Marika Hackman

„Big Sigh“

Chrysalis/Cargo (VÖ: 12.1.)

Anmut und Härte: Ein Alt-Pop-Schmetterling

Selten war Nasenbluten fieser. Gegen Ende kotzt sie auch noch in großem Schwall. Ja, a bisserl schwindligschlecht konnte es einem schon werden beim Video zum Vorabtrack „No Caffeine“, der lakonisch Abwehrmaßnahmen gegen die nächste Panikattacke referiert und dabei „Don’t throw up“ auf „Maybe try and fuck“ reimt. Explizit war die Britin aus Hampshire ja schon immer, zuletzt auf „Any Human Friend“ anhaltend bezüglich einer, ihrer selbstbestimmten Sexualität („Hand Solo“).

Es gibt Hoffnung

Jenseits dessen war vor allem erstaunlich, wie sich die Nu-Folk-Raupe Marika Hackman seit ihrem Albumdebüt, „We Slept At Last“ (2015), zu einem Alt-Pop-Schmetterling entpuppt hat, dem gewisse Postergirl-Qualitäten attestiert werden müssen. Diese nimmt sie nun auf „Big Sigh“ wohl unbewusst auf, wenn sie in „Blood“ empfiehlt: „Pin me down on heavy paper, hang it up against the wall and pretend I’m still alive.“ Das Blut, das bei Hackman in Liebe (vermutlich) getrunken wird, entbehrt jeder religiösen Metapher – ein Körper ist hier nur ein Körper. Auch auf die harte, humoristische Spitze getrieben, wenn sie ihre Mutter in „Vitamins“ sagen lässt, die Tochter sei „a waste of skin, a sack of shit and oxygen“.

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Die Musik dazu, von Hackman abzüglich Bläser und Streicher komplett selbst eingespielt, hat sehr viel Oxygen. Sehr viel Klavier auch, in Arrangements, die Songs wie „Hanging“ und „Slime“ auf organischem Grund zu kunstvoller Blüte treiben und im Zwischenspiel „The Lonely House“ sogar ganz auf diese Stimme verzichten, deren Anmut das Gesagte erst recht hervorkehrt. Im Auftakt, „The Ground“, reicht ihr ein in Streichergewittern geisthaft beschworener Satz: „Gold is on the ground, I was happy for a while.“ Doch die Selbstgeißelung ist noch nicht gebannt: „Well, I must’ve done something to deserve to feel this sad“, singt Marita Hackman. Im Titeltrack, der erfolgreich noch mal tut, als hätte es all die Indie-Frauen mit Gitarren gar nicht gegeben, heißt es aber auch: „God loves a trier.“ Es gibt Hoffnung.

Autor: Jörg Feyer