Yin Yang

Klassisch angehaucht war die Musik von Jethro-Tull-Flötist IAN ANDERSON schon immer gewesen. Aber wie hört sich das an, wenn er auf Rock verzichtet und seine diversen Flöten zu den Klängen eines großen Orchesters, einer Harfe oder Kirchenorgel spielt? Ich finde: besser. Als Musiker und Komponist zeigt Anderson auf „Divinities – Twelve Dances With God“ (EMI) die gesamte Bandbreite seines Könnens. In keltischen Steinkreisen oder arabischen Moscheen, in spanischen Gärten oder auf indischen Straßenfesten tanzen Göttinnen und Geldwechsler Hand in Hand, Kulturen und Religionen vermischen sich im Märchenspiel einer neuen Zauberflöte. Bei aller Verkleidung scheint jedoch die musikalische Gestalt von Jethro Tull mit ihrer impulsiven Rhythmik und Melodik durch, etwa so, wie die Gesichter von Ian Anderson und Keyboarder Andrew Giddings auf den Booklet-Fotos durch die darübergelegten Ornament-Gitter blicken. 4,0

Ein anderer Flötist besuchte Tibet und ließ den Dalai Lama zum Funkbass rappen: CHRIST HIN-ZE, der seit langem zur Spitze der europäischen Jazz-Flötisten und Weltmusiker zählt, erweist sich auf „Tibet Impressions“ (Keytone) wie schon auf „Tikania“ und anderen Alben – als phantasievoller und feinfühliger Gestalter musikalischer Reisen. Die authentischen Aufnahmen mit dem DAT-Recorder – Stimmen der Mönche, der Menschen auf der Straße, ihre Volksmusik und die Naturgeräusche – sind gekonnt in einen komplexen Studiosound eingearbeitet. 4,5 Die New Yorker „Stadtschamanin“ Gabrielle Roth hat mit ihrer Musik- und Schauspieltruppe THE MIRRORS einen speziellen Trance-Rock entwickelt, der mit seinen fünf Grund-Rhythmen fließend, stakkato, chaotisch, lyrisch und still zum ekstatischen Tanzen anleiten solL Ihre achte Platte „Tongues“ (Raven/Aquarius) beschreibt eine weitere Reiseroute zur mysteriösen „Silbernen Wüste“, die hinter den grauen Bergen der Gewohnheit liegt. Der Songtitel „Silver Desert Cafe“ läßt darauf schließen, daß das Reich der Ekstase inzwischen bewohnt ist. Auf sattem Funk-Baß-Boden mit feingewobenen Teppichen aus perkussiven 16tel-Perlen umkreisen sich arabische Blasinstrumente, Cello und verzerrte E-Gitarre. Am besten gefällt mit der Song „Ram“, wo sich das gesungene melodische Motiv so anmutig und präzise bewegt wie die Hand einer indischen Tänzerin. „Stillpoint“, das Stück zum Rhythmus der Stille, gibt einen musikalischen Geschmack von Zen, wie Gabrielle Rom ihn lebt und lehrt. Das entgleitet allen Klischees.

4,5

Ein kaum wahrnehmbares Knistern und Tröpfeln. Geräusche der Wildnis? Elektronische Effekte? Lauschend weiten sich die Ohren des Fährtensuchers, der beim unmittelbar folgenden heftigen Trommelschlag zwangsläufig zusammenzuckt. Schläge in verschiedenen Baß-Lagen mit Echo-Effekten, dazwischen weht von gern wie aus der Geisterwelt unverkennbar Indianergesang herüber, unvermeidlich schwellen sphärische Synthesizerklänge an. Produzent „The Fearsome Brave“ hat die originalen Gesänge auf SACRED SPIRIT „Chants & Dances Of The Natire Americans“ (Virgin) im Samplingverfahren in einem völlig neuen musikalischen Kontext gestellt. Schon die harmonische Unterlegung der Originalstimmen bringt eine starke Gefühlskomponente in Spiel, die beim puren Gesang kaum aufkäme. Rasseln und Schamanentrommel werden von komplexen, elektronischen Rhythmusschichten überlagert. 3,5 Hildegard ist in den Charts. Wer? Na, die Heilige HILDEGARD VON BINGEN, die bald ihren 900. Geburtstag feiert. Starker Sound, die singt wie ein Engel, Mann, die ist echt gesegnet, und der Nonnen-Look kommt auch gut! Tatsächlich schwingt in den weitgespannten melodischen Bögen auf „The Music Of Hildegard von Bingen“(EMI) eine erstaunliche weibliche Power. 4,0

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