„My Name It Ain´t Nothing…“

...my age it meansless" Die Zeile aus "With God On Our Side" bringt es auf den Punkt: Bob Dylan blieb immer unfassbar. Nie hat er sich in die Karten schauen lassen - lieber zog er neue Joker und schlug plötzlich Haken. Ein Porträt des größten aller Songwriter und bedeutensten aller Pop-Rebellen....

Was, wenn sie dich zum MESSIAS ausrufen? Was, wenn sie jedes deiner Worte GLAUBEN? Was, wenn deine Songs zum KATECHISMUS werden? Was, wenn du plötzlich GOTT bist? Für Bob Dylan müssen die sechziger Jahre der nackte Horror gewesen sein. Gegen Ruhm und Reichtum wird er so wenig gehabt haben wie jeder andere, bezahlen aber musste er dafür den höchsten Preis: Er gehörte sich nicht mehr selbst. Auch weniger robusten Naturen dürfte die Absolutheit zu schaffen gemacht haben, mit der die Generation Rock ihr künstlerisches Sprachrohr Dylan als Wappentier vereinnahmte. „Like A Rolling Stone“, „Blowin‘ In The Wind“, „The Times They Are A-Changin“‚ – Bob war Pop, Pop war Bob.

Platz für den Menschen Robert A. Zimmerman blieb da nicht. Der aber war stark genug, sich seit den Anfängen seiner Karriere immer wieder zu entziehen, überraschende Haken zu schlagen, auf Erwartungen zu pfeifen und gelegentlich das eigene Publikum vor den Kopf zu stoßen. Die eigene Psyche und Kreativität konnte er unbeschadet nur retten, indem er sich immer wieder hinter den verschiedensten Facetten seiner Persönlichkeit verbarg: Unfassbar bleiben – „like a complete unknown, like a rolling stone…“

The Freewheelin‘ – der Unberechenbare

Er war schon so oft tot, da reicht kein Katzenleben. Als Dylan vom Folkie zum Rocker wird, sagt man ihn erstmals tot. Dann, als er plötzlich Country macht, seine religiöse Phase hat, während der „Rolling Thunder Revue“ zum Clown mutiert, in den Achtzigern schlappe Platten aufnimmt, als er trunken über die Bühne torkelt und die eigenen Songs zerstört… Er aber bleibt, und bleibt anders. Schreibt surrealistische Prosa („Tarantula“), malt Bilder, die unlängst in Chemnitz ausgestellt wurden, schauspielert („Pat Garrett Et Billy The Kid“, „Masked And Anonymous“), und seit Mai 2006 moderiert er die wöchentliche Radiosendung „Theme Time Radio Hour“ beim amerikanischen Sender XM Satellite Radio. Dylan bleibt immer in Bewegung, unfassbar, unberechenbar, flüchtig. 1988, auf dem Höhepunkt seiner Midlife-Schaffenskrise, beschließt er fortan quasi ständig auf Tour zu gehen, denn „auf der Bühne zu stehen ist für mich so natürlich wie atmen“. Seit dem 1997 erschienenen Album „Time Out Of Mind“ ist er auch musikalisch wieder obenauf. Die sogenannte „Never Ending Tour“ dauert bis heute an. Im Mai nächsten Jahres wird Bob Dylan, der „Picasso of song“ (Leonard Cohen) 68 – „keep on keeping on“, sang er einst in „Tangled Up In Blue“.

Jokerman der Unsichtbare

Jeder kennt Bob Dylan, aber niemand weiß, wer er ist. Fakten: Neben den Beatles gilt er als einflussreichster Musiker des 20. Jahrhunderts. Eigentlich heißt er Robert Zimmerman, und geschrieben wurden über ihn ganze Bibliotheken von Büchern. Dennoch blieb der Mann hinter dem Mythos ein Rätsel, „I’m Bob Dylan only if I have to“, sagte er einst im Interview. Der notorische Alias verwischt seine Spuren vom ersten Tag an. Als er 1961 als 20-Jähriger aus der Provinz nach New York City zieht, erzählt er den Leuten wahlweise, er stamme aus Gallup, New Mexico, South- oder North-Dakota, sei jahrelang durchs Land getrampt und habe keine Eltern. Alles Quatsch. Ruckzuck ist Dylan ein Star, nun entzieht er sich, wo er nur kann. Gibt sich Namen, Pseudonyme, unter denen er abseits der Kunstfigur Bob Dylan musiziert, produziert oder in Filmen auftaucht: Blind Boy Grunt, Jack Frost, Eiston Gunn, Roosevelt Cook, Egg O’Schmillson, Bob Landy, Lucky Wilbury, Boo und so weiter. Wer Bob Dylan sucht, findet ihn in seinen Songs, wer Robert Zimmerman sucht, geht leer aus. Inszenierung und Schattenspiel. Kürzlich wurde Joan Baez, Weggefährtin aus frühen Folktagen, gefragt, ob sie wisse, wer Bob Dylan sei. Ihre Antwort, achzelzuckend: „Ich habe ihn nie verstanden, bis heute nicht.“ Dylan selbst sagt: „I’m just a singer.“ Vor einem Jahr erschien Todd Haynes bejubelte Dylan-Filmbiographie mit dem bezeichnenden Titel: „I’m Not There“. Getreu dem Motto von Arthur Rimbaud, einem von Dylans frühen Lieblingsdichtern: „Ich ist immer ein anderer.“

It Ain’t Me, Babe – der Verweigerer

1963: „The Freewheehn Bob Dylan mit der Revoluzzer-Hymne „Blowin‘ In The Wind“ und dem größten aller Antikriegssongs, „Masters Of War“, erscheint. Die Wucht, die das hat, lässt sich heute nur noch erahnen. Umgehend wird der dünne Junge mit der Mundharmonika zum Wortführer der Bewegung. Nichts für ihn, Zeit für den ersten Eklat: Am 13. Dezember 1963, drei Wochen nach der Ermordung John F. Kennedys, verleiht ihm das Emergency Civil Liberties Commitee den Tom Paine Award für sein Engagement in der Bürgerrechtsbewegung. Der Geehrte jedoch pöbelt gegen die Vereinnahmung seiner Kunst für die Zwecke des Civil Right Movements und behauptet, er könne sich gut in den Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald hineinversetzen. Oops. Dann holt der frisch gekürte Folkpapst eine Band ins Studio, lässt lärmen und stößt Millionen mit Rock und surrealistischer Poesie vor den Kopf. Verrat! Fanliebe wird zu Hass und Dylan als „Judas“ beschimpft. Vier Jahre später: Bob, jetzt Popgott, wird Vater, lebt ein behagliches Leben mit Familie und Vorgarten. Dazu macht er in Country, der Musik der reaktionären Hinterwäldler. Schock! Und so weiter: 1979 gibt Dylan den Bekehrten und singt von Gott. In den Achtzigern meuchelt er das eigene Werk, live und lustlos. Nach dem grandiosen „Time Out Of Mind“ (1997) und weltweitem Beifall der nächste Haken, diesmal sexy: Er verkauft das düstere „Love Sick“ für einen Werbespot der Dessousfirma Victoria’s Secrets, der Gottvater der Kapitalismus-Kritik dealt mit der Industrie. Mehr noch: 2007 tritt der Kamerascheue in einem Werbespot des US-amerikanischen Autoherstellers Cadillac auf…

Self Portrait – der Kratzbürstige

Er zeigt nur, was er zeigen will, und die Spielregeln der anderen akzeptiert er nicht. Der Erstkontakt bereits ist zukunftsweisend, 1962 wird der „shooting star“ der Folkszene in die Ed Sullivan Show geladen, um vor einem Millionenpublikum ein Lied vorzutragen. Aus gegebenem Anlass entscheidet er sich für einen Song gegen die rechtsgerichtete John Birch Society. Der Sender verbietet das, Dylan lehnt den Auftritt dankend ab und geht. So etwas hat noch keiner gewagt. Aber sie werden sich daran gewöhnen müssen. Interviews mit Zeitungsreportern laufen meistens so ab, Reporter 1: „What do you do with your money?“ Dylan: „I wear it.“ Reporter 2: „What are your songs about?“ Dylan: „Some of my songs are about four minutes, some are about five minutes and some, believe it or not, are about 11 or 12.“ In „Don’t Look Back“, dem berühmten Dokumentarfilm über seine 1965er Englandtournee, gibt’s mehr davon. In einer Szene erklärt er einem Journalisten des „Time Magazines“, warum in dessen Blatt nur Lügen stehen, in einer anderen lässt er einen aufgeblasenen Interviewer so gnadenlos auflaufen, dass schon allein das Zusehen weh tut. In späteren Jahren gibt er kaum noch Interviews, bis heute hat sich daran nichts geändert. Reportern gegenüber pflegt er eine Mischung aus Herablassung, Misstrauen und Langeweile. Wenn er mal sein Werk erklärt, dann barsch und mit verblüffenden Erkenntnissen, etwa der, dass er sein Leben lang „von schlechten Produzenten umgeben“ war. Intimes erfährt man nicht. Es sei denn, ein Buddy plaudert aus dem Nähkästchen. Zum Beispiel Silvester Stallone, der im Interview mit der „SZ“ verriet: „Bob Dylan boxt! Bob Dylan hat sein eigenes Gym. Zwischen Santa Monica Beach und Venice – ich schwör’s.“ Rätselhaft.

Love & Theft- der Dieb

„Talent borrows, genius steals.“ Wer auch immer diesen Satz geprägt hat, Dylan lebt ihn. 1959: Gerade auf dem Campus von St. Paul, Minnesota, angekommen, bricht er sein Studium ab und taucht ein in die Welt des Folk. Lieder, Texte, Musiker und ihre Geschichten. Er umschmeichelt die Aktivisten des Folk-Revivals, Sammler und Musiker wie Paul Clayton, Richard oder Mimi Farina. Sie lieben ihn, spielen ihm rare Platten vor und eigene Songs, und fröhlich klaut der junge Herr Zimmerman – Ideen und Tonträger. In New York das gleiche Spiel: Bei Folkie Rick von Schmidt lässt er Platten und das Grundgerüst des Songs „Baby Let Me Follow You Down“ mitgehen, kurz darauf gibt er das Stück als eigenes aus. Sein „When The Ship Comes In“ ist eine Collage aus dem Lied der Seeräuber-Jenny aus Brechts „Dreigroschenoper“, dem Dylan-Thomas-Gedicht „Fern Hill“ und zwei Geschichten des Alten Testaments. Und immer wieder adaptiert er traditionelle Folksongs, macht sie sich zu eigen – wie Generationen von Folkmusikern vor ihm auch. Geistiger Diebstahl oder Inspiration von Generation zu Generation? 2003 will ein japanischer Autor ganze Textzeilen eines seiner Bücher auf dem neuen Dylan-Album entdeckt haben. Der Titel der Platte: „Love And Theft“ – eine Hommage im übrigen an die Musik der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, mit derart vielen musikalischen Zitaten, dass Musikwissenschaftler seitdem eifrig nach den Quellen forschen. Auf seinem bislang letzten Album, „Modern Times“ (2006), gibt His Bobness den Bluesklassiker „Rollin‘ And Tumblin'“ dreist als Eigenkomposition aus. Werda jetzt mit Moral kommt, ist im falschen Film. Kunst darf das. Und ein Künstler wie Dylan allemal. Oder? Den Ehrenkodex hat er in seinem Klassiker „Absolutely Sweet Marie“ selbst festgelegt: „To live outside the law you must be honest“.

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