John Coltrane

Both Directions At Once: The Lost Album

Als hätte man in einer Pyramide eine neue Grabkammer entdeckt: das große, jetzt entdeckte Album von John Coltrane.

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Herrlich! Natürlich ist dieses im Nachlass von Coltranes erster Frau, Naima, gefundene Album eine Sensation. Oder wie Sonny Rollins, den Coltrane Anfang der Sechziger als Saxofon-Koloss überholte, meint: als hätte man in einer Pyramide eine neue Grabkammer entdeckt. Man hört indes genau, was man um 1963 von diesem wundervollen, „klassisch“ genannten Quartett mit McCoy Tyner am Klavier, Jimmy Garrison am Bass und Elvin Jones an den Drums hören konnte: das Heraufdämmern einer neuen Zeit, Blick nach vorn, Ohr in der Geschichte.

Entstanden zwischen einer Live-Residency im Birdland und Aufnahmen für das am Tag nach diesen Sessions produzierte Song­album mit Johnny Hartman (darum vielleicht hier erstmals und recht gradlinig Nat King Coles „Nature Boy“), wirkt es trotzdem nicht beiläufig oder wie eine Fingerübung. Vielmehr spielt das Quartett meisterlich auf den Schultern der Bopper, melodisch und rhythmisch kohärent, aber man spürt in den meisten Tracks bis zum korrekt betitelten, namenlosen „Slow Blues“, wie Coltrane es kaum noch aushalten kann, nicht ganz abzuheben.

https://www.youtube.com/watch?v=09cqsDQAk3M&list=PL5Ym4SuQheryoyL7VWD4bby8lpTH9sz3M

Dabei gönnt er sich ­etwa in einer frühen, knappen Version von „Impressions“ durchaus schon den Ausblick ins Freie – vor allem kann man hier, in Abwesenheit Tyners, schön verfolgen, wie unfassbar sicher und virtuos Jones sich durch die Architektur des Stücks wirbelt. „Untitled 11383“ klingt mit seinem Hardbop-Riff ein bisschen vorläufig, lebt aber von großartigen Soli vom Chef und von Tyner. Das zweite „Untitled“, „11386“, hat zwar nur zwei Harmonien, gefällt mir aber wegen seines Latin-Schlags besser, und es nimmt deutlich Anlauf für die spirituellen Höhen, die er mit dem Quartett bald in „A Love Supreme“ erklimmen würde. (­Impulse/Universal)

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