Harry-Potter-Ranking: Alle Harry-Potter-Bücher inklusive Theaterstück im Ranking

Alle Romane J.K. Rowlings inklusive des Theaterstücks „Das verwunschene Kind“ im Ranking

08. „Harry Potter and the Cursed Child“ (2016, deutsch: „Harry Potter und das verwunschene Kind“) ★★★

Neun Jahre nach dem letzten Potter-Roman feierte dieses Theaterstück seine Premiere, das 19 Jahre nach den Ereignissen von Hogwarts – Lord Voldemort ist getötet, Harry ist erlöst – ansetzt. Natürlich hat jeder, der sich in die sieben Bände hineingekniet hat, tausende offene Fragen. Die größte Frage jedoch ist, ob es klug ist, dass so viele beantwortet werden.

Aus einem Sequel wird ein Prequel, da die Protagonisten des „verwunschenen Kindes“ in die Zeit zurückreisen. Prequels sind die erfolgsversprechendsten, weil narrensichersten Formate der so genannten „Franchises“: Die Vorgeschichte muss einer bereits erzählten, abgeschlossenen Geschichte lediglich zuarbeiten. Das Prequel-Ende ist auch definiert, denn es markiert gleichzeitig den Anfang der bereits etablierten, früheren Arbeit. Gleichzeitig kann das Prequel die reizvollsten historischen Ereignisse, die in den bisherigen Filmen nur angesprochen wurden, endlich darstellen, nicht nur bei „Harry Potter“ – woher zum Beispiel kennen sich die „Der kleine Hobbit“– Charaktere Bilbo Beutlin und Gollum?

Bei der Erschaffung einer Zukunfts-Geschichte ist die erzählerische Herausforderung größer. Es wird eine neue Tür aufgestoßen. Eine neue Quest, neue Helden und Schurken. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht Vorgänger, sondern nur Nachfolger ein Erbe beschmutzen können. Für das „verwunschene Kind“ kreierten J. K. Rowling und die Co-Autoren Jack Thorne und John Tiffany nun etliche „What if …?“-Situationen, da die Söhne Harry und Dracos die Vergangenheit verändern wollen und damit auch die Gegenwart verändern. Sie wollen den Tod Cedric Diggorys rückgängig machen. Albus Severus Potter will es, weil er darunter leidet, Nachkomme des legendären Harry Potter zu sein, der die Zauberwelt rettete, aber indirekt für den Tod Cedrics verantwortlich ist. Der sehr lustige Scorpius Malfoy (eine der besten Figuren Rowlings, entsprungen der genialischen Idee, ausgerechnet einen liebenswerten Malfoy zu kreieren) will seinem besten Freund dabei helfen.

Während die erwachsenen Harry, Ginny, Ron, Hermine und Draco sich in der Gegenwart auf die Suche nach den Kindern machen, stoßen die zwei Freunde in der Vergangenheit auf Figuren wie Snape, McGonagall und Lucius Malfoy. Man kann nicht sagen, dass die Story ab hier per se schlecht wird. Man muss nur für sich selbst entscheiden, ob es den Zauber der Erzählung mindert, wenn Rowling und ihr Team ohne jede Not die Gefühle und Gedanken von Charakteren offenbaren, deren Gefühle und Gedanken zuvor verborgen geblieben sind, weil sie das interessanter machte.

In den „Heiligtümern des Todes“ traut sich der für alle Zeiten besiegte und gedemütigte, erwachsene Draco schlussendlich nur noch ein anerkennendes Nicken in Richtung Harry zu – das ist großartig, mehr braucht es nicht, um das Kräfteverhältnis darzulegen. Im „verwunschenen Kind“ schüttet Draco sein Herz aus und enträtselt sich dadurch selbst: „Ich wäre gerne Quidditch-Spieler geworden. Ich war nur nicht gut genug, aber eigentlich wollte ich bloß glücklich sein“. Zu Harry: „Ich hab dich immer um sie beneidet, weißt du, um Weasley und Granger. Ich hatte Crabbe und Goyle.“ Zu Hermine sagt Draco doch tatsächlich: „Ich lasse mich von Hermine Granger herumkommandieren. Und es ist gar nicht so übel.“

Der Zwang zur Erklärung, Verklärung und Revision alter Muster hat mittlerweile alle großen Fantasy-Geschichten erfasst. Weil sie dadurch verlängert werden können und weiterhin Geld einbringen. Dass sie Geld einbringen, heißt aber nicht, dass sie so beliebt sind wie die Originale. Wollten wir durch die Tolkien-Adaption „Die Ringe der Macht“ wirklich erfahren, welcher Mensch Sauron vor seiner Verwandlung war? Oder im „Star Wars“-Film „Solo“ den „Kessel Run“, jenen durch den Titel sagenhaft gewordenen, aber eben auch geheimnisvoll gebliebenen Hyperspace-Schnellflug, tatsächlich auf der Leinwand sehen? Das ist so genannter Fan-Service, der von Fans nie beantragt wurde. Die nun vom erwachsenen Harry eingestreuten Trivia wie „Weißt Du, wovor ich wirklich Angst habe? Tauben“ wirken wie Bonus-Einträge, die nur für die Aufnahme ins digitale „Pottermore“-Archiv eingestreut wurden.

Weniger ist mehr, die Phrase ist hier notwendig. Gute Literatur ermöglicht die Erkenntnis, Gefühle von Charakteren zwischen den Zeilen erkennen zu können, sich sicher zu sein, was in ihnen vorgeht, ohne dass sie uns die Bestätigung dafür in Worte fassen. Hermine sagt „Ron, ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt“, Snape sagt „Sag Albus – sag Albus Severus – ich bin stolz, dass er meinen Namen trägt.“ Man wünscht sich natürlich, dass Hermine und Snape das fühlen. Man glaubt auch zu wissen, dass Hermine und Snape das fühlen. Aber es ist viel befriedigender, für diese Hoffnung keine Bestätigung zu erhalten, weil man sich dieses Wissen selbst zusammenreimt.

Die niedergeschriebene Form eines Theaterstücks muss, wie ein Drehbuch, bisweilen suggestiv auf den Leser einwirken, deshalb dürfen dramatische Szenen, etwa die, in der Draco auf einen Tisch steigt, um seine Verbundenheit zum ehemaligen Erzfeind Potter zu demonstrieren, auch als „Spartacus-Momente“ bezeichnet werden. Und doch gibt es in dieser Erzählung ein paar Situationen, in denen Dialoge viel subtiler und dennoch präzise darlegen, wie sich Charakterzüge aus der Kindheit ins Erwachsenenleben gerettet haben. Als die Schurkin Delphi gefasst wird, geben Harry, Hermine, Ron und Draco in schneller Abfolge genau jene Einschätzung ab, die man von ihnen auch im Kindesalter erwartet hätte. Soll Delphi getötet werden?

Harry: „Sie ist eine Mörderin, aber wir sind es nicht.“ Soll heißen: Harry tötet nicht, so war er schon als Kind.

Hermine: „Wir müssen besser sein als sie“. Hermine glaubt an das Gute, so war sie schon als Kind.

Ron: „Ja, das nervt zwar manchmal, aber so haben wir es gelernt“. Ron befolgt stöhnend Regeln, so war er schon als Kind.

Hermine: „Du kommst nach Askaban, wie deine Mutter“. Hermine befolgt Gesetze, so war sie schon als Kind.

Draco: „Wo du verrotten kannst.“ Draco freut sich auf die Bestrafung einer Gegnerin, so war er schon als Kind.

Womit wir bei Delphi angelangt wären. „Ich komme aus der Zukunft. Ich bin das Kind von Bellatrix Lestrange.“ Bitte was? Und Delphi ist nicht nur das Kind von Lestrange, sie wurde auch von Voldemort gezeugt, jener widerlichen Kreatur, die körperlicher Liebe, wie wir nun erfahren, wohl doch nicht abgeneigt war. Wer soll so was glauben? Eine haarsträubende Deus-Ex-Machina-Idee. Zumal es möglich gewesen wäre, auf Delphi zu verzichten und Voldemort dennoch als zurückkehrendem Schurken ins Spiel zu bringen. Die Zeitmaschine namens „Zeitumkehrer“ wirbelt alle Entwicklungen durcheinander – in einer Parallelwelt kann Harry also besiegt werden und Voldemort gesiegt haben. Überhaupt demonstriert Rowling leider einen sehr großzügigen Umgang mit dem Zeitparadoxon. Falls der Dunkle Lord diesmal gewinnt, schlussfolgert Hermine, wäre ihre Existenz mit einem Schlag beendet. Man müsste Carl Sagan dazu befragen, würde er noch leben.

Aber funktionieren die einstigen Kinderhelden auch als Eltern? Das tun sie durchaus. Die Darstellungen Rons, Hermines und vor allem Harrys als Erwachsene, ihre Erziehungsschwächen, Sorgen und Überreaktionen sind glaubhaft (die schon in den Potter-Büchern eher flache Ginny bleibt weiterhin schwer zu fassen). Vor allem die Gespräche zwischen Harry und Albus Dumbledore funktionieren als Revision ausgezeichnet. Der nun 37-jährige Harry vergöttert den ehemaligen Schulleiter nicht mehr, es herrscht Augenhöhe. Harry geht Dumbledore hart an, Dumbledore weint sehr viel, man sieht ihn sogar „offen weinend“, und etwas selbstmitleidig bekennt er gegenüber Harry, dass die Liebe ihn „blind“ gemacht hätte. Harry hat für diesen Gefühlsausbruch, mit dem Dumbledore seine fortwährende Passivität im Krieg gegen Voldemort als Rücksichtsmaßnahme verklären will, nicht viel übrig: „Liebe blendet uns? Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet? Was für ein miserabler Rat das war?“ Verständlich, dass die Blumigkeit Dumbledores, seine gedrechselten Philosophien, dem erwachsenen Zögling nicht mehr ausreichen, wenn es um die erneute Rettung der Welt geht.

Und dennoch hat „Das verwunschene Kind“ einen tollen „Hell, yes!“-Moment. Ein Action-Move, ein Klischee zwar, aber sehr wirkungsvoll. So, wie Andy Garcia seinem Verbündeten Kevin Costner in „The Untouchables“ in letzter Sekunde die Pistole zuwirft, so gibt es auch hier einen heldenhaften Rettungsmoment. Albus wirft Harry in letzter Sekunde einen Zauberstab zu, und verhindert so, dass Delphi seinen Vater ermordet.

07. „Harry Potter and the Chamber of Secrets“ (1998, deutsch: „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“) ★★★½

 

Kein „Harry Potter“-Roman ist schlecht, aber dieser ist nur der siebtbeste. Die „Kammer des Schreckens“ mutet wie ein – wenn auch spannendes – Remake oder zumindest wie ein Remix des „Steins der Weisen“ an. Erneut geht es in den Untergrund. In den Gewölben Hogwarts‘ lauern diesmal ein Basilisk sowie die jungenhafte Verkörperung Lord Voldemorts, Tom Riddle. Das „Deus Ex Machina“-Problem einiger inhaltlicher Wendungen Rowlings taucht hier erstmals auf – der Phoenix Fawkes rettet Harry aus größter Not. Dumbledore erwähnt vorher knapp, dass Phoenixtränen heilende Wirkung haben und alle, die in Hogwarts Hilfe benötigen, Hilfe auch bekommen. Ohne Fawkes hätte Harry die Sache nicht überlebt.

Ähnlich bequem hat Rowling das fliegende Auto der Weasleys in ihre Erzählung montiert. Nachdem Harry und Ron den Hogwarts-Express verpasst haben, nehmen sie verbotenerweise das Fluggefährt – in Wirklichkeit soll es als Hilfsmittel dienen, um die Freunde später aus den Klauen der Riesenspinnen retten zu können. Vielleicht hatte Rowling schon bei diesem zweiten Buch befürchtet, sich mit London-Hogwarts-Zugfahrten zu Beginn einer Story zu wiederholen.

Der Lehrer im Fach „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ im zweiten Hogwarts-Jahr Harrys ist Gilderoy Lockhart. Sicher der unterhaltsamste aller Lehrer, aber auch unnötigste in dieser Disziplin: Auch ohne den Schaumschläger wären Harry, Hermine und Ron an ihr Ziel gelangt. Die Erzählung braucht Lockhart nicht; als negatives Vorbild Harrys für das, was die Sucht nach Ruhm aus einem Menschen machen kann, erfüllt er vielleicht seinen Dienst. Lockhart lässt Harry indirekt die negativen Auswirkungen seiner Berühmtheit spüren, ähnlich wie im fünften Teil, als Harry niemand glaubt und Umbridge ihn zynisch wie einen Möchtegern-Promi behandelt.

Ginny Weasley verliebt sich in den ehemaligen Schüler Tom Riddle, den sie nur anhand dessen alter Tagebucheinträge kennenlernen kann – Rowlings erste und vielleicht auch beeindruckendste Schilderung von der Verführbarkeit junger Menschen und der Macht des geschriebenen Wortes.

Chris Columbus‘ Verfilmung lief im Jahr 2002 an, parallel zu Peter Jacksons zweitem „Herr der Ringe“-Teil, „Die zwei Türme“. Gollum gegen Dobby: Die Schwächen des Hauselfen gegenüber dem Hobbit-Mutanten sind offenkundig. Nicht nur in der visuellen Animation (die CGI-Tricks von Weta waren denen von ausgerechnet ILM haushoch überlegen), sondern auch in dessen Wesen. Beide sehen abstoßend aus, aber Gollum ist wenigstens verschlagen – und eine Kreatur, die unser Mitgefühl weckt, weil sie für das Suchtopfer steht, zu dem wir alle werden könnten. Dobby hingegen gehört einer Gattung an, die naturgemäß das Lamento kultiviert. Das muss man mögen können, was vielleicht nicht jeder kann, der nicht über das große Herz einer Hermine Granger verfügt.

Erstaunlich, wie schwach die Verbindung zwischen Voldemort und Hagrid geplottet wird. Voldemort alias Riddle schob dem damaligen Jungen und heutigen Wildhüter die verbotene Öffnung der Kammer des Schreckens in die Schuhe, worauf dem gutmütigen Halbriesen die Magierausbildung in Hogwarts versagt wurde. Nach Klärung dieses Framings und den Gründen für einen versauten Lebensweg ist die Haltung Hagrids zum Dunklen Lord dennoch erstaunlich indifferent geblieben.

„Die Kammer des Schreckens“ führt mit Riddles Biografie auch die breite Darlegung einer Vorgeschichte ein, um deren Konsequenzen für aktuelle Ereignisse zu begründen (später kommt das „Denkarium“ ins Spiel, um ungefiltert in fremde Erinnerungen einzutauchen). Vielleicht hätte sich in diesem, dem zweiten „Potter“-Buch die Möglichkeit geboten, auf die Schreckensherrschaft Voldemorts vor seinem ersten Rückzug einzugehen – bis zum Ende der siebenbändigen Reihe bleibt unklar, welche Machtfülle er einst besessen hat.

06. „Harry Potter and the Order of the Phoenix“ (2003, deutsch: „Harry Potter und der Orden des Phönix“) ★★★½

„Der Feuerkelch“, Band vier, ist der gelungenste Potter-Roman, und es spricht einiges dafür, dass die Saga auch als Vierteiler funktioniert hätte. Harry meistert darin eine für sein Alter nahezu unlösbare Aufgabe – den Gewinn des Trimagischen Turniers –, er besiegt den Wiederauferstandenen, zu nahezu voller Stärke zurückgekehrten Voldemort, und er erhält sogar noch Hilfe durch seine verstorbenen Eltern. Ein perfektes Finale, das durchaus mit dem Tod des Dunklen Lords hätte enden können. J.K. Rowling stand nun vor der schweren Aufgabe, nach dem dramatischen An-die-Waffen-Appell Dumbledores aus dem „Feuerkelch“ eine Fortführung zu schreiben, die das Adrenalin-Level hält.

Mit dem „Der Orden des Phoenix“ tat sie sich allem Anschein nach schwer. Kein Buch ist länger, in der deutschen Übersetzung sind es mehr als 1.000 Seiten, hier zeigt sich der Anspruch der Schriftstellerin, nicht mehr Kinderbuchautorin zu sein. Dies ist aber auch der einzige etwas ziellos erscheinende Roman. Band fünf wirkt wie der Versuch, einzig das Nachbeben des sabotierten Trimagischen Turniers zu verarbeiten, den Todesfall eines Schülers und ein Duell zwischen dem Jungen Harry und einem dreiviertelfitten Voldemort, dessen Ausgang wie auch Waffengang jeden, ob Dumbledore-Jünger oder Todesser, überrascht hat. Andererseits wird mit dem „Orden des Phönix“ erstmals offenbar, dass Rowling bei der Kartierung ihrer sieben Geschichten in größeren Schritten gedacht hat, dass sie Inhalte ausbreitet, die erst sehr viel später erklärt werden oder eine Wendung erhalten.

Dem atemberaubenden Tempo des „Feuerkelchs“ stellt Rowling eine zähe, wenngleich immerhin politische Beamtenerzählung entgegen: Das Zaubereiministerium hat die Kontrolle über Hogwarts übernommen, Bürokratie erlahmt Kreativität, Voldemort wird immer mächtiger, aber die Zauberschüler dürfen sich nicht wappnen, das Ministerium will sich durch Verbote und Augen-zu-Mentalität auch die Gefahr kleinwünschen. Das ist eine Parabel, die auch in der Muggelwelt, also unserer Realität des Jahres 2023, zu gut funktioniert, ob nun Aufmärsche zum Angriffskrieg nicht erkannt werden wollen, oder Präsidenten die Existenz eines Virus leugnen.

Die Kritik Rowlings an staatlichen Machtapparaten funktioniert durchaus, nur sind die Abenteuer von Paragraphenreitern nicht so fesselnd wie Todesfluchgefechte. Bezeichnend, dass dieses Buch das längste, die Verfilmung mit 138 Minuten jedoch die zweitkürzeste ist. Es fehlen cineastische Schauwerte. Am gelungensten ist die Darstellung der schwierigen Beziehung Harrys zu Cho Chang, der Freundin des im „Feuerkelch“ ermordeten Cedric Diggory. Cho spürt die Intimität, die Harry für ihren Geliebten empfunden haben muss, nur in Harrys Fall war es eine tragische Intimität – er sah zu, wie Cedric, „der Überflüssige“, von Wurmschwanz getötet wurde. Die gegenseitige Annäherung, aber auch das Auseinanderdriften von Harry und Cho ist Coming-of-Age at its best, rasche Gefühlswechsel zwischen Verliebtheit und Befremden, wie sie in Jugendbüchern selten so gelungen zu lesen sind.

Die neue Lehrerin für „Verteidigung gegen die Dunklen Künste“ ist eine Beamtin, Dolores Umbridge. Eine großartige, widerwärtige Figur, vielleicht die grandioseste Antagonistin Harrys. Sie fügt ihm körperliche wie seelische Narben zu, kreiert für den widerspenstigen Schüler höllisch schmerzende Bart-Simpson-an-der-Tafel-der-Momente. Umso bedauerlicher, dass Rowling diesem Drachen aller Drachen im All-in-Schlachtgewusel der „Heiligtümer des Todes“ (Band sieben) keinen Abgang zuzuschreiben vermochte; sie holte das in ihren „Pottermore“ genannten Notizen und Appendizes nach (die aber nicht jeder liest). Dass es Harry gelingt, die neue Rektorin reinzulegen, indem er per Nippen nur so tut, als trinke er das von ihr zum Trinken befohlene Wahrheitsserum, ist fast schon camp.

Widerstandsgruppen werden oft als Reaktionen auf eine Diktatur geboren, und auch „Dumbledores Armee“ entsteht aus der Notwendigkeit, verteidigungsfähig gegen die echte Gefahr zu sein: Voldemort und seine Todesser. Dumbledores Armee ist die Teenie-Version des Phönix-Ordens. Entscheidendes Mitglied ist Severus Snape. Der Zaubertränke-Lehrer war einst selbst ein Todesser, seine Mitgliedschaft fühlt sich für Harry und seine Freunde falsch an. Dumbledore verteidigt Snape und glaubt an dessen Loyalität. Rowlings Umgang mit dem uneindeutig auftretenden Lehrer ist meisterhaft, das Rededuell in der Küche zwischen Snape, dem „Schniefelus“, Molly Weasley und Sirius Black ist eines Theaterstücks wert, das herausragende Beispiel eines Disputs, der in immer wortmächtigere Sphären eskaliert.

Gleichzeitig offenbart der aufgeblähte Phönix-Orden eine große Erzählschwäche, Rowling weiß mit dem Figurenpersonal nicht recht umzugehen. Jeder, der als Lehrer der „Verteidigung gegen die Dunklen Künste“ eine entscheidende Rolle spielte, tut es nach seiner Abdankung/seinem Rausschmiss nicht mehr. Sowohl Remus Lupin (Lehrer in „Der Gefangene von Askaban“) als auch Mad-Eye Moody erscheinen hier seltsam leer – bedauerlich gerade bei Moody, der im „Feuerkelch“ nur durch einen Doppelgänger verkörpert wurde, und den wir danach nie richtig als ihn selbst kennenlernen würden. Harrys neue Mitschülerin Luna Lovegood wiederum ist ein Nice-to-have, später eine Mitkämpferin gegen Voldemort, erfüllt aber bis Band sieben keinen erzählerischen Zweck, abgesehen davon, dass sie die Journalistin Rita Kimmkorn an die Zeitung ihres Vaters vermittelt.

Sirius Black, in „Askaban“ eingeführt und darin in seiner Rolle als Harrys Patenonkel sofort auf Boss-Level befördert, behält seine wenig dankenswerte Position aus dem „Feuerkelch“ bei: Er ist der murrende Stubenhocker. Sein Tod ist traurig, wenn auch heldenhaft – und nur insofern notwendig, als dass die Mannschaft Voldemorts mit Bellatrix Lestrange um eine Antagonistin erweitert werden sollte, auf die man sich einschießen darf, weil sie es ist, die Sirius tötet. Lestrange ist ein Scheusal, und ihr eigener Tod (in den „Heiligtümern“) der einzige Vergeltungsmord, der von einem Mitglied aus Harrys Team (Molly Weasley) begangen wird.

Im „Orden des Phönix“ gibt Snape Harry erstmals Einzelstunden, in Okklumentik. Nachdem es dem Schüler verbotenerweise gelingt, über das Denkarium in die traumatisierte Gedankenwelt des Lehrers einzudringen, wirft Snape ihn sogleich aus dem Privatunterricht. Die Leserschaft teilt sich seitdem in zwei Lager: Ist Snape bemitleidenswert, weil er als Kind unter Harrys Vater und dessen bestem Freund Sirus Black litt, oder ist es unfair, dass Snape seinen Hass auf James Potter auf dessen Sohn überträgt, der ganz offensichtlich ein lieber Kerl ist? Manches spricht für Team Snape, allerdings dürfte in der Muggelwelt ein Mensch mit einer derart tiefen, jede Alltagssituation dominierenden Kränkung wohl generell nicht mehr unterrichten, ohne vorher therapiert worden zu sein. Snapes vermeintliche Abscheu – geäußert gegenüber Harry durch Strafpunkte, Nachsitzen, Diffamierung – unterbietet im Selbstverständnis von professionellen Lehrer-Schülerbindungen jedes Niveau.

Nach einer sehr langen Exposition auf Romanlänge – die Kräfte formieren sich neu, die „Armee“ auf der einen, die Beamten auf der anderen Seite – nehmen die Ereignisse erst im letzten Zehntel an Fahrt auf: mit einem Showdown im Ministerium, der unfreiwillig an das Genre der Verwechslungskomödie mit vier Türen erinnert, und, nach dem „Feuerkelch“, einem erneuten In-Persona-Auftritt Voldemorts. Der zeigt sich sichtlich genervt von Potter, und auch als Leser darf man sich die Frage stellen, ob dieses erneute Gipfeltreffen nach dem spektakulären „Feuerkelch“-Finale nicht zu früh kommt. Diesmal stößt Dumbledore hinzu, und es folgt der erste Combat zwischen den zwei mächtigsten Zauberern dieser Welt.

Warum aber ausgerechnet Hagrid, der Dudley Dursley einst munter Schweineschwänze anzauberte, grundsätzlich nur noch als Schläger oder Werfer auftritt, wie bei der Auseinandersetzung Umbridges gegen McGonagalls, bleibt wohl Rowlings Geheimnis.

05. „Harry Potter and the Philosopher’s Stone“ (1997, deutsch: „Harry Potter und der Stein der Weisen“) ★★★★

Rowlings Kinderbuch. Im Vergleich zu den anderen Potter-Romanen, die ja auch Kinderbücher sind, aber eben auch Young-Adult-Bücher, aber eben auch Erwachsenenbücher, ist es sicher ihr eindeutigstes Kinder-Kinder-Buch. Harry ist elf und Rowlings Erzählung weniger introspektiv und vor allem weniger schattig als ihre späteren.

Wie übersichtlich doch die Schauplätze angelegt sind, wie klangvoll die Protagonisten und Antagonisten. Die Bezeichnungen der Orte und (Sport-)Attraktionen – Hogwarts, Hogsmeade, Diagon Alley, Quidditch – sind ebenso brillant wie die Namen, die eine sofortige Charakterisierung ermöglichen, ohne die Figuren auch nur in Ansätzen zu kennen: Hermine, Petunia, Dudley, Ron Weasley, Draco Malfoy, Albus Dumbledore, Hedwig, Hagrid, Severus Snape, Voldemort.

Die von Anfang an definierte Ritualisierung der Ereignisse führt nicht nur bei jungen Lesern zu gewünschten Erwartungshaltungen, die immerhin bis zu Band sechs erfüllt werden – also einer Jahresstruktur aus Sommerferien, Fahrt nach Hogwarts, Unterricht, Weihnachtsferien, Hogwarts, Ende des Schuljahres. Darunter fallen die Sommerferien in der Privet Drive Nr. 4 bei den tyrannischen Dursleys, das Quidditch-Turnier sowie der stete Lehrerwechsel im Fach „Verteidigung gegen die dunklen Künste“, jenem heißen Stuhl, auf dem es die wenigsten Lehrkräfte aushalten –oder eher nicht aushalten dürfen, weil Voldemort den Lehrstuhl verfluchte, weil er ihn selbst nicht annehmen durfte. Dazu gibt es den – inflationär als Wundermittel eingesetzten – Tarnumhang, den Harry, Ron und Hermine auch dann noch benutzen, wenn sie zu groß dafür werden und unten die Füße rausgucken.

Ein Problem in Rowlings worldbuilding zeigt sich in der Kommunikation mit Verstorbenen. Im Spiegel „Nerhegeb“ (einfach rückwärts lesen) sind die Dahingeschiedenen, wie Harrys Eltern, als Quasi-Lebendige sichtbar. Mit toten Schulrektoren kann man sich sogar unterhalten – wie schlimm ist es dann noch, dass Bezugspersonen wie Dumbledore ins Jenseits übergetreten sind? Im „verwunschenen Kind“ verweist Professor McGonagall auf das Dilemma steter Verfügbarkeit vermisster Personen. Dumbledore im Rektor-Gemälde sei nur ein schwaches Abbild seiner selbst, das Schemata eines früheren Lebens wiederholt – „nur Farbe und Erinnerung“, wie er als Geist im „verwunschenen Kind“ sagt. Dieses Dilemma uneindeutiger Finalität kennzeichnet auch die „Star Wars“-Filme, in denen Obi-Wan Kenobi und Qui-Gon Jinn als Geister jederzeit für exzentrische Überraschungsauftritte sorgen können.

Die imaginären Begegnungen mit Lily und James Potter im Spiegel Nerhegeb zählen für Harry zu unschätzbar erbaulichen Erlebnissen, denn in der der Muggelwelt hat der Elfjährige nichts zu lachen. Körperlicher und seelischer Missbrauch sind bei den Dursleys an der Tagesordnung. Womöglich ist auch die Idee Dumbledores, Harry dort elf Jahre lang leben zu lassen, ein Missbrauch. Harry ist eine arme Seele; wie arm, würden erst die späteren Romane demonstrieren.

J.K. Rowling sagt, die Idee zur Potter-Welt sei ihr 1990 gekommen. Ob sie wesentliche Bausteine der Story bis zu Band sieben tatsächlich schon im Sinn hatte? Man muss ihr das glauben, so, wie man schon George Lucas glauben musste, dass er 1977 mit „Star Wars“ einen Teil eins ins Kino brachte, der in seinem Kopf vielmehr Teil vier eines Neunteilers war. Dass der „Stein der Weisen“ als Auftakt einer Fortsetzungsreihe angedacht war, die einen Elfjährigen in sieben Einzeljahren bis zu seiner Volljährigkeit begleiten würde, das zumindest ist deutlich erkennbar. Ein mutiges Unterfangen – und Ausdruck großen Selbstbewusstseins einer Autorin, die langen Atem hat.

04. „Harry Potter and the Prisoner of Azkaban“ (1999, deutsch: „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“) ★★★★½

Eines der meistdiskutierten Bücher, nicht nur dank der 2003 ins Kino gekommenen Verfilmung. Darin verkörpert Gary Oldman nach Jahren ermüdender Schurken-Performances den edelmütigen Gestaltwandler Sirius Black, und mit Guillermo del Toro wurde der bis heute kühnste Regisseur des Cinematic Universe um Potter und Dumbledore verpflichtet. In Film drei konnte zudem mit der Gewissheit gearbeitet werden, dass Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint auch als Teenager gute Arbeit abliefern.

Harry, Hermine und Ron kommen in die Pubertät, und, den Werwölfen gleich, wachsen auch bei ihnen Haare dort, wo vorher keine waren. In Band drei werden die Dementoren eingeführt, die vielleicht grauenerregendsten Geschöpfe Rowlings. Im Grunde sind sie eine Variation der Nazgûl, wenngleich die Nazgûl töten, während die Dementoren ihren Opfern die Seele aussaugen – was ist die schlimmere Strafe?

Sirius Black ist ein geflohener Askaban-Häftling, einst ein schöner aufrechter Hogwarts-Schüler, nun ein verschmutzter Geflüchteter, der sich von Ratten ernähren muss. Der „Ist ja der Hammer!“-Moment entsteht durch die 180-Grad-Bedeutungswende Blacks für das vermeintliche Zielopfer Harry Potter: Der angebliche Mörder will Harry nicht meucheln, er will ihm als Schutzengel dienen. Der erste große Twist Rowlings, und die erste Erweiterung des Potter-Schutzschilds um einen weiteren Kämpfer. Umso bedauerlicher, dass Rowling schon ab dem „Feuerkelch“ nicht mehr viel mit Black anzufangen weiß. Harrys Begegnung mit dem undercover arbeitenden Teamagenten, seinem Patenonkel, fällt darin weniger herzlich aus, als es nach „Askaban“ zu erwarten wäre – tatsächlich ist Harry eher erschrocken, wie abgerockt sein väterlicher Freund in seiner Höhle dahinvegetiert. Keine Umarmung.

Zwei für Harry wichtige Erkenntnisse: Erstens, wenn ein Übeltäter, hier Wurmschwanz, verschont wird, heißt das nicht, dass ihm später nicht eine gerechte Strafe zuteilwerden könnte. Harry glaubt an Karma. Zweitens, Snape im Kampf zu besiegen ist nicht unmöglich. In diesem Roman setzen Harry, Hermine und Ron ihn erstmals – und zum einzigen Mal – per Zauberspruch außer Gefecht.

Erkenntnis für den Leser: Die Superfunktionen des „Zeitumkehrers“ wird J.K. Rowling bald schon wieder generalüberholen, das Wunderding schon im „Feuerkelch“ als modifiziert vermelden. Denn wer zurück in die Zeit reisen kann, verfügt über die wohl mächtigste Waffe der Zauberwelt, kann Geschichte zugunsten seiner Selbst oder eben Voldemorts umschreiben.

03. „Harry Potter and the Deathly Hallows“ (2007, deutsch: „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“) ★★★★½

Der auf Rowling lastende Druck muss unermesslich gewesen sein. Aber auch, wenn ihr Abschluss zu den besten Potter-Büchern gehört, wirken manche Entwicklungen unnötig erzwungen. Wir beschränken uns auf die kritischen Punkte.

Ihrer (Buybait?-)Ankündigung, eine Hauptfigur werde sterben, ließ Rowling keine Taten folgen: Es traf weder Harry, noch Hermine oder Ron. Mit Mad-Eye Moody, Hedwig und Dobby werden stattdessen drei Charaktere verabschiedet, die leider längst zu Ende erzählt wirkten (wenn die überaus zaubermächtigen Hauselfen in jedes feindliche Gebäude eindringen können, wieso hat Harry dann Dobby so selten als Agent genutzt?) Mit „sterbender Hauptfigur könnte natürlich auch Snape gemeint gewesen sein. Doch wer hätte jemals daran gezweifelt, dass der vermeintliche Schurke das Zeitliche segnet?

Mit Colin Creevey stirbt eine weitere Bauernfigur – den kleinen emsigen Reporter hatte niemand mehr im Sinn. Der – wahrscheinliche – Tod Lavender Browns wird von ihrem Ex-Boyfriend Ron nicht mal registriert. Petter Pettigrew? Muss sich selbst erwürgen, völlig unnötig, da Harry zuletzt keine Rachegelüste mehr gegen den Verräter seines Vaters verspürte. Hier wird eine nie verlangte Kill-Quote eingeführt. Warum durfte der Werwolf Lupin nicht den Werwolf Greyback fertigmachen? Die Beschreibung dieses Monsterkampfs hätte man doch gern gelesen! Womöglich verzichtete Rowling darauf, weil Werwölfe nur zu Vollmond aktiv werden können – und die Schlacht um Hogwarts auf diesen Termin zu verlegen, wäre etwas zu viel der Aufmerksamkeit für die Lykanthropen, oder. Abgesehen davon, dass Werwölfe JEDEN angreifen, zwischen Freund und Feind nicht unterscheiden können.

Prominentestes Opfer ist Fred aus dem Duo Fred und George Weasley; er stirbt mit einem Lächeln im Gesicht, so, wie der Zauberclown es sich wohl immer gewünscht hat. Aber auch diesem Tod fehlt die Dramatik: Wir haben ihn stets nur als Teil des Zwillingsduos wahrgenommen, nie als Persönlichkeit – inwieweit unterschied er sich von George? Und warum versäumt Rowling, George wenigstens ein Trauerwort sprechen zu lassen? Diese Bestrafung des Weasley-Clans durch die Ermordung eines ihrer Mitglieder wirkt auch deshalb zu drastisch, weil gerade die Matriarchin Molly Weasley sieben Bände lang alles getan hat, um die Familie zusammenzuhalten.

Nicht minder brutal, aber wenigstens konsequent düster ist der Mord am Liebespaar Lupin und Tonks. Sie hatten mit der Geburt ihres Sohns ein neues Kapitel aufgeschlagen: Ihr Tod ist Ausdruck harscher Beendigung einer unvollendeten Geschichte – und zeigt deshalb Wirkung. Der noch zu Beginn des Romans scheinbar übermotivierte Auftritt Lupins, der sich vor Freude nicht mehr einkriegt, weil die Geburt von Ted Tonks bevorsteht, erfährt dadurch eine böse Wendung. Eine Wendung, die sich nicht absehen ließ, und eine böse Finte der Autorin (im „verwunschenen Kind“ 19 Jahre später taucht Ted erstaunlicherweise nicht auf).

„Die Heiligtümer des Todes“ ist nicht Rowlings längstes Buch – „Der Orden des Phönix“ führt das Ranking mit 1021 Seiten an. Die „Heiligtümer“ teilen sich mit dem „Feuerkelch“ Platz zwei mit 767 Seiten (deutsche Übersetzungen). Ein bisschen mehr Länge hätte dem Roman womöglich gutgetan, um die Entwicklungen bestimmter Figuren zu finalisieren. Neville Longbottom hatte man derart aus den Augen verloren, dass er einem als langhaariger Jugendlicher wie ein Fremder vorkommt. Dass Rowling ihn zum Bezwinger von Nagini macht, verdeutlicht wenigstens ihre große Sympathie für den als Tollpatsch verschmähten Klassenloser.

Hagrid und Snape bringen es nur auf Kurzauftritte. Ein Dialog zwischen Snape und seinem Häscher Harry wäre zu erwarten gewesen – Harry fieberte einem Duell den ganzen Roman lang entgegen. Wie wohl ein klärendes Gespräch hätte ausfallen können? Dass der mächtige Snape der Schlange Nagini geradezu kampflos erliegt, ist nicht nachvollziehbar. Der von ihm stets verhöhnte Neville wird also sein Rächer werden, ohne es zu wissen.

Andere Erzählstränge, wie die Planlosigkeit Harrys, Rons und Hermine bei ihrer Flucht vor den Todessern durch England, wirken erschöpfend statt dramatisch, und die Actionszene im London der Muggelwelt befremdlich; Rowling beabsichtigte sicher, mit dem Shootout im Café die Konsequenzen darzulegen, die ein offener Auftritt der Todesser im nicht-magischen London haben würde.

Das Schlachtfinale der Hogwarts-Leute gegen die Todesser paart alberne Ideen mit Pathos, oft unausgewogen, aber unterhaltsam aufgeschrieben. Harry schafft es, sich tot zu stellen, um Voldemort dann mit einen Ta-da!-Auftritt zu attackieren, ein simpler Kindertrick; Harry und Voldemort umkreisen sich und zelebrieren Trash Talk, ein Moment, bei dem Rowling schon an die Kino-Umsetzung gedacht haben dürfte.

Am gelungensten ist Rowlings Umgang mit Draco. Harry war nicht der beste, aber sicher wichtigste Schüler, den Hogwarts je gesehen hat; im Grunde rettet er die Schule in jedem Jahr. Draco aber bleibt lange Zeit ein echter Dummkopf, weil der den verhassten Helden noch bei jedem lapidaren Fauxpas – ein Stolpern, ein falscher Zaubertrank – verspottet. Draco ist eine ungeliebte Seele. Umso eindrucksvoller ist die Präzision, mit der Rowling dessen Zukunft nach dem Tode Voldemorts beschreibt. Wir begegnen Malfoy 19 Jahre später am Gleis des Hogwarts-Expresses wieder. Es passiert sehr wenig, und das ist gleichzeitig sehr viel. Er nickt Harry zu und wendet sich dann ab. Mehr braucht es nicht, um Reue auszudrücken. Freunde werden die beiden lange Zeit nicht, aber Draco erkennt die Hierarchien an und hält endlich seine Klappe.

Harry wird von Voldemort getötet, oder eher „getötet“ – in einer Art Limbo, dem Vorbahnhof zum Himmel, trifft er auf seinen verstorbenen Mentor Dumbledore. Der bietet ihm an, „weiterzureisen“ oder eben zurückzukehren ins Leben und sich Voldemort endgültig zu stellen. Für das Ende des Treffens hat Rowling sich den vielleicht schönsten Dialog aufgehoben: Harry fragt: „Tell me one last thing. Is this real? Or has this been happening inside my head?“. Dumbledore antwortet: „Of course it is happening inside your head, Harry, but why on earth should that mean that it is not real?“

Harry versteht. Er kehrt auf die Erde zurück und stellt sich Voldemort. Er hat nun auch weniger Angst. Und nennt den, dessen Namen nicht genannt werden darf, nur noch so, wie er einst hieß, bevor er Schrecken verbreitete: Riddle. „Du begreifst es nicht, Riddle, oder?“, sagt Harry. Wie gut das tut.

02. „Harry Potter and the Half-Blood Prince“ (2005, deutsch: Harry Potter und der Halbblut-Prinz“)

★★★★★

Die Spoiler-Shirts werden heute noch getragen, und wer „Dumbledore killed …“ googelt, erhält als Ergänzungsvorschläge „ …three Muggels“, oder eben „ …by Snape“. Die Pottermania war 2005 derart einnehmend, dass es nahezu unmöglich war, nicht den Namen des Ermordeten sowie seines Mörders zu erfahren. Social Media steckte Mitte des Jahrzehnts in den Kinderschuhen. Würde der Roman heute erscheinen, wäre die unerhörte Konfrontation dieser Magier augenblicklich gespoilert.

Der vorletzte Band setzt den Ton des letzten: Harry wird die Horkruxe finden und vernichten müssen, um Voldemort töten zu können – und töten muss er ihn, denn er erhält die nicht gerade ermunternde Botschaft, dass die Welt nicht im Gleichgewicht sein wird, solange beide leben.

Dementsprechend konzentriert muss Harry sein Leben ordnen. Rowling hat sich im Laufe der vorangehenden Bücher als sehr aufmerksame Porträtistin jugendlicher Liebesgefühle erwiesen – und Harrys impulsive, endlich Klarheit schaffende Annäherung an Ginny Weasley, die auf einen euphorischen Turniersieg-Moment folgt, ist spot-on. Damit dürfte Harry, der diesmal wegen Nachsitzens nicht aufs Feld durfte, außerdem das letzte Quidditch-Spiel seines Lebens zur Zeit des „Orden des Phoenix“-Romans absolviert haben. In Band sieben wird es dann um Wichtigeres gehen.

Der erste Kuss ist filmreif, aber Harrys Verabschiedung von Ginny ist nicht minder dramatisch, im Spider-Man-Style à la „With great power comes great responsibility“. Solange Voldemort nicht tot ist, ist jeder seiner Liebsten in Gefahr. Er trennt sich folglich von der Liebe seines Lebens.

Die Klasse des „Halbblut-Prinzen“ zeigt sich gerade bei der zweiten Lektüre. Man sucht nach Anhaltspunkten, die einem früh verraten könnten, dass Snape zwar ein Doppelagent, aber keinesfalls wieder ein Todesser sein könnte. Die Story ist lückenlos. Nichts deutet darauf hin, dass der neue – und endlich in der Wunschposition angekommene – Lehrer gegen die Verteidigung der dunklen Künste seinen Lehrermeister Dumbledore mit dessen Ermordung gar erlösen würde. Snape ist der „Halbblut-Prinz“, dessen Identität selbst für Rowling-Verhältnisse spät geklärt wird; schade nur, dass Rowling wie schon in der „Kammer des Schreckens“ auf das Mysterium handschriftlicher Notizen (Snapes Zaubertränkebuch rückt an die Stelle von Riddles Tagebuch) vertraut.

Aber „Der Halbblut-Prinz“ funktioniert auch als Anordnung loser Szenen sehr gut. Er beinhaltet die erste Schilderung der insgeheim regelmäßig stattfindenden Sitzungen zwischen Zauberminister und Muggel-Premierminister, sowie eine gut montierte Konfrontation zwischen Harry und Horace Slughorn, in der dem Zaubertränke-Lehrer ein Geheimnis entlockt werden muss, wofür Harry nicht nur auf argumentative Rhetorik zurückgreift.

Das Finale auf der Turmspitze hat fast die große Klasse der Portschlüssel-zum-Friedhof-Szene des „Feuerkelchs“. Endlich ist Snape da. Er tut das, was Malfoy nicht tun kann, und löst damit ein Beben aus. „Severus, bitte“, sind die letzten Worte Dumbledores.

Später wird Harry den einst verhassten Snape als mutigsten Zauberer bezeichnen, den er je kannte. Aber bis dahin muss Harry auf Reisen gehen. Ohne Schulabschluss – als würde das noch eine Rolle spielen. Er wird, wie wir am Ende dieses Buchs erfahren, den Beschluss fassen, Hogwarts zu verlassen.

Die Beerdigung Dumbledores findet bei strahlendem Sonnenschein statt.

01. „Harry Potter and the Goblet of Fire“ (2000, deutsch: „Harry Potter und der Feuerkelch“)

★★★★★

Band vier ist so gut, die Geschichte hätte hier enden können, und alles wäre dennoch perfekt: Harry muss sich mit Voldemort messen, er misst sich auch mit ihm, seine Eltern stehen ihm aus dem Totenreich bei. Der Schock der Sinnlosigkeit von Cedrics Tod, dem „Überflüssigen“, ist derart groß, dass deren Auswirkungen noch vier Potter-Geschichten und 19 Jahre später verarbeitet werden müssen, im „verwunschenen Kind“. Im „Feuerkelch“ verlässt Harry den Safe Space – den Safe Space der eigenen Erzählung und der Kinderliteratur.

Keine Potter-Story davor oder danach ist derart deutlich kartiert. Eine Geschichte wie eine Start-Ziel-Aufgabe. Die Konditionen stehen innerhalb der ersten einhundert Seiten fest. Ein Turnier wird bestritten, es gibt drei Turnieraufgaben, vier Kämpfer aus drei Häusern, die den Feuerkelch für ihre Schule gewinnen wollen. Mehr nicht, weniger aber auch nicht. Dokumentiert wird das Trimagische Turnier von der Klatschreporterin Rita Kimmkorn, deren schmieriges Gehabe auch Rowlings persönliche Abrechnung mit der Boulevardpresse manifestiert. Die Autorin wurde um die Jahrtausendwende zum Star, die Pottermania begann.

Harry verliebt sich in Cho Chang, die mit seinem Turnier-Konkurrenten Cedric ausgeht. Hermine könnte in den Turnierkonkurrenten Viktor Krum verliebt sein, und überhaupt nimmt die Liebe erstmals in einem Potter-Roman viel Raum ein, was zu sehr rührenden und sehr witzigen Situationen führt – Ron hat das Nachsehen, er versucht sich verzweifelt zu wehren: „Nur, weil ihr mich noch nie dabei gesehen habt, heißt das nicht, dass ich nicht auch schon jemanden geküsst habe!“.

„Harry Potter und der Feuerkelch“ ist das einzige Potter-Buch, das mit einem Hugo Award ausgezeichnet wurde. Andere aus der Heptalogie hätten es auch verdient – hätte es den Preis für genau diesen Roman jedoch nicht gegeben, wäre das besonders ungerecht gewesen.

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