Bright Eyes – I’m Wide Awake, It’s Morning/Conor Oberst – Digital Ash In A Digital Urn

Schon die gesprochene Einleitung ist von lakonischer Grausamkeit und Absurdität. Conor Oberst erzählt von einer Frau und einem schweigsamen Mann in einem Flugzeug. Der Mann lässt sich immerzu BIoody Marys nachschenken. Als das Flugzeug abstürzt, beginnt der Mann zu sprechen: „We’re going to a party! This is your birthday party!“ Und er beginnt ein Lied zu klampfen – das Lied, das Conor Oberst jetzt singt: „At The Bottom Of Everything“, ein geradezu hysterisch heiteres Manifest, das mit der frappierenden Einsicht endet: „All the city buses swimming past, I’m happy just because I found out I am really no one.“ Kann es noch lustiger werden?

In der nihilistischen Welt des Conor Oberst ist es immer schon zu spät. Niemand seit Dylan, nicht einmal Will Oldham oder Ryan Adams, hat in jungen Jahren ein solch stupendes, musikalisch brillantes, lyrisch bizarres Werk vorgelegt wie der genialische Sonderling aus Nebraska. Obersts Stimme ist einzigartig unter den amerikanischen Songschreibern – seine Stücke verdanken sich dem Folk und der Country Music, sind meisterlich und reich arrangiert, voll melodischer Raffinesse und verblüffenden Wendungen. Oft beginnen sie als harmlose Hillbilly-Weisen und explodieren dann in jubilierende, irrwitzige Hymnen, gesungen und geschrien von einem Mann am Rande des Wahnsinns, einem Propheten, einem blinden Seher. Oberst bringt dieses Kunststück immer wieder mit der Kaltblütigkeit eines Entfesselungskünstlers.

Bei allem Fatalismus schreibt er die schönsten Songs, die man sich vorstellen kann. „First Day Of My Life“ ist so ein mustergültiges kleines Stück, das die Möglichkeit eines finalen Glücks enthält: „Remember the time you drove all night. Just to meet me in the morning. And I thought it was strange, you said everything changed, you felt as if you just woke up. And you said, this is the first day of my life. I’m glad I didn’t die before I met you. But now I don’t care I could go anywhere with you and I’d probably be happy.“ Die beiden zentralen Begriffe des Albums klingen hier an: das Aufwachen und der Morgen. Und der wichtigste Begriff in Obersts Werk: der Tod.

In diesen Songs ist der Tod nicht nur die einzige Lösung, sondern die Bedingung für alles Wunderbare, was uns im Leben passieren kann. Jeder Moment der Erfahrung ist so kostbar, weil er der ewigen Dunkelheit abgewonnen wurde. Deshalb dieser kindliche Frohsinn angesichts des erhabenen Augenblicks: „Now the ocean speaks and spits and I can hear it from the interstate. I’m screaming at my brother on a cell phone, he is far away. I’m saying, nothing in the past or future ever will feel like today.“

Am Ende, in „Road To Joy“, dreht der Sänger schließlich durch -und der Kreis schließt sich. „The city cemetary’s humming, I’m Wide awake, it’s morning.“ Zu einer Travestie von Beethovens „Ode an die Freude“ brüllt Oberst: „I could have been a famous singer ifl had someone eise’s voice. But failure’s always sounded better, let’s flick it up boys. Make some noise.“ Und das tut er dann.

Wer nach dieser Platte, der depressivsten und erhebendsten seit „OK Computer“, noch Atem hat, der kann bei „Digjtal Ash In A Digital Urn“ abermals staunen. Mit einem Arsenal von programmiertem Schlagzeug, Samples, Wurlitzer-Orgel, Streichern und Trompeten inszeniert Oberst hier bedrohliche, wummernde, marschierende, kreiselnde, burleske, hymnische Miniatur-Symphonien. Die Ironie liegt darin, dass in dem vermeintlich kalten, eben digitalen Ambiente mit versetzten Rhythmen und automatischem Pulsschlag der alte Adam durch alle Ritzen wieder hereinkommt: Glockengeläut, Kinderstimmen, gespenstische Melodien, Babygeheul, Obersts aufgekratzter Gesang. Es ist natürlich alles zu viel, doch es ist herrlich.

Halten wir uns fest: Jetzt erfindet Conor Oberst nebenbei auch noch die Musik der Zukunft.

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