Salingers deutsche Adepten

Ulrich Plenzdorf

In der DDR wie im Westen avancierte Ulrich Plenzdorfs Roman „Die neuen Leiden des jungen W.“ (1972) zu einem Kult-Buch, wurde in der Bundesrepublik gar Schul-Lektüre. Plenzdorfs etwas bemüht an Goethes Werther orientierter Held Edgar Wibeau wünscht sich echte Blue Jeans aus Amerika und träumt von großer Freiheit und Liebe: ein Talking Blues im Idiom der 7Oer-Jahre. Plenzdorf schrieb auch das Drehbuch zu dem berühmten DEFA-Film „Die Legende von Paul und Paula“, später eine Staffel von „Liebling Kreuzberg“ und eine Filmfassung von Manfreds Krugs Erinnerungen „Abgehauen“. Er starb im Jahr 2007.

Christian Kracht

In Krachts Roman-Debüt „Faserland“ (1995) reist der Erzähler vom Norden Deutschlands nach Süden, angeekelt von Party-Geschwätz und den Farben im ICE-Bordrestaurant, wo er sich den Wein schmecken lässt. Mit Drogen, Alkohol und Welthass angefüllt, übergibt er sich von Zeit zu Zeit auf seine Barbour-Jacke, die im Hamburg von „Faserland“ die meisten Menschen tragen. Christian Krachts Ironie ist so fein, dass sie kaum durch die absichtlich unbeholfenen Formulierungen schimmert. Am Ende sitzt der junge Mann sinnierend am Zürcher See und spürt etwas Bedrohliches und Unsagbares. Christian Kracht war Redakteur bei „Tempo“ und hatte bereits einige aufsehenerregende Reportagen geschrieben, als „Faserland“ erschien und überwiegend begeistert besprochen wurde. Die sogenannte Pop-Literatur in Deutschland begann mit diesem Buch, das tatsächlich von der Sinnlosigkeit des Pop handelt.

Benjamin von Stuckrad-Barre

Der namenlose Ich-Erzähler in Benjamin von Stuckrad-Barres Debütroman „Soloalbum“ (1998) könnte ein etwas älterer Wiedergänger von Holden Caulfield sein: Beiden gemein ist die Ablehnung der stumpfen Angestelltenwelt und der Rituale ihrer Generationsgenossen. In „Soloalbum“, das Stuckrad mit 22 Jahren schrieb, sind es die dümmlichen Studentinnen, die angeschickert nach Chic und Esprit greifen, aber nicht weiter als bis zum Prosecco kommen; es sind spießige Fernsehdeppen, 15-Mark-Rezensenten und idiotische Mediengestalten wie die „furchtbar ungebildete Alles-aufschreib-Tante“, von denen sich der ziellose Held angeekelt abwendet, um das wahre Leben in den künstlichen Paradiesen von Suff, Sex und Kokain zu suchen. Vergeblich: Auch im Bordell wartet nur der Blues, weil nichts mehr geht.

Benjamin Lebert

Er ist 16, Internatsversager und halbseitig gelähmt, er fühlt sich allein und von den Eltern unverstanden: Auf den ersten Blick trennen nur Zeit und Ort (und eine Behinderung) Holden Caulfield und den Benjamin aus „Crazy“. Der autobiografische Roman von Benjamin Lebert, den er als Enfant terrible und schlechter Hauptschüler mit 17 schrieb, ist eine Art Transkription von Salinger in die Verhältnisse der deutschen Jugend von 1999. In ähnlich vulgärer und unmittelbarer Sprache wie einst Salinger lässt Lebert seinen Erzähler lamentieren und sinnieren. Benjamins Vater war stolz auf den schreibenden Sohn: Andreas Lebert ist der Chefredakteur von „Brigitte“.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates