KLASSIK-TEMPEL

In der episodenartigen 3d-dokumentation „Kathedralen der Kultur“ haben sich sechs Regisseure jeweils einem berühmten Bauwerk gewidmet. Robert Redford etwa besuchte mit der Kamera das von Louis Kahn entworfene Salk Institute im kalifornischen La Jolla, der kürzlich verstorbene Michael Glawogger führt durch die russische Nationalbibliothek,

und Wim Wenders, der Initiator des Projekts, hat der Berliner Philharmonie eine Stimme gegeben -nämlich die von Meret Becker -und zeigt die Menschen, die das Gebäude zum Leben erweckt)en: vom Architekten Hans Scharoun über Chef-Philharmoniker Sir Simon Rattle bis hin zu der Frau, die regelmäßig das fast allabendlich von Stöckelschuhen malträtierte Bodenmosaik restauriert.

Der Potsdamer Platz scheint eine große Faszination auf Sie auszuüben, wie man etwa schon in „Der Himmel über Berlin“ sehen konnte. War der Ort einer der Gründe, warum Ihre Wahl auf die Philharmonie fiel?

Einer der Gründe sicherlich. Der Potsdamer Platz hat mich nicht nur filmisch enorm interessiert, und er spielt ja auch im „Himmel über Berlin“ und in „In weiter Ferne, so nah!“ eine große Rolle. Und dann später noch einmal in „Gebrüder Skladanowsky“. Dass ich mit eigenen Augen solche Umwälzungen an einem einzigen Ort, sozusagen exemplarisch, sehen und mit einer Kamera festhalten konnte, das war schon der nackte Wahnsinn!

Im Grunde hätte ich auch das andere Gebäude auswählen können, das der Hans Scharoun da in dieses Niemandsland gesetzt hatte, rund um den Potsdamer Platz, nämlich die Nationalbibliothek. Aber weil ich die im „Himmel über Berlin“ schon so in den Mittelpunkt gestellt hatte, dachte ich, dass ich mich mit „Kathedralen der Kultur“ seinem anderen Meisterwerk widmen könnte, der Philharmonie. Die wurde ja praktisch zeitgleich mit der Mauer gebaut

Der Film heißt „Kathedralen der Kultur“. Unter einer Kathedrale stellt man sich ja eigentlich ein altes pracht-und prunkvolles Gebäude vor. Die Philharmonie hat eher eine funktionale Architektur und wurde von Berlinern aus diesem Grund „Konzertschachtel“ getauf t. Was macht sie trotzdem zu einer Kathedrale?

Ich glaube, da muss man nur einmal reingehen, um keine Sekunde zu zögern, dieses Haus eine Art Kathedrale zu nennen. Die Philharmonie ist natürlich kein Sakralbau, aber doch eine hohe Kirche der Musik. Ein Dombau sozusagen, der dem Zelebrieren von Musik gewidmet ist. Und die zentrale Rolle, welche die Bühne in der Philharmonie spielt – man kann ja von allen Seiten auf das Orchester hinunterschauen -, hat auch durchaus etwas von der Position des Altars in einer Kathedrale. Auch da ist das die Mitte, auf die alles hinführt.

Können Sie sich an Ihren ersten Besuch in der Philharmonie erinnern? Welchen Eindruck hatten Sie? Hat Sie diese Erfahrung geprägt?

Mein erster Eindruck war wirklich der Hammer. Das war in den frühen Siebzigern, als ich noch nicht in Berlin lebte. Ich hatte eine Karte für ein Konzert von Miles Davis in der Philharmonie ergattert. Die Musik war großartig, und Miles Davis live erleben zu dürfen war auch toll. Aber das eigentliche Gänsehauterlebnis war das Gebäude. So was hatte ich noch nie gesehen. Ich hatte das Gefühl, ganz physisch: Das ist die Moderne! Jetzt habe ich die Zukunft betreten!

Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright hat mal gesagt, Architektur sei das Leben selbst, das Form angenommen habe, und daher das wahrhaftigste Zeugnis der menschlichen Existenz, wie sie gelebt wurde und gelebt wird. Was erzählt uns die Philharmonie über das Leben von gestern -und über das von heute?

Man kann eigentlich nur staunen, wenn man heute zum ersten Mal in die Philharmonie in Berlin kommt, dass dieser Bau 50 Jahre alt sein soll. Gut, in vielen Details sieht man das, aber in seinem Ganzen ist vor allem die Konzerthalle selbst unglaublich modern geblieben. Ich habe bei meinem ersten Erlebnis, damals zu Beginn der 70er-Jahre, dieses Gebäude für eine Art Utopie gehalten. Da spiegelte sich auch eine utopische Gesellschaft, eine offene Gesellschaft wider, wie man sie sich in der Anfangszeit der jungen deutschen Bundesrepublik erträumt hatte. In diesem Haus war dieser Traum manifest geworden. Was an der Philharmonie „historisch“ ist, kann man gut nachvollziehen, aber was sie faszinierend macht, ist alles das, was an ihr (und in ihr) zeitlos ist. Die bedingungslose Liebe zur Musik zum Beispiel

Es ist nicht der Architektur vorbehalten, vom Leben zu erzählen. Das gilt für den Film auch. Sehen Sie Parallelen zwischen der Arbeit eines Regisseurs und der eines Architekten -etwa in der Art, wie man sich einem Ort nähert und ihn in das eigene Werk hineinnimmt?

Absolut! Ich habe einige Architektenfreunde, und da haben wir in vielen Gesprächen diverse Parallelen zwischen unseren Berufen festgestellt. Nicht nur in den Arbeitsabläufen, sondern auch schon im Ansatz. Meine Arbeit zum Beispiel ist äußerst geprägt vom „Ortssinn“. Für Architekten ist der das A und O. Aber auch meine Filme fangen allesamt damit an, dass ich einen Ort habe, an dem ich etwas erzählen und für den ich die richtige Geschichte finden will, eine, die nur da und nirgendwo anders stattfinden kann. Wenn das nicht von Anfang an so ist, fühle ich mich fehl am Platz. Dann weiß ich nicht mal, wo ich die Kamera hinstellen soll. Ich muss den Ort mögen und eine Beziehung zu ihm haben. Das war in diesem Fall mit der Philharmonie überhaupt keine Frage.

Können Sie sich an Momente in ihrem Schaffen erinnern, in denen ein Gebäude einen Film entscheidend prägte, in denen der Architekt quasi der Co-Drehbuchautor war?

Die Installation „If Buildings Could Talk“ ist völlig geprägt von einem Gebäude der japanischen Architektin Kazuyo Sejima. Diese Arbeit war eine Art Pilotprojekt für „Kathedralen der Kultur“. Und wenn wir uns im „Himmel über Berlin“ für die Nationalbibliothek als den Wohnort der Engel ausgedacht hatten, dann war der Architekt Hans Scharoun sicher für diese Idee verantwortlich. Oder „Million Dollar Hotel“ – der ganze Film spielt in diesem einen Haus, das um die Jahrhundertwende in downtown Los Angeles entstand, im euphemistisch so genannten „Million Dollar District“.

In welchem Verhältnis steht für Sie das Erleben von Musik zum Ort?

Mein „Hauptort“ für das Musikerleben ist seit je on the road. Ich höre Musik wahnsinnig gern im Auto, im Flugzeug oder im Zug. Und da auch gern über Kopf hörer. Wenn ich die Dinge auflisten sollte, die zuerst für jede Reise eingepackt werden müssen, dann wären das zuallererst iPod und Kopf hörer. Ich gehe aber auch noch oft und gern ins Konzert. Aber da vermeide ich inzwischen die Spielstätten, die einen notorisch schlechten Klang haben. Ich hasse es, Musik schlecht zu hören! Auf meinem iPad ist auch nur unkomprimierte Musik, und in Kopf hörer hab ich auch schon mehr investiert, als ich zugeben möchte. Ich bin nicht so gern in riesigen Hallen, weil die oft eine saumäßige Akustik haben. Aber da gibt es löbliche Ausnahmen.

Können Sie sich an denkwürdige Konzerte in der Philharmonie erinnern?

Das fing mit Miles Davis an und ging mit vielen glorreichen Konzerten weiter. Denkwürdig war aber sicherlich ein Abend mit Keith Jarrett! Der spielte einfach atemberaubend, das ganze Publikum war in seinem Bann, und dann piepte irgendwo oben auf dem Rang ein Telefon, und Keith Jarrett hörte mitten im Solo auf und ging wortlos von der Bühne. Erst nach einer gefühlten halben Stunde ließ er sich dann wieder dazu bewegen weiterzuspielen. Und ab da war es echt mucksmäuschenstill, und keiner hat mehr gewagt, sich auch nur zu räuspern. Das war dann zwar leicht stressig, hat aber auch eine unglaubliche Konzentration des ganzen Publikums auf dieses eine Instrument und die Hände dieses einen Mannes geschaffen. Ich habe nirgendwo sonst je das Gefühl gehabt, dass das Publikum zu einem einzigen „Körper“ geworden wäre

Sie sind ja auch ein großer Fan der Popmusik, Sie sind mit vielen Musikern befreundet, und Sie waren in ihrem Leben auf vielen Konzerten an vielen verschiedenen Orten. Gibt es einen Konzertort, den sie besonders lieben? Was macht ihn aus?

Ich finde mich ja inzwischen meist als einen der ältesten Zuschauer bei Rockkonzerten wieder. Außer wenn die Stones spielen

Als junger Mann in New York war das CBGB einfach unbeschreiblich. Da ging ich oft abends hin, ohne zu wissen, wer spielen würde. Der Club hatte so eine starke Atmosphäre! Allein drin zu sein machte den Abend (oder die Nacht) schon worthwhile. In London war das eine Weile so mit dem Marquee Club, in dem ich in den Sechzigern und zu Beginn der Siebziger gelegentlich war. Das war einfach geschichtsträchtig, damals schon. In Berlin war ich mal lange Zeit jede Nacht im Dschungel. David Bowie traf ich da aber nie. Vielleicht war das auch nur ein Gerücht, dass der da so oft war

Mit der Carnegie Hall in New York verbinde ich viel, weil ich da eine Menge toller Konzerte gehört habe, aber eben auch selbst mal drehen durfte, das erste, einzige -und legendäre -Konzert des Buena Vista Social Club in den USA nämlich.

Im Fillmore West habe ich unzählige Konzerte gehört, als ich in San Francisco gelebt habe Mann, war das versifft!

Im Grunde ist es nicht die Venue selbst, sondern ihre Geschichte, die das Flair ausmacht: ob die Leute, die das programmiert und geleitet haben, wussten, was sie taten, und ob es ihnen gelang, das langfristig mit einem Publikum zu teilen und zu vereinbaren. Insofern ist das nicht so unterschiedlich, was ein gutes Kino oder einen guten Club ausmacht: das Programm, die Konsistenz, die Liebe zu dem, was da gehört oder gezeigt wird.

Gehen Sie noch regelmäßig auf Konzerte? Was hat ihnen zuletzt besonders gut gefallen? Gibt es ein Konzertereignis, auf das Sie sich in diesem Jahr besonders freuen?

Ich war vor ein paar Monaten in einem der drei Konzerte, die Bob Dylan im Tempodrom in Berlin gegeben hat. Ich hab in meinem Leben ein paar Dutzend Dylan-Konzerte gesehen, aber dieses war sehr speziell. Mein Freund Jimmy hat mich nämlich in den erlauchten Club der Leute reingebracht, die da immer und grundsätzlich in den ersten Reihen um die Bühne stehen. Das sind ein paar Hundert Leute, die einfach immer dabei sind, grundsätzlich, wenn der Mann spielt. Und die dürfen schon vor dem normalen Einlass reinkommen, und damit sind dann die Stehplätze in den ersten Reihen in fester Hand. Da kommt man nicht rein. Außer an dem Abend eben, als mein Freund Jimmy mich da reingezogen hat. Die kennen sich alle, die Menschen da vorne, die haben schon Hunderte von Dylan-Konzerten besucht. Und Jimmy ist einer von denen. Und der hat denen irgendwie klargemacht, dass er ausnahmsweise mal einen „Besucher“ reinlassen wollte. Und dann haben sie uns bereitwillig Platz gemacht, so dass ich schließlich in der Mitte der ersten Reihe unmittelbar am Bühnenrand stand. Von so Nahem hatte ich so ein Konzert noch nie gesehen! Da kriegte ich richtig die Spucke mit, wenn Dylan ins Mikrofon sang. Ich stand direkt einen Meter vor ihm!

Demnächst sehe ich Lana Del Rey in Berlin. Und die Eels!

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