Ron Sexsmith – Retriever

„Kritikerliebling“ ist ja so ziemlich das schlimmste Wort, mit dem man einen Musiker belegen kann. Die Alben werden gelobt, ja, gepriesen, und keiner kauft sie. Auf den Konzerten tummelt sich meist wenig mehr als die erweiterte Musikpresse. Die Besprechungen setzen sich aus den Eitelkeiten der jeweiligen Rezensenten zusammen. – „Als ich den Künstler das letzte Mal traf, verriet er mir schon…“ In solchen Momenten ahnt man, dass der so genannte Musikjournalismus sich selbst genug ist. Ron Sexsmith ist ohne Frage ein Kritikerliebling, und auch Kollegen schätzten ihn. Elvis Costello, Paul McCartney, Coldplay, Travis. Einige der Songs des letzten Sexsmith-Meisterwerks „Cobblestone Runway“ schafften im letzten Jahr dann aber sogar auf den ein oder anderen Hollywood-Soundtrack, das Video zu „Gold In Them Hills“ mit Chris Martin lief im Musikfernsehen. Als ich Ron das letzte Mal traf (aha!), verriet er mit, das nächste Album werde „rockiger“. Keine gute Idee, dachte man. Sollte der zarte Erfolg hemdsärmelig verspielt werden? Ein zweites „Blue Boy“? Diese kunstvollen, zerbrechlichen Songs wollen weich gebettet werden, das verstand bis dato niemand besser als Mitchell Froom. Doch der ist auch dieses Mal nicht dabei.

Stattdessen produziert Martin Terefe, der auch schon für die Modernismen auf „Cobblestone Runway“ sorgte. Doch dieses Mal lässt er die Elektronik im Heimwerkerkeller. „Retriever“ ist vintage Sexsmith, wie man so sagt. Warme Gitarren, perlendes Klavier (unter anderem gespielt von Ed Harcourt), wohlige Streicher, butterweiches Schlagzeug (bei einigen Songs von Travis‘ Neil Primose) und natürlich diese herzerweichende Stimme. Hier hat alles seinen Platz, selbst der Weichspüler und Glattbügler Daniel Lanois stört nicht, denn er knipste nur das Coverfoto.

Opulenter Pop, meisterlicher Soul, wie der Verneigung vor dem großen Idol Bill Withers & Whatever It Takes“, und große Folk-Balladen. Tatsächlich haben sich auch vier, allesamt meisterliche „rockigere“-was mit „beschwingtere“ ins Sexsmith-Vokabular zu übersetzen wäre – Stücke eingeschlichen, die dafür sorgen, dass das neue Werk auch dramaturgisch wesentlich besser funktioniert als alles seit (mindestens) „Whereabouts“.

Niemand schreibt momentan schönere, zeitlosere Songs ab dieser Mann, der nicht nur aussieht wie ein naher Verwandter von Brian Wilson und Roy Orbison, sondern auch das Sentiment dieser beiden Giganten in seinen Liedern heraufbeschwört. „How On Earth“, der wohl schönste Sexsmith-Song überhaupt, vergegenwärtigt „In Dreams“ und „Love And Mercy“: „Dreams come true in heaven all the time/ Baby how on earth.“

„Retriever“ ist wie ein wahr gewordener Traum und ohne Zweifel das bisher tollste Album dieses Ausnahmesensibilisten. Das würde man ihm natürlich auch gerne persönlich sagen.

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