SHORT CUTS :: von Lau & Willander

FORMIDABEL

Irgendwann st alles wieder hip, auch der letzte vergessene Zweig der Popmusik. In England erobert zur Zeit 70er-Jahre-Latin-Rock wieder die Tanzflächen. Die Compilation „Chicano Power“ (Souljazz/Indigo) stellt klar, warum Kids, die zur Entstehung dieser Songs nicht einmal geboren waren, heute Rock mit mexikanischpuertorikanischen Rhythmen hören: Der Mix aus wildesten Percussion-Orgien und drogengeschwängerten Gitarrenexzessen ist hochgradig energiereich und schon dadurch voll auf der Höhe der Zeit. Eher ist es verwunderlich, daß erst jetzt jemand die Kracher von Genre-König Santana und seinen Epigonen Chango, Tierra oder Sapo einer neuen Generation schmackhaft macht. Ober kubanische Musik muß man nichts mehr sagen. Deshalb hier nur zwei Hinweise: „Reincarnation“(Rykol RTD), das dritte Album von CUBANISMO, überzeugt mit all dem, was man von der Sozialisteninsel erwartet, also tolle Songs, hohe Spielfreude und brillante Instrumentalisten. Produzent Joe Boyd hat für den glasklaren Sound gesorgt, so daß jede einzelne Trompete der Bigband gut zu hören ist.

Die LASSIE SINGERS gibt es nicht mehr. Das ist schade, denn das Berliner Trio (Quartett? Quintett? Duo?) gehörte zu den feinsten deutschen Bands der 90er Jahre. Auf der „Best Of“ bestätigen heimliche und unheimliche Hits wie „Hamburg“, „Loswerden“ oder „Die Pärchenlüge“ ihre Qualitäten: ein seltenes Gespür für Kompositionen, ein sagenhaftes Talent für (Vokal-)Arrangements und ein unschlagbar lakonischer Humor, den sonst nur Detektive in lässigen Kriminalromanen versprühen. Parallel erscheint eine „Rest Of“ mit Demos, Live-Aufhahmen, Cover-Versionen (Deep Purple, Neil Young) und Vergessenem: eine niedliche CD für Fankinder, die den Erwachsenen nicht nur des zum Teil arg schrabbeügen Sounds etwas merkwürdig vorkommen wird.

Doch für würdigen Nachwuchs ist gesorgt, wie „Zur Hölle, Mama“ (Trikont) beweist. Kompilator Franz Dobler hat wieder mal Meisterwerke des deutschen Pop zusammengestellt; der Schwerpunkt liegt, wie gehabt, auf feinen Funden: Schweizer Collagen-Funk-Blues von Tom-Combo, Autobahn-Pop von Richie Neil (von dem, laut Liner-Notes, niemand weiß, wer das ist), melancholische Mädchenmusik von den Quarks und Barbara Morgenstern gehören zu den Höhepunkten. Aber auch die Promis sind in Bestform: William Burroughs singt einen Schlager, und Katharina Frank überzeugt tatsächlich mit Drum & Bass. Schon schön.

Die Wüste von MOJAVE 3 liegt in England, doch der Sound der chronisch erfolglosen Band pendelt auf „Out Of Tune“ (4AD/RTD) sehr angenehm zwischen der zarten Melodiemagie von Nick Drake (Sänger Nick Halstead trifft fast dessen Tön) und Westcoast-Harmonieseligkeit. Unterschätzt und ignoriert in Britannien wie anderswo, verdienten Mojave 3 einen Preis für zweckfreien Schönklang.

Die Väter der Grunnge-Klamotte gibt es noch immer: MUDHONEY sind so unzerstörbar wie ihr Sound, der auch auf „Tomorrow Hit Today“ (Reprise/ WEA) schwer, zäh und elementar ist. Mark Arm krakeelt und bedient die Orgel, die Kollegen hauen drauf. An den Keyboards: der große Jim Dickinson.

The God Machine war ein Musiker weggestorben, und dann gab es die Band nicht mehr. Ein Grund mehr für den Wutmelancholiker Robin Proper-Sheppard, den Kopf hängen zu lassen. Nun hat er mit SOPHIA wieder eine Art von Big Band, mit der er Schwermutslieder aufführen kann. „I’m losing my direction“ singt er schon zum Auftakt von „The Infinite Circle“ (Flower Shop/ RTD). „I say goodbye to my friends/ Some I’ve known for years.“ Sheppard ist kein großer Lyriker, doch die Totalität seiner Hoffnungslosigkeit rührt.

>h3>AKZEPTABEL

Deftige Songs zwischen Punk und Roll, gerader Rock, stille Balladen, verwehte Klänge, massiver Lärm und immer wieder die hohe Kunst des langsamen, melancholischen Lieds: Das US-Quartett FUCK schweißt all dies auf seinem vierten Album „Conduct“(Matador/RTD) allein mit dem Talent für Melodien und dem unüberhörbaren Willen zum originären Ausdruck zum Gesamtwerk zusammen. 17 sich bruchlos abwechselnde Gefühlsbäder in 34 Minuten: Hut ab dafür!

Die Schatten werden länger: Weil den früher fabelhaften THEY MIGHT BE GIANTS nicht mehr viel einfällt, haben sie ein Live-Album aufgenommen. „Severe Tire Damage“ (Cooking Vinyl/Indigo) enthält unwiderstehliche Gassenhauer wie „Birdhouse In Your Soul“ und „Istanbul (Not Constaninople)“, bei denen wir uns als Gymnasiasten gekugelt haben. Unnötige Platte, macht aber Laune.

„Wer in Wiesbaden aufwächst, hat die Langeweile erlebt“, heißt es zu der Band REKORD und ihrem Album „Morgen“ (TamTam/Ariola), und deshalb singt Daniel Riedl im schönsten Stück „Nie mehr (As If We Were Born To Run)“: „Ich sitz‘ zu Hause auf der Couch und hör‘ zum dritten Mal ,Born To Run’/Ich will das auch, ich muß hier raus/ Und wir fahren durch die Straßen unserer kleinen Stadt/ Und ich will nie mehr etwas anderes tun…“ Und die Gitarren dröhnen fast so verzweifelt wie bei Springsteen. Hier geht es um die seelische Topographie des Landes, die Ödnis der Provinz und das Ende des Jungseins. Tocotronic, aufgepaßt!

INDISKUTABEL

„Das Hammer-Doppelalbum“ verspricht man uns von R. KELLY, einem Basketballspieler und Säuselsänger, der in den USA ungefähr eine Milliarde Alben verkauft hat. „Sex is a reality“, erklärt Kelly seine Inspiration – und wirklich: „R“(Jive/ RTD) enthält erstklassige Fickmusik.

Sie kommen aus Kreuzberg und sehen SCHWARZ (Day-Glo/SPV). Sie grunzen zu Marschierterror aus Kreissäge-Gitarren über „Meine Traurigkeit“ und „Zauberstunde“. Die neue teutsche Schwermut ist die alte: Krawall auf Gefühlstrümmern, so anheimelnd wie ein Koksofen. Jammerlappen sind besonders schwer erträglich, wenn Larmoyanz hinzukommt Grusel-Trash aus Amerika: ROB ZOMBIE, früher Anführer bei White Zombie, nutzt die Splatter-Welle für seine geistlose Geisterstunde „Hellbilly Deluxe“ (Geffen/Universal). Zu altmodischem Metal-Müll und Elektro Rabatz grunzt und raunzt Zombie, daß es keine Art hat. Rammstein sind amüsanter.

Der jüngste Witz in der Nachfolge von Guildo Hörn ist ein ehemaliger Briefträger aus Dublin, der zwar James Brown heißt, sich aber blasphemisch THE KING nennt und auf „Grönlands“ (EMI) humorfrei und unlustig heilige Songs wie „Come As You Are“, „I Heard It Through The Grapevine“, und „Working Class Hero“ trällert. Brown bemüht sich um Elvis‘ Timbre, klingt aber nicht ähnlich. Dafür schaut er aus wie der junge Ted Herold. Der Mann verdient Mitleid: Er hat fünf Kinder zu ernähren.

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