Neil Young

Jeder Mensch sollte mindestens eine Platte von Neil Young im Regal haben – und keine „Best Of“. Was auch gar nicht möglich ist, weil Young niemals eine solche Compilation zugelassen hat und auch künftig nie erlauben wird. Manchen reicht „Live Rust“ als Destillat, anderen „Weld“, den Anspruchsvolleren die wunderbare 3-LP-Sammlung „Decade“ von 1977, die wir hier nicht gesondert aufführen, weil die Songs auf den bekannten Young-Alben enthalten sind. Für den Einsteiger empfiehlt sich das exquisit ausgestattete Stück jedoch – allerdings in der LP-Ausgabe.

Wie bei kaum einem Künstler verlieren die Platten des Kanadiers Aura und Ausstrahlung, wenn sie bloß als schnöde CD vorliegen, Young selbst hält die Compact Disc bekanntlich für Teufelszeug und hat bis heute zumindest die Umhebung des Meisterwerks „On The Beach“ sowie der Live-Platte „Time Fades Away“ verhindert. Die oft nicht ganz geschmackssichere Cover-Gestaltung der klassischen wie der späteren schwachen Young-Platten lässt das Sammeln als nicht weniger faszinierend erscheinen.

Neil Young ist neben Johnny Cash womöglich der einzige Musiker, dessen Ruhm binnen fast vier Jahrzehnten stetig gewachsen ist, obwohl seine Karriere in tiefe Krisen führte und man, sagen wir: 1986 keinen Dollar auf seine Wiederauferstehung gesetzt hätte. Fragwürdige politische Ansichten und merkwürdige Äußerungen hatten ihn schon im Verbund mit Crosby, Stills & Nash zum Außenseiter gemacht, der den einfaltigen und drogeninduzierten Hippie-Phantasien der Freunde sein „Helpless“ entgegensetzte und später so radikale Alben wie „Time Fades Away“ und „Tonight’s The Night“ (und dort in dem unfassbar spöttischen „Roll Another Number“ die Drogen-Gewohnheiten seiner Mitspieler verhöhnte). Young hatte schon Anfang der Siebziger keine Illusionen über das Ende des Hippie-Idealismus und blieb der exzentrische Loner, der eine Tournee mit dem hassgeliebten Stephen Stills abbrach und nur einen kurzen Brief hinterließ. „You are all just pissin‘ in the wind“, so endet “ On The Beach “.

Während Crosby, Stills & Nash nach Nixons Abschied fast nichts Nennenswertes mehr zustande brachten (auch mit Young nicht), steuerte der Eigenbrötler mit Crazy Horse und dem rohen „2jima“ neue Ufer an. Als der Punk tobte, nannte Johnny Rotten nur einen Mann, den er bewundere: Neil Young. Und Young revanchierte sich auf Rust Never Sleeps“ mit dem unvergesslichen „Hey Hey, My My“: „The king is gone but he’s not forgotten/ This is the story of a Johnny Rotten.“ In seinem vielleicht besten Song, „Thrasher“, zerstört Young den Hippie-Traum mit einem einzigen Satz: „They were lost in rock formations or became park bench mutations.“

Young überlebte auch die schlimmen Achtziger und kehrte 1989 mit dem titanischen „Freedom“ zurück, einer Platte, die Unbeugsamkeit und Demut lehrt. Danach wurde er als Erfinder des Grunge von einer weiteren Generation verehrt, und nach Kurt Cobains Tod schrieb er den Nachruf „Sleeps With Angels“. Sein berühmtester Satz hatte Cobain beeindruckt: , Jt’s better to burn out than to fade away.“ Young geht den dritten Weg.

NEIL YOUNG (1968)

Youngs Solo-Debüt hat noch wenig vom kurz darauf schon meisterlichen Gitarren-Malstrom. „Overdub City“ nannte er später seine ersten Versuche, im Studio von Jack Nitzsche mit allerlei Bombast angereichert und dabei nicht verbessert. Mit „The Loner“ und „The Old Laughing Lady“ enthält die LP immerhin zwei Klassiker, während zwei absurde Instrumentalstücke „The EmperorOfWyoming“ und“String Quartet From Whiskey Boot Hill“ – ganz in der Hippie-Tradition stehen. Der erste Neunminüter, „The Last Trip To Tulsa“, soll möglicherweise an Dylans Epen anknüpfen, doch Young fehlt das erzählerische Potenzial wie auch der musikalische Atem. Ko-Produzent war der junge Ry Cooder. 3,5

EVERYOODY KNOWS THIS IS NOWHERE (1969)

Die erste Arbeit mit Crazy Horse enthält die Stücke „Down By The River“ und „Cowgirl In The Sand“, die Young innerhalb kürzester Zeit im Fieberrausch geschrieben haben will. So klingen die ellenlangen Songs auch, die sich in einen Taumel steigern. Das konzise „Cinnamon Girl“ gibt mit krachenden Riffs den Ton an, den Crazy Horse bis heute so triumphal halten. „Round And Round“ zeigt, dass Young auch die süßliche Ballade beherrscht. „The Losing End“ und „Running Dry (Requiem For The Rockets)“ sind weniger erinnerungswürdig, „EverYoody Knows“ ist ein forscher Aufgalopp. Es spielen Danny Whitten, Ralph Molina und Billy Talbot. Die Art Direction hatte lustigerweise ein Ed Thrasher. 4,5

AFTER THE GOLDRUSH (1970)

Schon “Helpless“ auf dem nach „EverYoody Knows This b Nowhere“ veröffentlichten Crosby, Stilb, Nash & Young-Album „Deja Vu“ zeigte, dass Youngs Songwriting ungeahnte Höhen erklommen hatte. Den Zenith erreichte er aber erst auf „After The Goldrush „. Die Songs wurden persönlicher und auch dunkler. Lediglich „Southern Man“ ist noch im herkömmlichen Sinn politisch. „Don’t Let It Bring You Down“, „Birds“,

„I Believe In You“ und „Only Love Can Break Your Heart“ – allesamt Klassiker und auch lyrisch für Young ein großer Schritt nach vorn., „I was lying in a burned out basement/ With the full moon in my eyes“, heißt es im Titelstück, seinem schönsten Song überhaupt. Besser wurde es später nicht mehr. Am Piano sitzt übrigens der erst 17-jährige Nils Lofgren, später in Springsteens E-Street Band zu Hause. 5,0

HARVEST (1972)

Der Klassiken Auf der Suche nach einer neuen Liebe schuf Young sein populärstes, melodienseeligstes Album. Es funktioniert trotz einiger Brüche („Alabama“, „Are You Ready For The Country“ und „Words“ fügen sich mit ihrem rauen Sound nicht so recht in die sonst glatte Produktion) vor allem als Einheit. Nimmt man die einzelnen Songs unter die Lupe, findet man neben den Großtaten „Out On The Weekend“, „Words“, „The Needle And The Damage Done“ und dem Titelstück auch allerhand Banalitäten. „A Man Needs A Maid“ und , „There’s A World“, verkitscht durch das London Symphonie Orchestra, sind Tiefpunkte im Youngschen Werk, doch der Erfolg gab ihm Recht.4,0

TIME FADES AWAY (1973)

Irgendwie schien Neil Young der Erfolg von „Harvest“ nicht ganz geheuer. Bei den nachfolgenden Konzerten sah man ihn jedenfalls nicht mit der akustischen Gitarre „Heart Of Gold“ klampfen. Vielmehr spielte er jede Menge raue, unveröffentlichte Songs. Einige davon (wie z. B. das Titelstück, “Journey Through The Past“ und „L. A.“) könnten heute Klassiker sein, wenn Young sich nicht entschieden hätte, die 16-Spur-Liveaufnahmen der Songs ohne weitere Bearbeitung im Rohzustand zu veröffentlichen. So blieb „Time Fades Away“ leider ein Nebenwerk, aber Neil Young wurde zumindest von Fans wegen seiner Unberechenbarkeit hoch geschätzt Die Nicht-Produktion wurde später zum Stilmittel. 3,5

ONTHEBEACH (1974)

Offenbar wieder einmal abgestoßen von den Friede-Freude-Eierkuchen-Ergüssen der drei Optimisten, legte Young einen Horror vacui nach. Das surrealistische Cover-Motiv passt perfekt zur depressiven, kaputten Stimmung der Songs, die heillos vor sich hin mäandern. Dreimal hat Neil den Blues, und ein Stück ist besser als das andere:,»Revolution Blues“ verabschiedet noch einmal die Sechziger, „Vampire Blues“ attackiert die damals angeschlagene Öl-Industrie, und „Ambulance Blues“ schafft mit Geige und Harmonika apokalyptische Atmosphäre. Die Männer in den weißen Kitteln kommen gleich. Noch besser ist das schwebende „On The Beach“. 5,0

TONIGHT’STHENIGHT (1975)

Ebenso ingeniös wie „On The Beach“, ist „Tonight’s The Night“ einerseits eine Hommage an zwei tote Freunde, andererseits eine bitterböse Satire auf den Rock’n’Roll Bei aller Wirrnis mindert Youngs schlamperte Aufnahmeweise hier nicht die Größe der Songs. Der zerschossene Titelsong, das sehnsüchtige „Mellow My Mind“, das vitriolische „Roll Another Number (For The Road)“ und das todtraurige „Tired Eyes“ verbinden sich zu einer Platte, die weniger schwarz ist als vielmehr schwarzhumorig. Bereits 1973 von David Briggs produziert, blieb das Album lange liegen. Manche halten es für Youngs beste Arbeit 5,0

ZUMA (1976) Mit der Rückkehr von Crazy Horse (Frank „Poncho“ Sampedro ersetzte den verstorbenen Danny Whitten) fällt wieder Licht in das Youngsche Schaffen. Nach den dräuenden Alben „Tonight’s The Night“ und „On The Beach“ ist „Zuma“ (benannt nach Zuma Beach bei Los Angeles, wo Young ein Haus besaß) fast lebensbejahend. Ein Album des Aufbruchs, das mit „Lookin‘ For A Love“ und dem CSNY-Aufguss „Through My Sails“ zwei der leichtesten Young-Songs überhaupt enthält, aber auch das majestätisehe „Cortez The Killer“, auf dem Young endlich wieder die Gitarre von der Leine lässt, das messerscharfe „Stupid Girl“, das schleppende „Danger Bird“ und das dunkle „Pardon My Heart“. Trotz einiger Füller und gerade aufgrund seiner Zerrissenheit ein gutes Album. 4,0

AMERICAN STARS ‚N‘ BARS (1977) Ein seltsames Cover, ein seltsames Album: Neil Young war immer dafür bekannt, dass er gerne mal seine Archive plündert, um alten, bereits live erprobten Songs zu neuen Ehren zu verhelfen. Auf –“American Stars n Bars“

findet sich Material aus früheren Sessions zwischen 1974 und 1977. Auf der ersten Seite Songs, die so sehr Country sind, wie nichts zuvor im Youngschen Werk („The Old Country Waltz“, „Saddle Up The Palomino“), im Chor singt die unvermeidliche Linda Ronstadt. Auf der zweiten Seite finden sich hauptsächlich Akustik-Nummern und „Like A Hurricane“, neben „Homegrown“ (so sollte auch mal ein Young-Album heißen) der einzig große Song und bis heute Schlüssel-Stück jedes Young-Konzertes.3,0

COMES A TIME (1978)

Neil als der freundliche Farmersjunge auf seiner schönsten, natürlich auch sentimentalsten Platte. Ein Dutzend Streicher und akustische Gitarren verleihen den Folk-Balladen den Breitwand-Sound eines Western von Anthony Mann. Gefühlige Weisen wie „Goin‘ Back“, „Comes A Time“ und „Already One“ (dem Song über seine gescheiterte Liebe zu Carrie Snodgrass) samt einfachen Weisheiten rühren zu Tränen, Crazy Horse steigen bei „Look Out For My Love“ und „Lotta Love“ ein. Produziert in England, Kalifornien und (überwiegend) Nashville, ist dies Youngs homogenste Platte – von „Motorcycle Mama“ abgesehen. 4,5 RUST NEVER SLEEPS (1979) Trotz offensichtlicher Schwächen ausgerechnet im zweiten, dem Crazy Horse-Teil ist dies Youngs bedeutendstes Statement, sein Abschied von den Siebzigern und zugleich das Album, das die Siebziger selbst ist. „My My, Hey Hey (Out Of The Blue)“ eröffnet akustisch den Reigen, dann folgt mit „Thrasher“ Youngs surreales, luzides Meisterstück. „Pocahontas“ und „Sail Away“ sind wunderbar kitschig. Dann „Powderfinger“, einer von Youngs allergrößten Songs, den er bis heute auf der Bühne spielt und dessen Lederstrumpf-Geschichte zu Youngs geglücktesten Texten zählt. Nicht so glücklich die Lärm-Stücke „Weifare Modiers“ und „Sedan Delivery“. „Hey Hey, My My (Into The Black)“ beschließt die LP donnernd. 4,5

LIVE RUST

Damals warf man Young blind Geldschneidererei vor, denn noch im Jahr von „Rust „brachte Young diese Live-Platte heraus. Ein Treppenwitz der Geschichte, denn „Life Rust“ und der dazugehörige Film zeigen Young und Crazy Horse auf der Höhe ihrer Kunst und ihres Könnens. „Life Rust“ ist eine makellose Werkschau und zugleich ein einzigartiges Drama, das sich auf vier LP-Seiten sukzessiv bis zu „Cortez“, „Hurricane“ und „Hey Hey“ steigert Young, in Weiß gekleidet, Sampedro, Talbot und Molina verschwinden vor gewaltigen Verstärkertürmen, die Bühne ist ansonsten leer. Manchmal wuseln Kapuzenmenschen herum. Beste Live-LP aller Zeiten. 5,0

HAWKS AND DOVES Youngs „Krieg und Frieden“. Doch neben Patriotismus und Militarismus verhandelt Young auch sein Verhältnis zu Crosby, Stills und Nash („The Old Homestead“) und private Probleme („Staying Power“, „Coastline“). Aufgrund der teilweise recht kruden Texte („Ready to go, willin‘ to stay and pay/ U. S. A., U. S. A.“) wurde „Hawks And Doves“ häufig unterschätzt. Musikalisch ist die Mischung aus Folk (Seite 1) und Country (Seite 2) durchaus reizvoll. 3,5

RE-AC-TOR

Cover und Plattentitel deuten bereits an, dass bei unserem Atomkraft-Freund vorübergehend die Lichter ausgingen. Die übliche Mannschaft konnte nicht verhindern, dass Youngs lausige Songs wie Parodien auf Crazy Horse klangen, tautologisch, dumpf und stumpfsinnig. Bodenloser Unfug wie „Surfer Joe And Moe The Sleaze“ kollidierte mit ödem Gesumpfe wie „T-Bone“, der patriotische Schmarren „Motor City“ passt zum Autogegurgel von „Rapid Transit“. Es gibt wohlmeinende Interpretationen, die Youngs Geisteszustand in Zusammenhang mit der Behinderung seines Sohnes bringen, die zu der Zeit angeblich seine

ganze Konzentration forderte. Doch wie jemand derart vom Weg abkommen konnte, blieb ungeklärt 1,5

TRANS (1982) Youngs nächster, immerhin konsequenter Fehltritt. Inspiriert von Kraftwerk und anderen Neutönern, wollte er sich von der menschlichen Stimme verabschieden und jagte sie durch den Vocoder. Die Synthesizer besorgten den Rest. Obwohl Crazy Horse und Nils Lofgren mitspielten, gewann die Maschine gegen den Menschen. Die Songs sind größtenteils lächerlich. Auf dem Cover streckt Neil den Daumen heraus, ihm gegenüber tut ein virtueller Mensch dasselbe. Young als „Blade Runner“, Sonic Youth feierten ihn später für „Computer Age“ sogar als Avantgardisten.2,0

EVERYOODY’S ROCKIN‘ (1983) Die Kehrtwende – in die Sackgasse. Mit „Everbody’s Rockin'“ wollte Neil frühen Idolen wie Jimmy Reed und Jerry Lee Lewis Tribut zollen. Seine Stimme wirkt in den Zwei-Minuten-Rockabilly-Miniaturen grotesk, der polierte Sound passt nicht, die Nostalgie wirkt schal und künstlich. Youngs eigene Stücke geraten noch schlimmer als die Cover-Versionen. „EverYoody’s Rockin'“ lässt Ronnie & Nancy auftreten, „Betty Lou’s Got A New Pair Of Shoes“ muss den Yuppies 1983 die Schuhe ausgezogen haben, aber auch „Rainin‘ In My Heart“ und das vollkommen belanglose Doo-Wop-Stück „Wonderin'“ sollen nur für Befremden gesorgt haben. Ben Keith und Tim Drummond als Teil der „Shocking Pinks“ können nichts retten. Nach knapp einer halben Stunde ist der Fifties-Ausflug vorbei.1,5

OLD WAYS (1985) 1984 wurde Young von seinem Plattenlabel Geffen (bei dem er seit „Trans“ unter Vertrag stand) verklagt, da er nur noch „uncharakteristische“ und vor allem unkommerzielle Alben abgeliefert hatte. Daraufhin bot er Geffen das bereits 1982 erstmals aufgenommene und damals abgelehnte „Old Ways“ an, das er mit seiner Country-Band, den International Harvesters, ein bisschen aufpoliert hatte. Waylon Jennings und Willy Nelson halfen auch mit Textlich gibt Young sich als reaktionärer Reagan-Buddy. Musikalisch unaufgeregt, hat „Old Ways“ auch seine Momente. „Old ways can be your ball and chain.“ 3,0 LANDING ON WATER (1986)

Die Quälerei ging weiter, aber mit Schmackes. Für den monströsen, krachenden und schmierigen Mainstream-Sound hatte Young ausgerechnet den alten Danny Kortchmar als Produzenten geholt, der Sensibelchen wie Jackson Browne zu Ruhm verhalf. Kortchmar bediente auch gleich die grauenhaften Synthesizer und sang sogar mit.Von Crazy Horse ist nichts zu hören auf „Landing On Water“, dessen hymnische Songs von den alten Büffeln möglicherweise hätten gerettet werden können. „Weight Of The World“, „Hippie Dream“, „Touch The Night“ und „Drifter“ halten Neil Young jedoch in einem Achtziger-Jahre-Albtraum aus Maschinensounds, gestriegeltem Klangdesign und banalem Quatsch zur Lage der Welt gefangen. Label-Eigner David Geflen war wiederum nicht amüsiert und hätte den Murks am liebsten gar nicht veröffentlicht 2,0

LIFE (1987)

Im letzten Moment vor Youngs kreativem Tod wurden Crazy Horse zurückgeholt. Noch immer dominiert Studio-Bombast, der gar nicht nötig gewesen wäre, aber man ahnt noch die rauen Live-Fassungen der Stücke. Die Songs haben wieder Gargantua-Format, aber „Long Walk Home“, „Inca Queen“ und „We Never Danced“ erreichen immerhin Youngsche Klasse. Während Neil auf der Vorderseite der LP-Hülle mit seiner Gitarre tobt, ist die Rückseite wieder mal in einer Computer-Digital-Ästhetik gestaltet, dazu verschwommene und überkritzelte Bilder vom Erdball. „Life“ist folgerichtig die entwaffnend schlichte Aussage der Platte, die mit „Long Walk Home“, „Too Lonely“ und dem Status Quo-artigen „Prisoners Of Rock’n’Roll“ auch mächtig gefühlsduselige und weinerliche Stücke enthält Immerhin, Hoffnung am Horizont 3,0

THIS NOTE’S FOR YOU (1988)

Eine frische Brise, wenn auch auf ungewohntem Terrain: Produzent Niko Bolas hat Young möglicherweise zu neuem Schwung verholfen, ihm die Bluenotes zur Seite gestellt und ein Album mit rückwärtsgewandten Blues-Songs mit Soul- und Jazz-Anklängen aufgenommen. Die Musiker bleiben glücklicherweise ziemlich ruhig und im Hintergrund, so dass Youngs Gitarrenspiel nicht zwischen den mondänen Bläsern untergeht.Sogar an der Gitarre fallt Young noch etwas Anderes ein als sein altbekanntes Zerren und Wüten. In „Life In The City“ kommt auch die Gegenwart zu ihrem Recht (wenngleich in einer deprimierenden Bestandsaufnahme), die meisten anderen Stücke handeln von (verlorener) Liebe. Eindrucksvoll ist Youngs Statement „This Note’s For You“, eine Absage an die Reklame-Industrie. 3,0

FREEDOM (1989)

Die Ironie war nicht recht spürbar, als „Freedom“ nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und den Studentenunruhen in China erschien. „Rockin’In The Free World“ klingt nicht nur wie eine Hymne, es wurde von Young bei Konzerten auch ganz ernsthaft am Anfang und am Ende gespielt. Diese Doppelfunktion hat es auch auf der LP, die mit „Crime In The City“, „Eldorado“, „Wrecking Ball“, „No More“ und „Too Far Gone“ lauter großartige Stücke enthält. In „Crime In The City“ verbindet er den Zynismus eines Plattenproduzenten mit dem allgemeinen Niedergang: „Send me a cheeseburger/ And a new ROLLING STONE/ Wish I never put the hose down/ Wish I never got old.“ Youngs triumphale Wiederkehr, noch dazu fast komplett ohne seine gewohnte Mannschaft, wurde am Ende des Jahrzehnts allerorten gefeiert. 4,5

RAGGED GLORY (1990)

Die konsequenteste Crazy Horse-Platte seit „Everybody knows This Is Nowhere”.” Home” und „White Line“ stammen noch aus den 70ern, “Days That Used To Be“ belehnt die Byrds-Version von Dylans „My Back Pages“, der trunkene Männerchor „Mother Earth (Natural Anthem)“ ist eine Variation des Folksongs „The Water Is Wide“. Doch das macht nichts, denn die Originalität war niemals die Stärke von Crazy Horse. Im Vordergrund steht vielmehr die Youngsche Gitarrenimprovisation (einige der Songs wurden bei Konzerten mitgeschnitten, zwei überschreiten gar die Zehn-Minuten-Grenze). So klingt die Ewigkeit Im schönsten Song „Mansion On The Hill“ klettert ein alter Mann zurück auf den „Sugar Mountain“. Eine Wiederauferstehung, ein Freispielen. Nach „RaggedGlory“ war Onkel Neil wieder der Größte, der godfather of grunge. Doch es war auch bereits alles gesagt. 4,5

ARC/WELD (1991) Nach der letzten Jam-Session mit den Kumpels war es wieder mal Zeit für eine Tournee, nämlich die „Smell The Horse“-Tour. Der winterliche Golfkrieg hatte Young zu rabiaten, zerschossenen Versionen seiner Klassiker inspiriert. Nur „Crime In The City“ und „Rockin‘ In The Free World“ stammen von „Freedom“, immerhin vier Songs von „Ragged Glory“, doch die entscheidenden Songs sind wiederum „Cortez“, „Powderfinger“, „Hurricane“ und – zum Abschluss – „Roll Another Number“. „Blowin‘ In The Wind“ zerhackt und zerdehnt Young quälende Minuten lang und beweist damit den seltenen Mut zur Dylan-Zerstörung – allerdings ohne sich überhaupt mit ihm messen zu wollen. Die neuen Stücke haben in diesem apokalyptischen Szenario freilich weder die Kraft noch die Aussage der bekannten. Die beigelegte und später auch einzeln erhältliche CD „Arc“ enthält lauter Song-Anfänge und Gitarren-Rückkopplungen, die Young aus dem Studiomüll gerettet hatte. 37 Minuten Krawall und cool. 4,5

HARVEST MOON (1992)

Ungläubig vernahmen glühende Bewunderer damals Youngs Plan, eine Art Fortsetzung von „Harvest“ aufnehmen zu wollen. Ein merkwürdiges Sequel wurde es dann: Musikalisch hat „Harvest Moon“ nur mit den rustikalen, schlichten Songs von “Harvest“ etwas gemein, Schlock wie „A Man Needs A Maid“ fehlt. Jack Nitzsche kam nur beim kitschigen „Such A Woman“ zum Zuge, den Rest erledigte Young mit Ben Keith ziemlich gut: Das unverhüllte Sentiment von „Unknown Legend“, „From Hank To Hendrix“ und „Harvest Moon“ ist zwar schwer auszuhalten, aber auch schwer abzuweisen. Es sind simple Sätze wie ”From Marilyn to Madonna/ 1 always loved your smile“ oder „Somewhere on the desert highway/ She rides a Harley Davidson“, die zu Herzen gehen. Und neben dem bewegenden „One Of These Days“ noch eine Youngsche Großtat: die zehn Minuten Schönheit von „Natural Beauty“. 3,5

UNPLUGGED (1993) Young hatte man sich in den MTV-Hallen ebenso wenig vorstellen könne wie Dylan, doch beide konnten nicht widerstehen. Bei Neil reicht es immerhin zu einem überraschenden Programm, das mit „The Old Laughing Lady“ ganz vorn beginnt und mit,,“From Hank To Hendrix“ ganz hinten endet. Young spielt aber auch „Stringman“, „Like A Hurricane“ (auf der Hammond-Orgel), bringt mal wieder „The Needle And The Damage Done“, aber kein „After The Gold Rush“, dafür „Helpless“ und „Transformer Man“,

das er sich wahrscheinlich selbst gewidmet hat. Nils Lofgren, Ben Keith und Spooner Oldham unterstützen den Kauz, Astrid Young und Nicolette Larson singen die Background Vocals. Die Kids bleiben unbeeindruckt, alte Semester weinen. 3,5

SLEEPS WITH ANGELS 1994 Kurt Cobain hatte sich im Frühjahr aus dem Leben geschossen. Es kursierte das Gerücht, Young hätte eine Woche vor dessen Tod versucht, seinen Fan zu erreichen. Cobain zitiert in seinem Abschiedbrief Youngs Sentenz „It’s better to burn out than to fade away“. Die Welt wartete auf ein Wort des Alten, Young reagierte schon im Sommer mit dem Song „Sleeps With Angels“, der weniger von Kurt als vielmehr von Courtney handelt und die Witwe als eine Art glamourösnaiven Todesengel vermutlich korrekt beschreibt. Das Album ist bei den Songs „Prime Of Life“, „Driveby“, dem epischen „Change Your Mind“ und „Safeway Cart“ grandios, leidet aber am sülzigen „My Heart“, den nicht weniger sentimentalen „Train Of Love“ und „A Dream That Can Last“ sowie dem adäquat betitelten „Piece Of Crap“. Crazy Horse holzen diesmal nicht – der Ton flirrt. 4,0

MIRROR BALL (1995)

Ein Verehrer konnte Neil Young zu einem gemeinsamen Album bewegen: Eddie Vedder stand vor der Tür und stellte seine Musiker zur Verfügung. Innerhalb von drei Tagen nahm Young mit Pearl Jam „Mirror Ball“ auf, das zwar lose, aber nicht schlampig gespielt ist Woher die Songs kamen, weiß man nicht, doch das Album hat mit „I’m The Ocean“ ein überragendes Stück und mit „Big Green Country“, „Downtown“ und „Throw Your Hatred Down“ funktionierende Rock-Kracher. Die wohl eher hastig hingeschriebenen Texte folgen leider der von Pearl Jam gewünschten Post-Hippie-Eierkuchen-Attitüde und verbreiten Harmonieseligkeit: „Act Of Love“, „Peace And Love“, „What Happened Yesterday“ müssen Vedder begeistert haben. Auf der EP „Merkin Ball“ erschien das fabelhafte „The Long Road“. 4,0

BROKEN ARROW 1996 Was auf „Mirror Ball“ aufgrund des schmissigen Songmaterials noch akzeptabel war, wird auf „Broken Arrow“ zur Zumutung: absolute Nicht-Produktion. Unbehauen und dumpf kommt dieses Album mit Crazy Horse daher. Die ersten drei Songs haben zusammen eine Spielzeit von 25 Minuten. Die Titel „Loose Change“ und „Slip Away“ sind Programm. Die Gitarren mäandern ziellos umher. Danach folgen mit „Changing Highways“, „Scattered“ und“ThisTown“ drei Wegwerfsongs. Kurz vor Ende dann noch ein Lied für die Ewigkeit: „Music Arcade“. „There’s a comet in the sky tonight/ Makes me feel like I’m alright/ I’m movin‘ pretty fast/ For my size/ I really didn’t mean to stay/ As long as I have/ So I’ll be movin‘ on.“ Dann rumpeln Crazy Horse mit einem achtminütigen Jimmy-Reed-Cover davon. 2,5

YEAR OF THE HORSE 1997 Das zweite Doppel-Live-Album der 90er Jahre: Zwar gibt es dieses Mal andere Songs als auf den fest deckungsgleichen „Live Rust“ und „Weld“, doch merkt man schnell, dass man gar keine anderen Songs hören möchte, zumindest nicht die hier versammelten, heillos zerspielten Nebenwerke. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass „Year Of The Horse“ nicht mehr ist als eine Verlegenheitslösung, um im Fahrwasser des gleichnamigen Jim-Jarmusch-Films (der im Übrigen das Live-Ereignis Neil Young weitaus besser dokumentiert) noch einmal die Youngsche Rauhbeinigkeit abzufeiern. Als hätte dieses lustlose Geschrummel nicht ausgereicht, kommt drei Jahre später mit „Road Rock Vol. 1“ eine weiteres unnötiges Live-Dokument – mit Songs, die man vorher kaum kannte und niemals näher kennenlernen wollte. 2,5

SILVER AND GOLD (2000)

Die Kritiker waren wohl so begeistert, endlich wieder ein Neil-Young-Album mit echten Songs zu hören, das zu allem Überfluss auch einen wundervollen Sound hatte, dass sie die Banalität der meisten Songs auf „Silber & Gold“ übersahen und sich von Young selbst die Bären aufbinden ließen, es handle sich hier um ein Meisterwerk. Wfnn man genau hinschaut stellt man fest, dass nur drei der Songs wirklich taugen. Zwei davon („Silver and Gold“, „Razor Love“) haben schon etliche Jahre auf dem Buckel, „Without Rings“ wird am Ende versteckt. Es wimmelt von Sentimentalitäten („Buffalo Spingfield Again“) und textlichen Peinlichkeiten. Der beste Young-Song aus der Zeit findet sich auf dem ansonsten üblen CSNY-Comeback „Looking Forward“: „Slowpoke“: „When I was faster, I was always behind.“3,0

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