Andrea Schroeder Where The Wild Oceans End :: Regelmäßig werde sie nach ihren Konzerten gefragt, sagt Andrea Schroeder, warum sie beim Singen immer an ihrer Handtasche herumfummeln müsse und sie unaufhörlich auf-und zuklappe: Die Leute hätten den ganzen Abend offenbar nicht bemerkt, dass beim Aufund Zuklappen Töne entstehen. Tatsächlich handelt es sich bei der Handtasche von Andrea Schroeder um ein indisches Harmonium, das sie beim Singen in graziler, aber keinen Widerspruch duldender Weise zusammenquetscht und wieder dehnt; es begleitet sie freundlich stöhnend und schnaufend durch ihre düsteren Lieder. Außerdem lässt sich Andrea Schroeder von einem Standbass begleiten, von Geige und Bratsche und einem hippiehaft schellenscheppernden Schlagzeug -und vor allem von herrlichen, grell glimmenden, weit ausschwingenden, mal lieblich singenden, mal fies fiependen Gitarren-Drones: ein uferlos sich sehnender ozeanischer Krach, zu dem sie von wilden Ozeanen singt, vom Schmerz der Versagung und der Schönheit des Schmerzes.
Schon die Amsel, der „Blackbird“, der Schroeders Albumdebüt aus dem Jahr 2012 seinen Namen verlieh, zwitscherte nicht lockend den Frühling herbei, sondern kündete von „blutroten Rosen in stiller Nacht“ und dem „Bösen in der Tiefe unseres menschlichen Lebens“. Auf der neuen Platte, „Where The Wild Oceans End“, trampelt nun eine Spinne mit sehr fetten Beinen auf dem Herz eines Mädchens herum („The Spider“), Ratten verschwinden in der luftlosen Leere zwischen zwei Menschen, die sich nicht mehr lieben. Wenn der Sommer mal kommt, dann natürlich nur, um „Auf Wiedersehen“ zu sagen („Summer Came To Say Goodbye“), wenn Blumen besungen werden, dann wachsen sie auf Gräbern -wie die Gänseblümchen auf dem Grab des kleinen Geistes, das Andrea Schroeder in Berlin gesehen hat; in dem Stück „Ghosts Of Berlin“ singt sie für alle untoten Hauptstadtbewohner, die lautlos die Straßen durchspuken oder leblos drunten im Erdreich auf den Tag der allgemeinen Wiederauferstehung warten.
Man könnte die dauerhafte Tristesse ihrer Texte auf Dauer etwas trist finden -wäre da nicht dieser warme, dunkelbunt lockende und zugleich kokett sich versagende Gesang von Andrea Schroeder, der oft nur knapp über dem gehauchten Sprechen schwebt, aber sich gelegentlich doch und dann umso eindrucksvoller in leidenschaftliche Melodik erhebt. Wunderbar, wie sich in den Songs im Ganzen -arrangiert von ihrem Gitarristen Jesper Lehmkuhl -dieses Wechselspiel aus Versprechen und Versagung widerspiegelt: So sehr sich ihre Musik aus Blues-und Country-Motiven speist, so virtuos verweigert sie sich jeder traditionellen Strophe-Refrain-Struktur. Schnaufend und sirrend und scheppernd und singend erzeugt Andrea Schroeders Band eine Spannung, die niemals aufgelöst wird, sondern sich steigert und steigert, bis sie verglimmt; es bleibt eine Aura, ein leichtes Leuchten in dunkler Nacht um eine Stimme, die sicher und schön noch über den wildesten Wassern zu schweben vermag. (Glitterhouse)