Tricky – Pre-Millenium Tension

Einsam da oben. Eine verfahrene Situation ist das: Du kannst machen, was du willst, der Applaus ist dir sicher. Aber bist du nicht so fix wieder unten, wie du nach oben gekommen bist? Von wegen! Der Musikbetrieb wird gern schnellebig genannt, doch oft erinnert er eher an einen furchtbar langsam mahlenden Beamtenapparat Wenn du es einmal geschafft hast, kommst du da nicht mehr raus. Da hilft keine Verweigerungstaktik und auch kein Kampf gegen Marketingstrategien. Nicht mal dumme Dosierungen doofer Drogen. Wenn du einmal Erfolg hast, schleppst du daran dein ganzes Leben – oder zumindest ein paar Saisons.

Tricky hat schwer zu schleppen, schrecklich schwer. In „Tricky Kid“, einem zentralen Stück seines neuen Albums, stöhnt er: „They used to call me Tricky Kid/ I live the life They wish they did/ I live the life they own a part/ Now they call me Superstar.“ Jetzt kann er machen, was er will. Da schreit keiner auf, wenn er einem Nebenprojekt, mit dem er erst vor vier Monaten das letzte Album herausgebracht hat, den Namen Nearly God gibt, denn als Messias haben ihn ja eh schon alle gefeiert Und – wie Tricky sinngemäß im oben genannten Track feststellt – ans Kreuz genagelt sowieso. Da leidet jemand für die Menschheit Ja, es ist einsam dort oben am Kruzifix.

Die Plattenfirma schluckt natürlich, daß ihr TripHop-Jesus alle paar Monate mal wieder ein neues Produkt fertig hat Eine Tatsache, die ihn jetzt zum Verhängnis geworden ist Nein, natürlich ist „Pre-Millenium Tension“ kein schlechtes Album. Natürlich besteht es locker den Vergleich mit allem, was zur Zeit im Marktsegment „Beats, aber verschroben“ erscheint, und das ist ja eine Menge. Doch für einen Heiligen wie Tricky, das muß hier so blasphemisch gesagt werden, ist das Langspielwerk ein bißchen dürftig ausgefallen. Die Beats schleifen und scheppern zwar gespenstisch wie auf dem Debüt „Maxinquaye“, doch wurden sie nicht so kunstvoll verkeilt Kaum neue Ideen sind auszumachen. Die morbide Soul-Ballade „Makes Me Wanna Die“, in der ein weiteres Mal die grandiose Martina am Mikro steht, ist sogar der blödeste Song, den er je geschrieben/produziert hat Darüber kann auch nicht die Stimme der Chanteuse hinwegtäuschen.

Aber wahrscheinlich ging es Tricky auf „Pre-Millenium Tension“ gar nicht darum, seine Kunst produktions- und sample-technisch zu verfeinern. Vielmehr stehen hier die „Lyrics Of Fury“ (Songtitel) im Vordergrund. Und da läßt sich der Heiland-Darsteller nicht lumpen und legt die Seele frei Denn so wollen wir ihn ja sehen: famous and naked.

Verfolgungswahn und Ekel, Alpträume und Haß. Das ist der Stoff, aus dem seine Songs jetzt mehr denn je gemacht sind. Und an der Nasenspitze – so oder ähnlich heißt es in „Tricky Kid“ – hängt ein Kokspopel. Wie auf diesem Album kübelweise Paranoia vergossen wird, das erinnert an Abel Ferrara. Dessen Filme sind ja ebenfalls religiös verbrämt und unterliegen hohen qualitativen Schwankungen. Das Stück, das dann doch noch ein paar aufregende Beats aufweist hat Tricky übrigens ans Ende gesetzt: „Piano“ pumpt wie die Beatmungsmaschinen einer Intensivstation.

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