Mit ihren tränengetränkten Liedern über Krieg und Verluste repräsentieren The Cranberries das Gute in der Mitte

Es war einmal im Land der Hitparaden, des Vor-sich-Hinpfeifens auf der Straße, der Dauerrotation auf MTV. Dort geschah im letzten Jahr etwas Seltsames. Eine bis dato gänzlich unbekannte Band übernahm die Macht, die bisher in den Händen von Michael Jackson und Soundgarden geruht hatte. Zwar klang die Sängerin der Cranberries manchmal wie ein Asthma-Anfall, und die Musik war so neuartig, wie es eine Mixtur aus The Sundays und Cocteau Twins nun mal ist. Aber „Zombie“ kann in unserem Kulturkreis mittlerweile wohl jeder komplett heruntersingen. „Auch in Südostasien und Mexiko sind wir ziemlich groß“, ergänzt Dolores O’Riordan, die Sängerin. Sie sagt das so beiläufig, als wollte sie nur mitteilen, man habe jetzt im Nachbardorf eventuell einen Auftritt.

Drei der vier Cranberries sind heute nach Dublin gekommen, um Interviews zu geben. Nur Dolores hat ein Haus in der Stadt, ca. fünf Minuten Fußweg entfernt. Die anderen mußten um sieben raus. Sie wohnen nämlich noch in Limerick, jener kleinen Stadt im Südwesten Irlands, wo die Limericks erfunden wurden – lustige kleine Vierzeiler, die mit einer harmlosen Pointe enden.

Ihre provinzielle Herkunft haben sich die Musiker regelrecht zum Programm erkoren. Von dem Wunsch, „down to earth“ zu bleiben, ist alle naslang die Rede. „Wir sind nur ganz normale Leute“, sagt Bassist Mike Hogan. Nun sind Bassisten ja immer ganz normale Leute. Aber später sagt Dolores das gleiche. Man hat fast den Eindruck, es mit einer total unambitionierten Hobby-Band zu tun zu haben. Dann stelle ich mir einen Mexikaner vor, der beim Corona-Trinken „Zombie“ pfeift. Also gut. Warum soll ein Superstar über seine Arbeit anders reden als etwa ein Friseur oder ein Bäcker? (Weil es sein verdammter Job ist.) Das neue Album der Cranberries heißt „To The Faithful Departed“. In den Titel könnte man viel hineininterpretieren, muß man aber nicht. Auch Dolores ist nicht in der Stimmung zur Selbstauslegung: „Der Titel klang einfach gut“. Wie nicht wenige Popmusiker vertreten die Cranberries die Ansicht, die Musik erkläre sich selbst. Da wird das Interview zum Fragen-Auflauf. Besonders wenn ein Mann wie Gitarrist Noel Hogan dabei ist. Wenn stille Wasser tief sind, ist Noel mindestens ein Mystiker. Frage: Eure neue Platte enthält fast ausschließlich Balladen. Wie kam es dazu? Dolores: „Hat sich so ergeben.“ Noel: ….. -…“ In den Texten ist viel von Tod und Verlust die Rede. War Trauer das Motiv, die Songs zu schreiben? Dolores: „Kann man so sagen. Ich habe in den letzten Jahren einige Freunde verloren.“ Noel: „… -.““ Hattet Ihr das Gefühl, nach dem Erfolg einem Erwartungsdruck ausgesetzt zu sein? Dolores: „Was für ein Erwartungsdruck?“ Noel: „Hab ich noch nicht drüber nachgedacht“ – Tatsächlich, er hat was gesagt.

Mike Hogan und Drummer Fergal Lawler sind da schon redseliger. Sie haben sich darüber amüsiert, in Tokio vor ein paar Tausend Japanern zu spielen, die brav sitzenblieben. Und sie rühmen Michael Stipe, mit dem sie letztes Jahr auf Tour waren, dafür, daß er – na, ratet mal „auf dem Boden geblieben ist“.

Sie erzählen vom neuen Produzenten Bruce Fairbairn, der früher mit AC/DC und Aerosmith gearbeitet hat. Eigentlich wollten sie ihn ja, um im Sound etwas abzuspecken. Aber genau das Gegenteil passierte (wie, das kann natürlich niemand erklären). Brachte die letzte LP noch eine auf populär getrimmte Variante des 80er-Jahre-Empfindsamkeits-Pop, scheint es nun in Richtung U2-Pathos zu gehen. Es dominieren so tränengetränkte Balladen wie „War Child“, „When bu’re Gone“ und „Electric Blue“, eine geplante B-Seite heißt „Bosnia“. Lieder über Krieg und Verluste, bei denen man stets an Joan Baez, Live Aid und „Wozu sind Kriege da?“ denken muß.

Es gibt eben Dinge im Pop, die sterben nie aus. Das unverbindliche Anti-Kriegslied gehört wohl dazu. Die Cranberries sind auch eine Antwort auf die alten Machthaber im Mainstream-Land: Während Michaeljackson für die Künstlichkeit und Neurose steht und Grungerock zumindest einen radikalen Gestus beibehält, repräsentieren sie das Gute in der Mitte. – Die Cranberries sind eine Volkspartei. Die Spatzen werden die Songs von „To The Faithful Departed“ von den Dächern pfeifen.

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