Jazz-Hop? Hipper Jazz? Nun rührt die deutsche Jazzkantine um

Als zu Beginn der 90er Jahre der Acid Jazz aufkam, waren sich Akademiker und Oldtimer der Szene selten einig: Was die Kinder da spielen, ist Ketzerei. Mit Samplern plünderten Rapper aus London und Brooklyn zu Computerbeats die greisen Götter und riefen: We can jazz! Nun bietet sich mit der Jazzkantine jenes Feindbild an. Zumal das Projekt von Musikern aus Braunschweig stammt, die House-Tracks für Vorstadtdiscos produzieren und ab Jugendsünde den Gary Glitter imitiert haben sollen.

Alles Animositäten. Ole Sander, Christian Eitner und Mattahis Lanzer war bewußt, daß sie mit der Jazzkantine zwischen Plagiat und Pionierarbeit eingeordnet werden würden. Erstmals greifen hierzulande Rapper und Jazzer konsequent den Fusionsgedanken auf, den zuletzt Bands wie Us 3 und Jazzmatazz vorgegeben haben. Das selbstbetitelte Debüt der Jazzkantine lehnt deren Einfluß nicht ab. „Wir sind nicht die Erfinder“, sagt der Keyboarder Jan-Heie Erchinger. „HipHop ist nach der urbanen Monotonie des einen Baß-Tons bei der Sehnsucht nach Harmonik angelangt.“ An diesem Bedürfnis rühren die 27 Jazz-lnstrumentalisten und Rapper der Jazzkantine mit unerhörtem Stilwillen, über den angloamerikanische Vorbilder staunen sollten. Zwischen Digitaltechnik und Diskurs, Archetypus und Albernheit lösen sich Dogmatismen auf wie Brühwürfel.

Am Anfang stand eine Idee für die Provinz. Im eigenen BPM Studio konzipierten Bassist Christian und DJ Ole 20 Song-Skelette auf Basic Tapes, die sie befreundeten Rapper und Jazzer gaben. „Sie sollten sich dazu einen Kopf machen“, sagt Matthias Lanzer, „Noten aufschreiben, Piano oder Saxphon einbauen und so ihre Vorlieben mit denen der anderen verbinden.“ Die Ergebnisse leitete er an junge Rapper weiter, „die voher nie oder nur als Samples mit Jazz zu tun hatten“. Die Novizen phrasieren den Jazz in ihren Texten allerdings bis zur Penetranz. „Wir wollten von konventionellen Themen wie Rassismus weg“, erklärt Christian. Ihr Jazz soll halt Spaß machen. Manche Zeilen ähneln daher Karnevalsreimen, ihr Erklärungsdrang im Booklet nervt. „In Deutschland muß man immer beweisen, warum man was macht“, ärgert sich Jan-Heie. Und Matthias möchte gerne ein „Zusammengehörigkeitsgefühl aus Liebe zu dieser Musik“ beschwören.

Immerhin wissen die Initiatoren der Jazzkantine, was sie reden und spielen. Als Anthologie des Jazz gilt ihnen „Back On The Block“ von Quincy Jones, der für Christian die „Entwicklung des Jazz vom Gospel bis zum HipHop“ nachvollzogen hat Ebenso haben sich die Jazzkantinen-Musiker von allem anregen lassen, was seit unter Slogans wie Jazz Thing oder Jazz-Hop zum hippen Jazz wurde: funkige Gitarren, sanfter Sprechgesang und soulige Stimmen, Soli mit einer Kelle Groove. Mehr als ein halbes Jahr ist die Platte gewachsen. Smudo von den Fantastischen Vier stieß dazu, der Trompeter Joo Kraus bot sich an sowie der Vipraphon-Veteran Gunter Hampel, der unter anderem im Intro eine exzellente „Vorspeise“ serviert. So kamen neue und alte Schule zueinander und die Jazzkantine zu unerwarteten Dimensionen. Die Promis stehen natürlich oben auf der Namensliste. Der tumbe Talker Reinhold Beckmann patzte, da er „Respekt“ als neuen Song von Smudo ankündigte.

Die Jazzkantine muß sich nicht schämen für ihre Euphorie, mit der sie ein Ölbild als Cover anfertigt, Stereo-Zeichen im Blue Note-Design preßt und Jazz keinem Fazit unterwirft. Jan-Heie, der sich als Schüler „sechs Jahre bei einer zickigen Jazz-Koryphäe den Arsch aufgerissen“ hat, verteidigt gar Dixieland. „Ich kann zwar nachvollziehen, daß dieser Stil als Bierblasmusik gilt Aber es ist gemein, weil viele verkopfte Jazzer in solchen Bands die Kohle zum Leben erspielen.“

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