda auf Speed.

1970 mit den Stooges

„Keine andere Band in der Geschichte des Rock’n’Roll konnte es mit ihrer Kombination aus hartem Pochen, Blues-A-Billy-Schmutz, einem Schuss Psychedelia, den angstgetriebenen Lyrics und dem knurrenden, gockelhaften Gebaren ihres Frontmannes aufnehmen“, sagt Stooges-Fan und ­-Dokumentator Jim Jarmusch. „Iggy war wie ein Leopard. Er vereinte Nijinski, Bruce Lee, Harpo Marx und Arthur Rimbaud in sich. Die Stooges hatten kein Vorbild, doch sie beeinflussten viele.“

Die Stooges waren die Proto-Punks

Gemerkt haben es damals aber nur die Wenigsten. Die Stooges waren Ende der 60er-Jahre eine lokale Größe rund um Detroit, und hätte der ehemalige Warhol-Assistent und junge A&R-Manager Danny Fields die Band nicht im Vorprogramm der MC5 gesehen, wären sie es vielleicht auch geblieben und auf einer Nugget-Compilation versenkt worden. Fields holte die Stooges zu Elektra und heuerte John Cale als Produzenten an.

Ihr Debutalbum öffnet mit „1969“, einer Wah-Wah-Gitarre, Handclaps, und stoischem Rhythmus-Riff: „It’s 1969 OK all across the USA / It’s another year for me and you / Another year with nothing to do”. Ein Ausrufezeichen, damals kaum wahrgenommen, ein Proto-Punk-Hammer wie auch „No Fun“, das sich die Sex Pistols sieben Jahre später einverleibten, oder die hämmernde Sexfantasie „Now I Wanna Be Your Dog“. Am Ende der Platte steht ein Song namens „Not Right“, in dem Iggy sich über ein „Girl“ beschwert, das „not right“ ist, aber je länger er faucht und lamentiert, desto klarer wird, dass er selbst nicht ganz in Ordnung ist. Und dieses Nicht-ganz-in-Ordnung-sein, die blutende Haut, das durchgestreckte Kreuz, das Hundehalsband, die No-Fun-Haltung unterschieden Iggy Pop von den breitbeinigen Rock-Rolemodels seiner Zeit. Der hier roch nach Gefahr und er schien sie auch zu suchen. John Cales Verdienst ist es, Ron Ashetons sägende, hochtönende Gitarre nach vorne gestellt zu haben (auf dem murmelnden, kryptischen 10-Minuten-Quark „We Will Fall“ spielt er zudem Viola).

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Auch das folgende zweite Stooges-Album, „Funhouse“, verkaufte sich schlecht. Auch hier gab es den Song zum Jahr, „1970“ und das selbsterklärende „Loose“, Hymne aller Dropouts. James Williamson hatte die Gitarre von Ron Asheton übernommen, der wiederum den Bass vom alkoholkranken Dave Alexander übernahm (der aus der Band flog und 1975 starb). Don Galucci (der Kopf hinter den Kingsmen, in deren Vorprogramm der junge Iggy mit den Iguanas gespielt hatte) produzierte eine Spur stringenter als John Cale, er zog den Stooges-Sound straff und ließ Williamson auf der Gitarre toben. Iggy Pop drückte Heroin. Und er sang besser denn je. Unter seinem Gefauche war so etwas wie Soul zu spüren.

… Und dann kam West-Berlin

Die Band zerfiel. Iggy ging golfen. Und traf David Bowie, den Superstar aus London, ein Fan der Stooges. Er ging mit Iggys neu formierter Band im Herbst 1972 ins Studio, sein Manager Tony de Fries sorgte dafür, dass das Material für „Raw Power“ anschließend ein bisschen aufgehübscht wurde (wie „Gimme Danger“ und „Search And Destroy“ ursprünglich geklungen hatten, erfuhr man erst Jahre später, als die Originalbänder veröffentlicht wurden). Es nutzte nichts, auch dieses Album ging unter. Die Band zerfiel erneut.

Es sollte fast 35 Jahre dauern, bis Iggy noch einmal die greifbaren Reste seiner legendären Band zusammentrommelte und zwei weitere, einigermaßen ehrbare Stooges-Platten aufnahm, die man natürlich nicht brauchte, es gab ja schon drei, und die waren inzwischen ziemlich legendär.

1977: David Bowie and Iggy Pop gemeinsam auf Tour, hier in San Francisco

Mitte der 70er-Jahre hing Iggy Pop mit seinem Gitarristen James Williamson ab, dokumentiert auf der furiosen Krachplatte „Kill City“, trieb sich herum, nahm Drogen, trat hier und da auf, ließ sich schließlich erneut von David Bowie einfangen und nach West-Berlin schaffen. Dort bewohnten sie die notorische Altbauwohnung an der schmucklosen vierspurigen Hauptstraße im Stadtteil Schöneberg, teilten Drogen und Drogenentzug, gingen seltener aus, als es die Legende will, Bowie flirtete mit Romy Haag, dem Expressionismus und dem Chic der Weimarer Republik (und dem Albert Speers wohl auch), während Iggy mit der Fotografin Esther Friedman um die Häuser zog (Ende der 60er-Jahre hatte er schon einmal eine kurze Liaison mit einer deutschen Künstlerin gehabt: Nico).

Die Anaconda war nun trocken

Das WG-Leben in Berlin war weniger aufregend als die Musik, die dabei entstand. Bowie nahm „Low“ und „Heroes“ auf, er produzierte „The Idiot“ und „Lust For Life“ für Iggy Pop. Er verschaffte ihm eine neue Identität. Während die britischen Punkbands Iggy und die Stooges als Geburtshelfer verehrten, schrieb er mit seinem Freund Bowie Songs, die New Wave vorwegnahmen. Kurz hintereinander 1977 veröffentlicht, brachen Iggy Pops erste Solo-Alben nicht nur mit den Stooges, sie brachen mit Punk, noch bevor die Sex Pistols ihren ersten Plattenvertrag brechen konnten. Sie waren „Iggys einzige Alternative zur Selbstzerstörung“, wie der „Village Voice“-Kritiker Rogert Christgau schrieb.

Beide Platten, das noch nihilistisch angefressene „The Idiot“, wie auch das sonnigere „Lust For Life“ zeigen den sexy Glamrocker Iggy Pop, und natürlich ist Bowies Einfluss mehr als deutlich. Der saß übrigens bei Iggys Solotour auf der Bühne am Klavier, ein Musiker im Dienste der nun trockenen Anaconda. Bis heute schunkelt der unkaputtbare Gassenhauer „The Passenger“ aus Autoradios und Kneipen, beschallt das durch „Trainspotting“ zu spätem Zweitruhm gekommene „Lust For Life“ Abiwiedersehenspartys.

Hier hätte Schluss sein können. Aber Iggy Pop nahm zahlreiche weitere Platten auf. Konsolidierende („New Values“), innovative („Zombie Birdhouse“, produziert von Chris Stein), überraschend erfolgreiche („Blah Blah Blah“, produziert von Bowie), überraschend gute („American Caesar“), überraschend zarte („Avenue B“), mäßige („Party“), schlechte („Instinct“, produziert von Bill Laswell), grottenschlechte („Brick By Brick“), chansonierende („Préliminaires“), spättriumphale („Post Pop Depression“, produziert von Josh Homme) und Cool-Jazz („Free“).

Iggy heute

„An vieles erinnere ich mich nicht mehr“, erzählte Iggy Pop Jahre später über seine Zeit mit den Stooges in Detroit. „Manchmal wachte ich morgens auf mit einem Brummschädel, blutigen T-Shirt und etwas Grünen, das aus meinem Penis rann.“

Man muss Rock’n’Roll nicht romantisieren, aber Iggy Pop war natürlich immer der eleganteste unter seinen schmutzigsten Vertretern. Eine Anaconda auf Speed, gerne auch ein Leguan im Sessel. Iggy Pop lebt übrigens in Miami, Florida, in der Nähe eines Golfplatzes.

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