Sigur Ros – Takk…
Cineasten kennen das als Kuleschow-Effekt: Weil Bedeutung vor allem vom Kontext generiert wird, läßt sich Wahrnehmung da auch manipulieren. Bei den suggestiven Platten von Sigur Ros landet man darum ständig in der Kuleschow-Falle. Weil die wichtigste Information, die es über die Band zu geben scheint, die ist, dass sie aus Island kommt, phantasiert man in die Musik gerne Gletscher, Geysire und Gammelrochen hinein. Wenn man uns vorher weisgemacht hätte, Sigur Rös kämen aus New York, würde man stattdessen Yellow Cabs, Melting Pot und Ground Zero herauszuhören glauben. Nur bei Castrop-Rauxel täte man sich mit dem Hineininterpretieren vielleicht etwas schwer.
Dabei haben es Sigur Rös und ihr viertes Album „Takk…“ (isländisch für „Danke“) verdient, um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Etwa für das sich aus verhalltem Klaviergeklimper entwickelnde „Hoppipolla“, das wie ein niemals enden wollender Refrain vor sich hin seufzt. Oder für „Gong“: ein Streichquartett, das sich in einen Popsong verwandelt, und dessen Traurigkeit so groß ist, daß sie einfach ins nachfolgende akustische .Andvari“ überschwappt. Oder für „Glosoli“: Eine ganze Weile schlurft das Stück so vor sich hin, bis man plötzlich merkt, das daraus ein aufgeregtes Getrampel geworden ist – ein Stück, das am Boden festzukleben scheint, während Jonsi Birgissons Falsettgesang gleichzeitig weit oben zu schweben scheint.
Auch wenn das Album manchmal ein bißchen zu lieblich geraten ist: Um der um Abstraktion bemühten Musik von Sigur Ros einen Hang zum Kitsch oder gar Sakralen zu unterstellen, muß man schon ein böse meinender Mensch sein. Als solcher würde man sich wahrscheinlich auch darüber lustig machen, dass sie sich bei Vangelis die lange ausharrenden Synthesizer-Harmonien und bei Mike Oldfield die Sequenzdramaturgie geborgt haben.
Sigur Rös erweisen sich auf „Takk…“ wieder einmal als Atmosphären-Baumeister. Wer dort weiter Gletscher und Geysire hören will, der darf das aber ruhig tun.