Schluss mit dem Theater

Kabale und Lieder: Immer häufiger findet die Popkultur ihren Weg auf die Theaterbühne – und verliert damit an subversiver Wirkung

Die Nacht, der Club und die Spinner: Diese Typen sind pausenlos in Bewegung und reden dabei eher zu viel als zu wenig. Sobald ein Beat oder Gitarrenakkord ertönt, springen sie in die Luft und zappeln mit Armen und Beinen. Das muss so sein, denn die Bühne im Hamburger Schauspielhaus ist eine als pechschwarze Höhle getarnte Szene-Disko. In der hintersten Ecke, wie eine Spinne in ihrem Netz, lauert die Band 1000 Robota und webt an einem Geflecht aus Songs und Sounds.

„So was von da“ ist eine Party, die sich ins Theater verirrt hat – frei nach dem gleichnamigen Roman von Tino Hanekamp. Der Autor und Clubbetreiber schildert darin 24 Stunden aus dem Leben, Lieben und Leiden seines Alter Egos Oskar Wrobel. Der hat Schulden und Ärger mit Kiezkalle, einem Luden wie aus einem Dieter-Wedel-Vierteiler. Dass Kiezkalle von einer Frau gespielt wird, ist einer der wenigen guten Einfälle der Regisseurin Jorinde Dröse. Denn anders als die eloquente und punktgenaue Vorlage von Hanekamp nervt die Inszenierung mit Plattitüden und man hat oft das Gefühl, in der Indie-Pop-Version des Grips-Theaters zu sitzen – immerhin mit großartigen Schauspielern und exzellenter Musik.

Gut gelauntes Theater, das die Musik und Motive subkultureller Pop-Genres aufgreift, hat Konjunktur: Bei den ersten Vorstellungen von „So was von da“ war Deutschlands größtes Schauspielhaus komplett ausverkauft. Und man ahnt auch, warum: Die Fans eines Boulevard-Theaters, bei dem die Türen lautstark auf und zu geknallt werden, sind längst ausgestorben. Heute ergötzt man sich lieber an coolen Selbstverwirklichungs-Storys und farbenprächtig aufbereiteten Punk-Travestien.

1987 ging der Regisseur Peter Zadek damit noch ein größeres Risiko ein. „Andi“ konfrontierte die Zuschauer im Deutschen Schauspielhaus – damals noch Tempel des Bürgertums – mit den Zumutungen der Einstürzenden Neubauten: „Sie hämmerten auf Metallteile – eine Gehör- und Materialprüfung schwerster Art. Dazu flüsterte, stöhnte und schrie das mottenfraß-frisierte Oberhaupt Blixa, als gelte es den Leibhaftigen auszutreiben“, schrieb „Der Spiegel“ mit wohligem Schaudern. Damit es ein „Hören mit Schmerzen“ wird, hatten sich die Herren Bargeld & Co. vorher die Kontrolle über die Lautstärke zusichern lassen.

„Das war ein Urknall“, findet auch Steffen Sünkel, Chef-Dramaturg am Hamburger Schauspielhaus: „Die Neubauten haben einen Furor entfacht, der damals schockierend war. In dieser Musik konnte man eine Kraft spüren, die wir auf der Bühne oft nur vorgeben.“ Der 32-jährige Sünkel sucht deshalb verstärkt in subkulturellen Biotopen wie dem Golden Pudel Club nach Inspiration. Allein mit zeitgenössischen Klassiker-Bearbeitungen und einem Autorentheater, das viele Zuschauer überfordert, lassen sich die Sitzreihen nun mal nicht füllen. „Unterhaltung ist auch im Staatstheater gefragt“, sagt Sünkel. Und die liefert niemand so gut und originell ab wie Studio Braun. Gegen die Humorsalven aus den doppelbödigen Spaßkanonen von Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger hat selbst ein René Pollesch keine Chance. Ablachen über „Dorfpunks“ ist populärer als Nachdenken über „Neues vom Dauerzustand“.

„Bei der ersten Vorführung von, Phoenix – wem gehört das Licht‘ erlebte ich einen tobenden Saal“, erinnert sich Dramaturg Steffen Sünkel. „Ich saß mittendrin und dachte:, Was hab ich denn alles nicht mitbekommen?'“ Möglicherweise eine solide Punkrock-Sozialisation und das entsprechende ironische Lebensgefühl. „Die Wurzeln der jetzigen Crossover-Bühnenspektakel ragen tief in subkulturelle Kindertage“, sagt Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen und wie Rocko Schamoni Mitbetreiber des Golden Pudel Club. „Ich selbst will mittlerweile etwas anderes machen. Eher melancholischer als lauter und vielleicht misstraue ich ja auch zunehmend unseren eigenen Effekten.“ Kamerun arbeitet schon seit Ende der Neunziger als Theaterautor, -komponist und Regisseur. Von witzig-ironischen Bühnendienstleistungen hat sich der Ex-Punk verabschiedet: „Viele der schrillbunten Poptrash-Events haben sich weit entfernt von jeglicher gegenkulturellen Wirkung, für die sie sich augenzwinkernd ausgeben.“ Kamerun reflektiert stattdessen über das „Ende der Selbstverwirklichung“ oder „aktuelle Möglichkeiten von Protestformen“. Das gemeinsame Erarbeiten der Texte anhand von Interviews oder anderen Materialien spielt dabei eine wichtige Rolle. Projekte wie „Der entkommene Aufstand“ am Schauspielhaus Köln erinnern an die Happenings der Sechziger, aber auch an die Spektakel von Christoph Schlingensief: „Wir trafen uns in einer Art Filmset, wo alle Mitmachenden in einer von uns selbst zerstörten Werbeagentur einen utopischen Neubeginn probierten“, sagt Kamerun. „Die Zuschauer konnten mit Kopfhörern frei durch diese Installation laufen. Der Sound waren Lieder aus gemeinsamen Textcollagen.“ Diese und andere Songs aus Kameruns Theaterprojekten sind übrigens gerade auf dem Album „Der Mensch lässt nach“ erschienen.

Es ist seltsam. Pop mag am Theater immer schrillere Blüten treiben – ernst nimmt das heute keiner mehr. Es sind kleine Fluchten aus einer durchökonomisierten Gesellschaft und einem prekären Alltag. Wer heute provozieren will, stellt nicht eine verkleidete Punkband auf die Bühne, sondern reale Hartz-IV-Empfänger – so wie der Regisseur Volker Lösch in „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden“. Wie Verdammte aus der Aldilidl-Hölle stapften die Männer und Frauen auf das Publikum zu, erzählten ihre schmerzhaften Geschichten und forderten Teilhabe. Zum Schluss riefen sie buchstäblich die Revolution aus, nannten die Namen und das Vermögen der reichsten Hamburger. Das Publikum tobte vor Begeisterung, Fäuste wurden geballt. Selbst „Die Zeit“ schwärmte hinterher von einem „Abend des puren Theaterglücks“. Das war so was von da, als würden zwei Dutzend Iggy Pops vor einem stehen und mit einer einzigen lauten Stimme rufen: „I got a right!“

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