Conor Oberst

Ruminations

Aus der Einsamkeit von Nebraska kriecht Conor Oberst völlig unerwartet mit einem Americana-Meisterwerk hervor

Der Anruf erwischte Simone Felice kalt. Sein Freund und Kollege Conor Oberst hatte schlechte Neuigkeiten: Der Winter in Omaha/Nebraska sei zu hart gewesen, ihm falle nichts mehr ein, vielleicht werde er nie wieder einen Song schreiben ­können. Ausgerechnet Oberst, dieser „beautiful maniac“, der mit den Bright Eyes und der Mystic Valley Band, mit Desaparecidos und Commander Venus, mit den Monsters Of Folk und solo in den vergangenen 20 Jahren ungefähr zwei Dutzend gute bis meisterhafte Alben herausgebracht hat. In den Linernotes zu „Ruminations“ klingt Felice immer noch geschockt.

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Es kam zum Glück anders. Wenig später erzählte Oberst, er ­habe jetzt doch noch ein paar Worte gefunden, ein paar Melodien, ein paar Ideen. Wie im Fieberrausch nahm er auf, ganz allein. Mike Mogis mischte „Ruminations“ ab, aber so sehr nach Conor Oberst klang schon länger kein Conor-Oberst-­Album mehr, obwohl sie ja alle von seinem Gesang und seinem Erzähl­drang leben. Diesmal lässt er Unnötiges – Spoken-Word-Schnipsel, Soundspielereien – weg, bis die reine Leidenschaft übrig bleibt, manchmal auch nur das Leiden.
Es geht mit der Bestandsaufnahme „Tachycardia“ los: „I’m a stone’s throw from everyone I love and know/ But I can’t show up looking like I do.“ Schlechte Träume, siebenmal pro Woche, Herzrasen, am Ende zittert der ganze Oberst, nicht nur seine Stimme.

Ein bisschen wie Dylan

Mundharmonika, Akustikgitarre und Piano, mehr braucht es nicht bei dieser sanften Raserei, der anmutigen Verzweiflung, den seltsamen Texten. „Gossamer-thin“, hauchdünn: So sind wohl vor allem Conor Obersts Nerven. Er zählt Schafe, doch die Ruhe hilft ihm kein bisschen: „Early to bed, early to ­rise/ Acting my age, waiting to die.“ Es wird immer leiser, „rumi­nation“ heißt ja „Nachsinnen“. Sogar die Abenteuergeschichte „The Rain Follows The Plow“ (Motorräder! Gelegenheitssex! Gewitterwolken!) scheint fast stillzustehen.

Erst bei „A Little Uncanny“ macht die Mundharmonika wieder etwas Alarm, und Oberst leiert ein bisschen wie Dylan, wenn er seinen längst begrabenen Helden und ihren Träumen nachtrauert. Der Tod ist ständig nebenan, genau wie die Ernüchterung – in „Next Of Kin“ berichtet er, dass die Begegnungen mit Lou Reed und Patti Smith nichts gebracht hätten, während „You All Loved Him Once“ wie die Lebensgeschichte von Kurt Cobain klingt. Zum Abschluss, bei „Till St. Dymphna Kicks Us Out“, trumpft Oberst mit einem Piano auf, das so nervös klingt wie er selbst, vielleicht auch nur betrunken – die Hl. Dymphna ist die Patronin der psychisch Kranken.

Grund zur Sorge? Erst wenn Conor Oberst wirklich keine Songs mehr schreibt. (Nonesuch/Warner)