Keiner singt für Bush

Jeder amerikanische Präsident, der eben wiedergewählt wurde, hat die schlechtesten Umfragewerte von allen amerikanischen Präsidenten, die je gerade wiedergewählt wurden – das ist ein ehernes Gesetz der Demoskopie. Dass nur noch 29 Prozent der Amerikaner ihrem Präsidenten zuprosten, ist doch nur deshalb bemerkenswert, weil es immer noch 29 Prozent sind. Frauen, Schwarze, Hispanos, Exil-Asiaten, Schwarzarbeiter, Mittelständler, Intelligenzija, Arbeiter, White Trash, Arbeitslose und Hollywood-Schauspieler können ja nicht darunter sein. Rock-Musiker auch nicht.

Vor nicht einmal zwei Jahren war die „Vote for Change“-Kampagne gescheitert, Ohio war verloren, da konnte Bruce Springsteen sich noch so innig vom hölzernen John Kerry knuddeln lassen. Dass erst jetzt der Widerstand des Kultur-Establishment spürbar werde, ist natürlich eine Fama. Pearl Jam waren mit Bruce dabei, haben nun eine sogar für ihre Verhältnisse erstaunlich pessimistische Platte vorgelegt, auf der die Songs „Life Wasted“, „Unemployable“, „Comatose“ und „World Wide Suicide“ heißen. Springsteens Sammlung von Folk-Songs und Spirituals, wiewohl nicht explizit politisch, bekommt erst vor dem Hintergrund des Aktuellen einige Brisanz. Sogar ein Album des amerikanischen Musikforschers und Produzenten T Bone Burnett überrascht mit finsteren Tönen zum „Zombieland“. Und die in Berlin lebende Megäre und durch sexuelle Provokationen auffällig gewordene Peaches nennt ihre neue Platte fröhlich „Impeach My Bush“, das bisher gelungenste Beispiel für frivolen Protest.

Und dann ist da natürlich Neil Young, ein notorisch wackeliger Kandidat in allen politischen Fragen, dessen Hang zum störrischen Einzelgängertum, dessen gebrochener Patriotismus – gebrochen auch, weil er Kanadier ist – und der Drang zu bizarren Auffassungen schon mehrfach Befremden ausgelöst hatten. In den 80er Jahren pries er die Atomkraft und erkannte Gutes in Ronald Reagan, bald darauf inszenierte er – inspiriert vom ersten Golf-Krieg – eine infernalische Tournee durch die USA, die er mit dem Abspielen von Jimi Hendrix‘ Woodstock-Version des „Star-Spangled Banner“ beginnen ließ. Später spielte er ein elektrisch zerdehntes „Blowin‘ In The Wind“. Die Live-Platte samt Konzertfilm nannte Young dann „Weld“, dazu gab es eine Rückkopplungs-Orgie namens „Arc“. Man sieht Leuchtfeuer am Himmel, eine ölige See, verklebte Vögel, amerikanische Tarnkappenbomber und ein junges Gesicht unterm Stahlhelm: der symbolische Krieg eines Mannes, der früher „Even Richard Nixon has got soul“ gesäuselt hatte.

Widersprüche, Ambivalenzen, Paradoxien – derselbe Young hatte auch „Ohio“ geschrieben angesichts des Mordes an vier Studenten, er hatte in „Thrasher“ das verheuchelte Hippietum seiner Kollegen verabschiedet und im Jahr 2002 mit der unfassbar tumben Hymne „Let’s Roll“ einen Racheakt herbeisingen wollen: „We’re going after Satan/ On the wings of a dove/ You got to turn on evil/ When it’s coming after you.“ Das sah George Bush junior genauso. Allein, es war ja nicht bloß die Verfolgung jener Terroristen, die man in Afghanistan vermutete und später völkerrechtswidrig in Guantanamo festsetzte – zugleich begann der Aufmarsch gegen den Irak, der (wie man heute weiß) nichts mit der al-Qaida und den Anschlägen zu tun hatte.

Derweil, nach einem Gehirn-Aneurysma und einem Album über die alten Zeiten, hatte Neil Young noch einmal nachgedacht, und jetzt verfolgt er George Bush.

Auf „Living With War“, einer spontan aufgenommenen Protest-Platte, die er selbst als „Metal Folk“ bezeichnet, zürnt der Alte gegen den Krieg und die Regierung, aber auch in altbekannter Weise („Ain’t singin‘ for Pepsi, ain’t singin‘ for Coke“) gegen den „Restless Consumer“, der sich dumpf der normativen Kraft des Faktischen ergibt. Auch das Motiv vom verlorenen Paradies, seit „After The Gold Rush“ vertraut, klingt in „After The Garden“ wieder an, desgleichen die Freiheit als Freiheit („Flags Of Freedom“) und die Familie als Familie („Families“); das Megafon, durch das er „Need no more lies!“ zetert, kennt man aus der schrulligen Dorferzählung „Greendale“. Jedenfalls lärmt alles sehr schön. Bitte beachten Sie auch die Rezension des Kollegen Maik Brüggemeyer in dieser Ausgabe.

Ich sage nur so viel, naturgemäß zynisch: Onkel Neil ist ein volatiler politischer Sonntagsfahrer. Und der heute sakrosankte, weil tote Johnny Cash sang damals für die „Operation Wüstensturm“. America the beautiful.

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