Mark Hollis :: Polydor

Als Erfinder ist Mark Hollis zielstrebig, als Künstler hypersensibel. Am Beispiel von Talk Talk hat er einst vorgeführt, wie man aus einer Pop-Band ein Ensemble für Ernste Musik macht. 14 Sekunden lang hört man zu Beginn der letzten Talk Talk-Platte, „Laughing Stock“ (1991), das Rauschen eines Verstärkers. Das wurden vieldiskutierte 14 Sekunden: Talk Talk-Fans raunten von Konzeptkunst und white noises. In der Tat hatte Hollis auf diesem Album sein Verfahren des Klänge-in-Watte-Packens zur Perfektion entwickelt Jeder Gitarren-Akkord schien etwas ganz Einzigartiges und Erstaunliches zu sein.

Kollegiale Bewunderung kam von anderen Musikern. Irgendwann in den Tiefen der Achtziger hatte diese Band mal einen Hit gehabt („Life’s What You Make It“). Jetzt aber war sie an einem Punkt, wo sie in jedem Moment überraschend sein konnte: Der elektrische Miles Davis war der Pate von „Laughing Stock“, die Musik trieb frei dahin wie „Bitches Brew“. Bedauerlicherweise waren Talk Talk mit dieser Platte am Ende. „Wir hatten alle Arbeitsmethoden ausprobiert“, so Hollis, der Workshop-Leiter.

Auf seinem ersten Solo-Album ist dieser nun noch ein wenig ernster geworden. Er hat sich mit Kadenz und Kontrapunkt beschäftigt und das Arrangieren von Holzblasinstrumenten geübt. Statt Miles Davis scheint jetzt Erik Satie sein Vorbild zu sein: Etwas Strenges, Klösterliches umgibt die Platte, die kürzlich noch „Mountains Of The Moon“ heißen sollte. War dann wohl doch zu kitschig, zu plakativ. Das Album ist durchweg akustisch: Gitarre, Klavier, ein Jazz-Besen. Kein schroffer Ton stört die Einkehr. Und dann die vielen Holzbläser-Arrangements! Klarinetten statt Krach. Mark Hollis führt uns sein neues Lieblingsspielzeug vor. Wir kommen uns vor wie der Musiklehrer. Was kann man einer Platte Schlimmeres antun, ab wohlwollend zu nicken?

Doch so ist es nun auch nicht. Die Klavier-Etüden des ersten Songs „The Colour Of Spring“ bezaubern sofort. Der Titel erinnert an ein Talk Talk-Album, eine freundliche Reminiszenz. Der Song „The Gift“ ist wie ein warmer Strom, der sich ausnahmsweise mit einem Begriff ziemlich genau beschreiben läßt: Folk-Jazz. Wie eh und je entzieht Hollis durch Dehnen, Zerren und Verschlucken seine Texte der Verstehbarkek. Schon früher bei Talk Talk fragte man sich, warum sie überhaupt noch aufs Cover gekrakelt waren – man konnte die Schrift doch sowieso nicht lesen. Auf diesem Album setzt Hollis seine Stimme konsequent als Instrument ein, am Ende des etwas zu breit angelegten Stücks „A Life (1985-1915)“ wimmert sie nurmehr wortlos vor sich hin.

Auf dem Aufmerksamkeits-Niveau, auf dem man Popmusik normalerweise wahrnimmt, kann man diese Platte noch nicht einmal hören. Leiser, am leisesten: Mark Hollis sucht die Stille. Mideidend hat er sich in diese Platte versenkt Aber er hat auch Ewigkeiten an den Arrangements herumgedoktert. Die spielerische Leichtigkeit der Talk Talk-Platten ist verlorengegangen, dafür gibt es jetzt schön geschnitzte Miniaturen – weniger Breite, mehr Pointillismus, die Tiefe unbeziflerbat „Mark Hollis“ hat große Momente, leidet aber wie alles allzu Ambitionierte an der immanenten Spannung zwischen der Kunst und der Kunstanstrengung.

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