Mike Watt – Ball-Hog Or Tugboat :: Sony Music 478375
Mike Watt Sony Music 478375 Bassisten sind Schweiger. Meist stehen sie im Hintergrund und lächeln verlegen. Obwohl sie Rhythmus-Menschen sind, wirken manche ungelenk auf der Bühne. Doch auch ein Bassist kann Popstar werden. Sting hat es zu einigem Ruhm gebracht, der populärste und langweiligste ist Paul McCartney. Keiner aber harmoniert an dem sperrigen Instrument wie Mike Watt. Der Kalifornier ist, obgleich nur Eingeweihten ein Begriff, eine Koryphäe unter vielen Handwerkern. Bis vor zwei Jahren war Watt das Herzstück des hochgeachteten Ensembles fIREHOSE, das unerreicht Hardcore und Country zusammenbrachte. Als sich das Trio auflöste, entzündeten Anhänger eine Kerze, um für dessen Rückkehr zu beten. Nun kommt Watt noch besser. Für seine erste eigene Platte hat er eine erlesene Schar um sich gruppiert, ein Kollektiv voller Kumpels und Könner: Thurston Moore von Sonic Youth und Dinosaur Jr. J. Mascis, Henry RoUins, die zwei Nirvana-Überlebenden Dave Grohl und Krist Novoselic, Sänger von Pearl Jam, Soul Asylum, den Meat Puppets und Screaming Trees, sogar die Beastie Boys sind dabei. Sie alle erweisen ihm Respekt. Flea von den Red Hot Chili Peppers überläßt Watt einmal den Baß-Part Sozusagen von Gottes Gnaden. Dennoch ruht Bescheidenheit in dem Bart-Träger. Bereits der Plattentitel „Ball-Hog Or Tugboat“ ist von trefflicher Selbstironie. Sein Album bezeichnet Watt als Wrestling-Prqjekt ohne Songs über Wrestüng. Er fordert Nachwuchs und Gleichgesinnte heraus, indem er sie ihre Eigenarten ausspielen läßt und dazu mit Bravour begleitet. Also nölt der Lemonheads-Slacker Evan Dando mit „Piss-Bottle Man“ einen fabelhaften College-Rock-Gassenhauer, malocht Henry RoUins gegen „Sexual Militay Dynamics“, vergeben Mascis und Moore an „Tuff Gnarl“ ihre unnachahmlichen Riffs, begibt sich Rapper Mike D. auf einen furiosen „E-Ticket-Ride“. Auf diesem Album gibt es keinen Ausfall. Der Schrat und seine Supergruppe verlieren sich jedoch niemals in Selbstherrlichkeit. Ihre Songs sind keine Meisterstücke, eher eine meisterhafte Integration von Individuen und ein uneitler Schulterschluß von Alternative-Rock-Größen, deren Kunstfertigkeit auch im Kommerz wahrhaftig bleibt. Im Zusammenspiel kommentieren sie die anderen und sich selbst Daher kann Eddie Vedder, der sich als Epigone mißverstanden fühlt, „Against The 70’s“ singen. Kathleen Hanna von BikiniKill giftet beim Song „Heartbeat“ auf Watts Anrufbeantworter, sie sei „too cool for your fiicking album“. Ungerührt gibt Watt ihren Namen in den Credits unter „Spiel“ an. Ein Schelmenstreich. Dabei könnte niemand den Austausch besser zusammenhalten als Mike Watt. Der Freigeist ist, wie er beim ersten Song selbst ins Mikrophon brummt, der „Big Train“. Gelassen spielt er Jazz, südamerikanische Folklore, Folk-Pop, Chanson-Rock und Punk mit. Den Glanz erhält die Platte als homogenes Ganzes, in dem Saxophon, Mandoline, Trompete, Tambourin, Percussion, Violine, Saxophon und das Piano von Paul Roessler die Nischen füllen. Großartig klingt auch der emphatische Jazz-Core-Rap von Dave Pirner mit Gitarrist Todd Rigione. Der bemerkenswerteste Song ist jedoch „Maggot Brian“. In diesem Blues-Epos unterlegen Watt und Bernie Worrell an der Hammond-Orgel dezent zwölf Minuten einen schwermütigen Höhenflug von J. Mascis, der unfaßbare Romantik aus der Gitarre quält, bis das Herz blutet. Bei aller Hingabe und Präzision ist „Ball-Hog Or Tugboat“ natürlich auch eine Spaß-Session. Mit „Intense Song For Madonna To Sing“ hat Watt ein kakophonisches Instrumentalstück eingespielt. Hätte die Pop-Primadonna das Angebot angenommen, sie wäre geadelt worden – und Mike Watt wäre bald der berühmteste Bassist. Oliver Hüttmann