Wilco :: Sky Blue Sky

Die blaue Phase des Jeff Tweedy: ein feinmotorisches Band-Werk

Wir folgten der stilvollsten aller amerikanischen Bands bereits durch die Americana-, die Pop-, die Elektronik- und die Krautrock-Phase. Immer wieder fanden Wilco neue Farben und Stilelemente, um auf ihrer Folkrock-Grundierung beeindruckende Werke hervorzubringen. Nun also befinden wir uns in der blauen Periode. „Sky Blue Sky“ erzählt von Freiheit, Melancholie und Sehnsucht, von der blauen Blume, dem Blues, dem blauen Beatles-Album, der blue note und dem blauen Himmel. „With a sky blue sky/ This rotten time/ Wouldn’t seem so bad to me now.“

Keine Bandstreitereien wie bei der Produktion von „Yankee Hotel Foxtrot“, keine Tablettensucht und kein körperliches Unbehagen wie bei den Aufnahmen zu „A Ghost Is Born“ störten dieses Mal den Wilco-Fluss. Die freie Improvisation und das zügellose Spiel im Studio erweiterten Jeff Tweedys kostbare Songs um immer neue Dimensionen.

Schon das süffige Live-Album „Kicking Television“ transportierte das Lustprinzip dieser so feinmotorischen Wilco-Besetzung. Da war Gitarrist Nels Cline – ebenso wie Alleskönner Pat Sansone nun zum ersten Mal auf einem Wilco-Studioalbum zu hören – bereits der heimliche Star. So schön wie auf „Sky Blue Sky“ klangen Wilco-Gitarren allerdings noch nie. Das abgestoßene und mehrmals neu verleimte Neil-Young-Brett kommt zwar auch wieder zum Einsatz, doch öfter noch werden elegantere, besonders glänzend polierte Modelle – vermutlich früher im Besitz von Jerry Garcia, Santana, Lee Underwood und Tom Verlaine – von Cline, Tweedy und Sansone zärtlich liebkost. Dazu erklingen perlende Klaviere, atmende Orgeln, federnde Perkussionen und flirrende, von Jim O’Rourke arrangierte Streicher.

Wie ein Folksong hebt sich Wilcos blaue Stunde aus dem Dunkeln, dann lässt Jeff Tweedy seine durch Tabakabstinenz aufgehellte Stimme, ja, man muss es so sagen: leuchten. „Maybe the sun will shine today/ The clouds will blow away.“ Die Orgel zieht den Vorhang auf, der Himmel hängt voller Geigen, die Jazzgitarre schwebt durch helles Blau. „Maybe I won’t be so afraid/ I will understand everything has its plan/Either way.“

Und es wird im Verlauf dieses Albums noch schöner, filigraner – auch abenteuerlicher: das grandiose „Impossible Germany“ ergießt sich in verspulten Television-Gitarren, „Shake It Off“ entwickelt sich unter Albdruck zu einem brodelnden King-Crimson-Crazy-Horse-Gebräu, der Southern-Rock-Stomp „Walken“ wird gleich von mehreren Seiten aufgeribbelt und neu verwebt.

Dienten solch epische Erkundungen auf „Yankee Hotel Foxtrot“ und “ A Ghost Is Born“ als Widerhaken, die den Fluss des Albums für einige Momente anhielten, gar umlenkten, klingt „Sky Blue Sky“ wie aus einem Guss. Wohl weil Jim O’Rourke dieses Mal nicht produzierte, nachbearbeitete, Störfaktoren einbaute. Mancher mag das Fehlen solcher Irritationen und Brüche als Rückschritt empfinden, aber zur Pop-Avantgarde zählen Wilco ja auch nur für Menschen, deren Plattensammlung ästhetisch im Jahr 1967 aufhört. Der Reiz von „Sky Blue Sky“ liegt in der Versiertheit und Leichtigkeit, mit der musikalische Stile ineinander geblendet werden: Jazz, Prog, Blues, Das Album des Monats bei Tonträger

Folk, Country, Pop. Wie Grateful Dead auf ihren besten Alben in den Spätsechzigern und frühen Siebzigern.

Manchmal sind die Wendungen, die die Songs durchlaufen, kaum wahrnehmbar. Ehe man sich versieht, ist das jangelnde „You Are My Face“ in tiefste Depression versunken, und im nächsten Augenblick erblickt man am Horizont schon wieder die ersten Sonnenstrahlen, Tweedys Seelenschau „Side With The Seeds“ erscheint einem von einem Moment auf den nächsten wie reinster Soul, die Van-Morrisoneske Erhöhung des Profanen „Hate It Here“ wandelt sich fast unmerklich in eine Spät-Beatles-Coda. Dazwischen erscheinen immer neue Lektionen in Schönheit und Erhabenheit: die Lennoneske Ballade „Please Be Patient With Me“, das psychedelische „Leave Me (Like You Found Me)“ und der weltliche Gospel „What Light“.

Ganz am Ende steht „On And On And On“, eine zum Sterben schöne Transzendenz der Vergänglichkeit. „Please don’t cry, we’re designed to die“, besänftigt Tweedy da seine Liebste, und man empfindet es tatsächlich als Trost. Denn was ist schon der Gedanke an die eigene Endlichkeit, wenn kurz darauf Orgel und Klavier eine Tür zur Unendlichkeit öffnen? On and on and on. Die blaue Rose heißt „Sky Blue Sky“.

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