See me, Feel me, Touch me

Heute New York, morgen Offenbach. Am Main wird sogar ein Theater gebaut, um TOMMY nun auch dem mittelalterlichen Musical-Publikum nahezubringen Von Brigitte Spitz

Zugegeben, die Erwartungen an die New Yorker Aufführung waren hoch. Schuld daran sind die Geschichten der großen Brüder über die wilden Zeiten von damals, als die Who noch Gitarren zertrümmerten und Verstärker entjungferten. Unsereins, gestraft mit dem Pech der späten Geburt, macht sich also auf den Weg in ein Broadway-Theater, um dort den Rock’n’Roll-Mythos nachzuempfinden. Die US-Gazetten hatten sogar Fans mit Matten und Lederjacken versprochen, die im Suff zwischen die Reihen des „St James Theatre“ kotzen.

Keine Spur. Das Publikum sitzt andächtig im Polster und freut sich schon, wenn es die Melodien wiedererkennt Die technischen Finessen sind noch das Beste, ansonsten keine Spur von dem, was „Tommy“ alles gewesen sein soll: Erfahrungen von pychedelischen Trips durch schillernde Innenwelten, Bewußtseinserweiterung durch Drogen und Kampf gegen die Vergewaltigung durch Familie und Gesellschaft. Zwar geht auch der New Yorker Tommy anfangs in die ausserfamiliäre Opposition, doch kehrt er am Ende in den Schoß der Familie zurück und singt das Hohe Lied der Normalität. Fehlte nur noch, daß die Darsteller das „We Are Family“ von Sister Sledge anstimmen. Schöne neue Musical-Welt In den USA hat sich das durchaus gerechnet. Die acht Millionen teure Produktion spielte allein in New York binnen eineinhalb Jahren 34 Millionen $ ein. Nach Deutschland, wo das Leichte schwer im Kommen ist, wird Tommy jetzt vom Konzertveranstalter Peter Rieger importiert. Am 28. April 1995 soll im ehemaligen Stadttheater von Offenbach Premiere sein. Der Musical-Impresario investiert allein 16,8 Mios in den Umbau des Theaters. Die Produktion kostet weitere zehn Millionen. Und weil die perfekte Vermarktung entscheidend ist, sind für das Marketing weitere fünf Mios vorgesehen.

Rieger ist von der Qualität seines Einkaufs überzeugt. Er lauert vor allem auf das kaufkräftige Klientel der 40er, das mit Rock’n’Roll groß geworden ist. Die Eintrittspreise in Offenbach variieren – durchaus üblich für Musicals – zwischen 80 und 175 Mark. Und weil sich Nostalgie allein nicht rechnet (im 112o Sitzplätze zählenden Theater soll achtmal pro Woche mindestens bis zur Jahrtausendwende gespielt werden), hoffen die Macher auch auf die Neugier der Jüngeren.

Townshend, der sich vor kurzem das Theater am Main anschaute, ist auf seine alten Tage versöhnlich geworden und hat eine weitere Zielgruppe im Auge: die älteren Herrschaften. Der „neue Tommy“ sei seine Art, mit dem Alterwerden umzugehen, philosophiert Townshend. Er wolle damit die Kluft zwischen den Generationen schließen.

In den USA ist das nicht so recht gelungen. Nur acht Prozent der Zuschauer waren bislang älter als 50 Jahre, hat er errechnet: „Ich möchte den Sechzigjährigen sagen: Guckt euch die Show doch erst mal an am Ende vergeben wir euch. Die wenigen Älteren, die kamen, waren jedenfalls begeistert. All die anderen hatten wohl Angst, daß man ihnen eine Gitarre übern Schädel haut“ Vielleicht schafft es Townshend ja in Deutschland, „die Ladies mit blauem Haar“ (wie Roger Daltrey höhnte) in „Tommy“ zu locken. Auf jeden Fall wird man das Gefühl nicht los, daß Townshend auch mit seiner neuen Version noch immer die Geschichte seiner Generation erzählt: von den einstigen Kamp fern gegen das Establishment, die nun selbst dazu gehören.

Für die späten Nachfahren der 68er ist die Moral von der Geschieht: Traue großen Brüdern nicht.

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