Swans :: The Seer

Fast Krautrock: Noise und Folk entfalten sich in sehr langen Songs

Man glaubte, dass einem die Luft aus den Lungen gesogen würde, so enorm war der Unterdruck, den diese Musik erzeugte: Die ersten Konzerte, die Michael Gira mit seiner Band Swans Mitte der 80er-Jahre spielte, genießen wegen ihrer ohrenzerfetzenden Lautstärke und sonstigen liebevoll zelebrierten Brutalität gegen den Hörer bis heute einen legendären Ruf. Zum monströsen Beat eines Doppelschlagzeugs wand Gira sich brüllend wie ein wundes Tier; die Lieder bestanden aus endlos wiederholten rhythmischen Mustern und lyrischen Mantras, die meist von Selbstzweifel, Selbsthass und Selbstekel erzählten.

In späteren Jahren wurde diese repetitive Ästhetik des Noise ins weiche Klangbild des Folk übertragen: Gira schrieb nun zarte, wenn auch keineswegs heitere Songs, die aber immer noch aus der monotonen Reihung minimaler Motive bestanden. Seit er die Swans nach 13-jähriger Pause 2010 wieder ins Leben gerufen hat, finden Früh- und Spätwerk, Noise- und Folk-Elemente sich bei ihnen in erstaunlichster Weise miteinander verbunden. Auf dem neuen Triple-Album „The Seer“ sind die Songs noch länger, wird den Wiederholungen noch mehr Raum zur Entfaltung gegeben.

Auch waren die Swans noch nie so nah an den repetitiven Mustern des alten Krautrock, namentlich an Can. In dem 32-minütigen Titelstück „The Seer“ fällt Gira in ein leiernd wiederholtes Mantra nach Damo-Suzuki-Manier; in dem 23-minütigen „The Apostate“ tritt die Rhythmussektion so präzis auf der Stelle wie weiland nur Czukay und Liebezeit. So stürzen die Swans aus dem traditionslosen Raum der Ewigen Wiederkehr zurück in die Geschichte der Wiederholung: eine große, auch nach 30 Jahren immer noch unablässig sich erneuernde Band. (Young God) Jens Balzer

Beste Songs: „The Seer“, „A Piece Of The Sky“

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