Mr. Turner. Meister des Lichts :: Regie: Mike Leigh
Timothy Spalls Darstellung des britischen Landschaftsmalers J. M. W. Turner ist in jeder Hinsicht eine Zumutung. Die Geräusche, die dieser unförmige Körper von sich gibt, sind unvereinbar mit der britischen Klassenetikette, seine Auftritte nicht selten ein öffentliches Ärgernis. Und wenn Spall beim Sex mit seiner Hausdame und gelegentlichen Mätresse zu sehen ist, fallen ästhetischer und sozialer Affront plötzlich in einer einzigen Einstellung zusammen.
„Mr. Turner“, Mike Leighs dritter historischer Film nach „ Topsy-Turvy“ und „Vera Drake“, hinterlässt für eine Künstlerbiografie ziemlich viele Irritationen. Der nach dem Abgang von Ken Loach letzte englische Sozialchronist hat sich mit Turner eine schillernde Figur der Kunstgeschichte vorgenommen, aber mehr als für das künstlerische Genie interessiert sich Leigh für eine gesellschaftliche Reizfigur, die die Bigotterie seiner Zeitgenossen schon mit seiner raumgreifenden Körperlichkeit attackiert. Turners künstlerischer Einfluss wird in den 25 Jahren, die der Film streift, eher als selbstverständlich mitgenommen. So ist Spall nie beim Malen seiner expressiven Bilder zu sehen – im Gegensatz zu Ed Harris in der Rolle eines anderen bedeutenden Actionpainters seiner Zeit, des virilen Pollock. Stattdessen zeigt Leigh Turner beim Spannen durch ein Guckloch, während der Vater die hohen Gäste durch sein Atelier führt. Er holt sich lieber heimlich einen auf die Bewunderung seiner Mitmenschen runter, als sich dem Rangewanze der noblen Gesellschaft auszusetzen.
Die anhaltende, fast zeitlose Faszination von Turners Landschaftsbildern überträgt Leigh in einen filmischen Gestus, der nicht anders als pastoral zu nennen ist. Damit steht „Mr. Turner“, Leighs erster digital gedrehter Film, dem dubiosen Sujet einer britischen „Nationalkunst“ verdächtig nah. Aber es ist Spall, der seiner Figur eine Unberechenbarkeit und immer wieder auch eine nicht für möglich geglaubte Zartheit einverleibt, die an den kauzigen Anarchismus von Leighs früheren Sozialporträts wie „Naked“ anknüpft.